Der Impfbus kämpft um jedes Prozent, aber es ist ein zäher Kampf
Der rote Doppeldecker soll die Corona-Impfung näher zur Basler Bevölkerung bringen. Aber zu welcher Bevölkerung? Und was lässt sich vor dem Impfbus über die Impfmuffel lernen? Ein Besuch.
Wenn der knallrote Basler Impfbus vor dem Bernoullianum nur ein bisschen wie seine Ebenbilder, die Doppeldecker aus London, ist, dann kennt er sich mit Stresssituationen aus.
Und so eine haben wir jetzt, Montagnachmittag kurz vor 14 Uhr. Ein Impfgegner will mit seinen Theorien und Ansichten auf der Überholspur vorbei und sein aufgeregtes Eingerede auf die Mediziner*innen wirkt wie das Fahrverhalten eines Rasenden im tiefergelegten BMW auf der A2.
Er drängelt («ich will ihnen jetzt mal was sagen») und hupt («ein SKANDAL was hier läuft») und fummelt hektisch am Fernlicht rum. («HALLO, hören Sie mir überhaupt ZU?»)
Aber das Impfteam vor dem roten Doppeldecker, ein Security-Wachmann ist auch dabei, lässt die Show eiskalt abperlen. «Easy Mann, das ist alles freiwillig hier», sagt eine Frau im weissen Kittel. «Sie können jetzt wieder gehen.» Der Mann, über dessen Schultern ein grosser Wanderrucksack hängt, lässt die Luft ab und geht.
Das Impf-Team sitzt ungerührt auf den Plastikstühlen unter dem weissen Partyzelt und wartet.
Wer sind die 20 umkämpften Prozent?
Am Dienstag, dem 26. Oktober, sind laut den Zahlen des Bundesamts für Gesundheit 63 Prozent der Schweizer Bevölkerung vollständig gegen Corona geimpft. Expert*innen schätzen derweil den Anteil «harter Impfgegner*innen» auf zwischen fünf und 15 Prozent. Blieben also noch 20 Prozent der Bevölkerung, die den Unentschlossenen zugerechnet werden müssen. Sie haben sich noch nicht impfen lassen, obwohl sie könnten.
Wer sind diese 20 Prozent? Und wie lassen sie sich überzeugen?
Vielleicht lässt sich Mitte Oktober vor dem Impfbus etwas über sie herausfinden. Der allererste Piks in Basel ist immerhin bald zehn Monate her. Wer sich heute noch impfen lässt, ist Impftrödler*in. Oder genesen. Die Eidgenössische Kommission für Impffragen (EKIF) empfiehlt heute, sich frühestens einen Monat nach einer Genesung gegen Corona impfen zu lassen.
Der Bund hat Anfang Oktober eine Impfoffensive angekündigt. Dafür sollten schweizweit rund 170 zusätzliche mobile Impfstellen geschaffen werden. In diesem Rahmen geht auch der Basler Impfbus bereits ein zweites Mal auf Tour. Der Fahrplan wurde gegenüber der ersten Tournee reduziert, dafür wird jetzt auch Riehen angesteuert. Man habe «attraktive Standorte» ausgewählt, sagt das Gesundheitsdepartement (GD).
Einer dieser «attraktiven Standorte» ist das Bernoullianum, schräg gegenüber der Uni-Bibliothek. Vielleicht will hier das GD die paar wenigen Student*innen erreichen, die Mitte September die Zertifikatspflicht für Präsenzunterricht ab November kritisierten. Oder das Gesundheitsdepartement spekuliert auf ungeimpfte Messebesucher*innen. Schliesslich ist der Hääfelimäärt und der Petersplatz in Sichtweite, der einzigen Platz der Herbstmesse, der ohne Zertifikat besucht werden darf.
