«Malen ist mein Ja zum Leben»
Gisela hat ein bewegtes Leben hinter sich. Die Kunst war dabei ein ständiger Begleiter. Ihre Leidenschaft drückt sie heute in der Malerei aus, wie sie Fotograf und Fotojournalist Thomas Rauch erzählt. «Wenn ich den Pinsel in der Hand halte, bleibt die Zeit stehen.»
Ich war noch ein Kind, als der Krieg nach Deutschland kam, und statt der normalen Kindheitserfahrungen waren es die Flucht vor den Bomben und das Verstecken im Wald, die meinen Alltag prägten.
Ich erinnere mich, wie wir mit dem letzten Zug aus dem Osten flohen – doch auf diesem Weg verloren wir alles. Unsere Kiste, die noch die wenigen Dinge enthielt, die wir bis hierher retten konnten, verschwand.
Thomas Rauch ist selbständiger Fotograf und Fotojournalist aus Basel. Er hat sich unter anderem auf Portraitfotografie und Fotoreportagen spezialisiert. Für Bajour hat er verschiedene Menschen porträtiert und mit ihnen über ihr Leben gesprochen.
In Koblenz versuchte ich, ein neues Leben zu beginnen. Doch das war nicht einfach. Die Schule in Winningen an der Mosel war schwer für mich, denn wir waren arm und die anderen Kinder hatten immer mehr als ich.
Doch dann fand ich das Theater. Die Ballettproben waren mein Rückzugsort, und irgendwann durfte ich selbst auf der Bühne stehen – als Hauptdarstellerin in einem Weihnachtsmärchen. Das war der Moment, in dem ich zum ersten Mal spürte: «Wenn ich auf der Bühne stehe, bin ich ich selbst.»
In dieser Zeit trat Paul in mein Leben. Er war der Mann, den ich später heiratete. Unser erstes Treffen war ein Zufall: Ich wollte die Strasse überqueren. Dabei musste ein Auto abrupt abbremsen. Es war das Auto eines Schweizers.
Das Schicksal sorgte dafür, dass wir uns wiedersahen. Wir begannen einen Briefwechsel, der jedoch wie so oft nach einiger Zeit versiegte. Doch dann, ein paar Jahre später, schrieben wir uns wieder. Diese Briefe kreuzten sich! Danach ging alles ganz schnell. Wir heirateten 1959 und ich zog in die Schweiz.
Doch das Leben hatte noch weitere Pläne für mich. Meine Mutter drängte mich, einen «richtigen» Beruf zu erlernen, und so wurde ich Coiffeuse. Doch das Feuer, das ich auf der Bühne gespürt hatte, war hier nicht vorhanden. Es sollte noch Jahre dauern, bis ich wieder zu dem fand, was mich wirklich erfüllte.
Nach dem frühen Tod meines Mannes und engen Seelenverwandten nahm mich meine Tochter, die als Flugbegleiterin arbeitete, mit auf Reisen. In fernen Ländern fand ich neue Eindrücke und neue Inspiration und ich begann zu malen. Meine Malerei fand Anklang, erst in Europa und dann auch international. Meine Werke reisten bis nach China, wo sie heute in Museen zu sehen sind. Aber der wahre Erfolg lag für mich nie in den Ausstellungen, sondern in der Freude am Malen selbst und der tiefen Verbindung, die ich dabei mit dem Unsichtbaren spüre.
Heute blicke ich zurück auf ein Leben, das reich an Erfahrungen ist. Die Malerei bleibt meine Konstante. Wenn ich den Pinsel in der Hand halte, bleibt die Zeit stehen. Es ist meine Art zu sagen: «Ich bin noch hier – und ich sage Ja zum Leben.»