Leben und sterben in der NS-Zeit
1943 aus Basel ausgewiesen und 1944 in Auschwitz ermordet. Das Buch von Antonia Schmidlin und Hermann Wichers erzählt die tragische Geschichte von Gaston Dreher.
Vor gut einem Jahr sind auch in Basel erste «Stolpersteine» angekommen und weitere sind inzwischen hinzugekommen, im Moment sind es deren neun. Sie erinnern an Menschen, die früher hier gelebt haben und in der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.
Als Erinnerungszeichen werden sie an den ehemaligen Wohnorten der Verfolgten auf dem Trottoir in den Boden eingelassen, ihre Messingfläche hält wie auf Grabsteinen die Lebensdaten und den Umstand ihres Sterbens fest. Bisher sind in 27 europäischen Ländern rund 90'000 solche Steine gesetzt worden. Initiant der Aktion war 1992 der Kölner Künstler Gunter Demnig.
Während des zweiten Weltkriegs suchten verfolgte Jüd*innen aus Deutschland in Basel Schutz. Die Schweiz schickte viele von ihnen zurück in den sicheren Tod, darunter auch Anna Maria Böhringer, Kurt Preuss, Gaston Dreher und Armin Weiss. Ihnen sind die Stolpersteinen in Basel gewidmet. Ihre Geschichten kannst hier nachlesen.
Die Steine kommen aber nicht von allein in den Boden, sie brauchen das Engagement von Menschen, die sich als Gruppe zusammentun und sich für dieses Gedenken einsetzen gemäss der Einsicht, dass nur jene im Gedächtnis bleiben, an die wir uns erinnern können, was voraussetzt, dass sie uns in Erinnerung gerufen werden. Dieses private und persönliche Engagement wird von offiziellen und offiziösen Institutionen unterstützt. In Basel sind das die Regierung, die Christoph-Merian-Stiftung, das Basler Bau- und Verkehrsdepartement sowie Einzelpersonen und Spenden.
Die Steine geben den Opfern eine elementare Alltagspräsenz. Für ein darüber hinaus gehendes Wissen zu den Schicksalen der Ermordeten braucht es jedoch zusätzliche Medien: Presseartikel, Bücher, Filme, das Internet.
Das ist auch für Gaston Dreher so, an den nun an der Mostackerstrasse 15 ein Stolperstein erinnert.
Antonia Schmidlin, Dozentin für Geschichtsdidaktik, und Hermann Wichers, Archivar im Staatsarchiv Basel-Stadt, haben in akribischer Forschung sein Schicksal rekonstruiert. Von den vielen Lebensstationen sei lediglich erwähnt, dass Dreher, dessen Familie aus dem Elsass stammt, seine Jugendjahre in Basel verbringt, seit 1934 vorwiegend in Frankreich lebt, nach Frankreichs Totalbesetzung durch die Nazis 1943 in die Schweiz flieht, dabei die letzte Strecke in gut zwei Wochen rund 150 Kilometer zumeist im Schutz der Dunkelheit zurücklegt und schliesslich wieder in Basel ankommt, wo noch immer seine Schwester lebt.
In Basel wird Gaston Dreher registriert (Körpergrösse, Augenfarbe, etc.) und im Lohnhof inhaftiert. Hier werden frühere Vorstrafen (z.B. zwei Wochen Gefängnis wegen eines rechtswidrigen Gebrauchs eines Fahrrads) und insbesondere die Landesverweisung zur Kenntnis genommen, und hier wird, obwohl die Gefährdung, der Dreher als jüdische Flüchtling ausgesetzt ist, ausdrücklich anerkannt wird, der später bestätigte Entscheid vorweggenommen, dass er «ein ganz unerwünschtes Element» und nach erster Einschätzung des Asyls «unwürdig» sei.
Im Buch wird die Frage zwar offengelassen, aber doch eindrücklich gestellt, ob Verfolgte unabhängig von Charakter, Lebensgeschichte, Vorstrafen und Staatsbürgerschaft den Schutz des Asylrechts hätten erhalten sollen Der formelle Ausschaffungsentscheid wird in Bern gefällt. Heinrich Rothmund, Chef der Polizeiabteilung des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements, bestätigte den Entscheid: «Nachdem wir heute noch durchaus anständige Leute zurückweisen müssen, können wir es nicht verantworten, diesen unerwünschten Ausländer hier zu behalten.»
Die Spurensuche der historischen Rekonstruktion muss sich weitgehend mit amtlichen Akten begnügen, von Gaston Dreher stehen kaum eigene Zeugnisse zur Verfügung. Nachdem er im Dezember 1943 in Genf nach Frankreich ausgeschafft worden war, verlor sich, wie Autorin und Autor festhalten, seiner Lebensspur im Meer der Deportierten und Ermordeten.
Dreher wurde in Frankreich sogleich verhaftet und zu einer Nummer: einer Nummer des Deportationslagers Drancy, einer neuen Nummer des Deportationstransports, und schliesslich zur Nummer 169’778, die ihm im Arbeitszwischenlager Monowitz eintätowiert worden war. Vier Monate später wurde Gaston Dreher am 21. April 1944 im Alter von 36 Jahren in Auschwitz vergast.
Die abschliessende Feststellung der Rekonstruktion dieses Schicksals bezieht sich auf Frankreich, galt aber weitgehend auch für die Schweiz und für Basel: «Wer dieser Mann gewesen und wo er geblieben war, stand offenbar nicht zur Debatte. Es hat ihn in Frankreich niemand vermisst, nie hat jemand nach ihm gefragt. Auch im Elsass verschwand sein kurzes und wechselvolles Leben gleichsam spurlos, was blieb, waren wenige Akteneinträge.» Und jetzt zeigt der Stolperstein an der Mostackerstrasse, dass es G.D. einmal gab und im Zuge eines monstruösen Vernichtungsfeldzugs sein Leben verlor.
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Antonia Schmidlin/Hermann Wichers: Versorgt, ausgewiesen, in den Tod geschickt. Das Leben des jüdischen Elsässers Gaston Dreher (1907-1944). Zürich Chronos Verlag 2022. 215 S.