Wir gehen also zum Impfbus, der heute vor dem Bernoullianum geparkt ist. «Ziel ist es, mit dem Impfbus die Impfung noch näher zur Bevölkerung zu bringen und ihr ohne grossen Aufwand die Impfung zu ermöglichen», sagt das Basler Gesundheitsdepartement (GD). Und das Konzept scheint zu funktionieren. Im Gespräche mit den Impfwilligen wird schnell klar: Viele von ihnen lassen sich heute impfen, weil sie genau hier mit der Möglichkeit konfrontiert wurden, sich impfen zu lassen. Weil der Bus vor ihrer Nase steht, sozusagen. So einfach ist das.
Auf seiner ersten Tour zwischen dem 13. September und dem 10 . Oktober stand der Impfbus auch auf dem Claraplatz, dem Marktplatz, oder dem Barfüsserplatz. Zentrale Plätz, Kernstadtgebiet. In den äusseren Quartieren fährt er den Leuten bislang nicht vor die Nase.
Aber jetzt steht er immerhin fast vor der Haustür von Annemarie, 90 Jahre alt. Annemarie hat hellblaue Augen und helle, gepflegte Haut, sie wohnt gleich neben dem Spalentor und von da sind es keine dreihundert Meter bis zum Impfbus. Eine Freundin hat ihr von der Aktion erzählt, und da sei sie halt hergekommen. «Ich will doch so gern ins Theater», sagt Annemarie.
«Ich hab heute gedacht, dann mach ich's halt.»Annemarie, 90, liess sich im Impfbus impfen
War das der Grund, warum Sie sich heute impfen liessen?
«Ja, und weil meine Freundin das wollte. Man vereinsamt in dieser Zeit. Mein Mann ist vor sieben Jahren gestorben, ich geh ihn morgen auf dem Hörnli besuchen. Mein Enkel kommt auch mit. Der Kontakt zu meiner Familie ist mir wichtig.»
Mit Verlaub, warum haben Sie sich bis jetzt nicht impfen lassen?
«Ich habe mich noch nie impfen lassen, gegen nichts. Ich nehme auch keine Medikamente. Ich bin so aufgewachsen.»
Annemarie hat einen Bündner Dialekt und redet insgesamt sehr unbeeindruckt über die ganze Corona-Sache. Sie hat sich aus Pragmatismus impfen lassen («ich hab heute gedacht, dann mach ich's halt») und weil der Bus vor der Tür stand. «Kann ich gehen?», fragt sie in Richtung der Ärztinnen? Wartet kaum die Antwort ab, steht auf, weg ist sie.
Der Nachmittag tröpfelt dahin. Am 13. September, dem ersten Tag der vergangenen Impfbuskampagne, liessen sich 107 Leute im Doppeldecker impfen. Heute werden es am Ende des Tages magere 22 sein.
Eine Mitarbeiterin des Impfbusses sagt zu einer Passantin, die fragt, wie’s so läuft: Nicht so gut. Es ist wenig los, wir würdens uns anders wünschen. Wir kämpfen hier um jedes Prozent.»
Jetzt steht ein Mann vor dem Impfbus, er ist zirka 40 Jahre alt und vor lauter Aufregung steht ihm der Schweiss auf der Stirn. Er redet mit gebrochenem Akzent und so leise, dass man ihn kaum hören kann. «Ich habe so lange nach einer Möglichkeit gesucht, mich impfen zu lassen», sagt er. «Ich habe keinen Wohnsitz in der Schweiz und dachte schon, ich komme nie dran. Aber den Leuten im Bus ist das egal. Sie impfen auch Leute ohne Wohnsitz in Basel.»
Der Mann muss einem Missverständnis aufgesessen sein. Im Impfbus wie im Impfzentrum am Messeplatz gelten dieselben Bedingungen. Geimpft werden alle Personen, unabhängig vom Wohnort. Auch Auslandschweizer*innen sowie Grenzgänger*innen, die in der Schweiz arbeiten, können sich impfen lassen.
Selbst Sans-Papiers können sich im Impfzentrum «relativ unbürokratisch» impfen lassen, heisst es auf Anfrage. «Sie legen anstatt einer Krankenversicherungskarte eine Bestätigung einer anerkannten Hilfsorganisation oder Behörde vor.»
«Ach, ich war halt in der Nähe und habe beim Vorbeifahren den Bus gesehen.»Passant, der sich im Impfbus impfen liess
Zurück zum Bus. Eine Frau lässt sich impfen. Sie ist 60 Jahre alt, Lehrerin, kommt aus Riehen. Sie erkrankte im Mai an Corona, dann wusste sie lange nicht, wie es weitergeht. Das Zertifikat ist gültig bis Ende Oktober, so lange gilt sie als «Genesen». Dann wird ihr «G», das als eines der drei «G» für «Getestet, Geimpft, Genesen» steht, hinfällig. Die Frau wollte sich früher impfen lassen, sagt sie, aber lange war unklar, wie rasch nach einer Genesung das möglich war, respektive erhielt sie sehr viele sehr unterschiedliche Informationen.
«Die Informationen für Genesene waren lange nicht so gut kommuniziert», sagt sie. Die Impfbusaktion findet sie aber toll, da leiste der Kanton echt einen guten Dienst.
20 Minuten später sitzt ein Mann im schwarzen Hoodie auf einem der Plastikstühle vor dem Impfbus. Hier warten alle Geimpften für 15 Minuten auf mögliche Nebenwirkungen. Der Mann steckt sich, kaum ist er aus dem Bus draussen, eine Zigarette an. Über den politischen Umgang mit der Pandemie sagt er nichts Gutes.
«Meiner Meinung nach wird da ein Spiel gespielt», meint er. Er spekuliert über den Zusammenhang von Toten mit und an Corona, zitiert Beispiele von Cousins dritten Grades, deren Schwester jemanden kennt, der… Kurz, er gibt einige schillernde Gassenhauer aus der ersten Welle zum besten, die wissenschaftlich längst widerlegt sind oder bestenfalls über anekdotische Evidenz verfügen.
Der Mann sagt, er sei kein Corona-Leugner, er halte einfach das «Theater» für übertrieben.
Trotzdem ist er jetzt hier. Warum lässt er sich impfen?
«Ach, ich war halt in der Nähe und habe beim Vorbeifahren den Bus gesehen. Um einen Termin im Testzentrum abzumachen, dazu bin ich zu faul. Aber so hats mir gut gepasst, habe direkt da vorne parkiert und gehe dann jetzt auch wieder.»
«Das Angebot ist praktisch, es ist keine Anmeldung nötig.»Passant*innen, die sich im Impfbus impfen liessen
Es waren nicht viele, die sich an diesem Montag, dem 25. Oktober, vor dem Bernoullianum zwischen den Vorstadtquartieren und dem «Ring» impfen liessen. Die, die da waren, sagten fast alle dasselbe. Sie waren zufällig da, das Angebot sei praktisch, keine Anmeldung vonnöten und im Unterschied zu den Walk-in-Tagen im Impfzentrum mit ihren Zeitfenstern, sei hier den ganzen Tag über Betrieb.
Einmal kommt eine Dreiergruppe vorbei, wahrscheinlich eine Familie. Sie reden eine slawische Sprache, die Mutter schickt den Sohn zur Ärztin, um etwas zu fragen. Der Sohn geht hin und fragt, sorry, ob es hier die zweite oder die dritte Impfung gebe?
Die Medizinerin: Die Erste. Wir impfen hier nur die erste.
Der Mann lacht laut auf und verwirft die Hände. Als wir fragen warum, sagt er, seine Mutter wollte sich nach der Booster-Impfung erkunden. Sie sei schon so lange geimpft.
Dass hier nach Leuten gesucht wird, die noch gar nicht geimpft sind, das ist für ihn so unvorstellbar, dass er lachen muss.
Mittlerweile gab der Bund bekannt, Auffrischungsimpfungen für Personen über 65 zuzulassen. Damit soll der im Lauf der Zeit nachlassende Immunschutz wieder gestärkt, also «geboostet» werden.
Der nächste Einsatz des Impfbusses ist am kommenden Freitag, den 29. Oktober 2021. Der Standort ist wiederum das Bernoullianum. Den übrigen Fahrplan kann man hier nachschauen.
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