«Jedes Opfer ist ein Mensch»

Basel hat zwei neue Stolpersteine bekommen. Sie erinnern an Martha Schwartz und Walter Tschudin, die den Nationalsozialist*innen zum Opfer gefallen sind. Gerade im Hinblick auf den Krieg in Israel war das Gedenken von besonderer Aktualität.

Stolperstein Martha Schwartz
Der Stolperstein für Martha Schwartz liegt an der Fröschgasse 15 in Basel. (Bild: Valerie Wendenburg)

«Ich erinnere mich noch genau an Martha Schwartz», sagt Bea von Arx. Die 97-Jährige sitzt vor ihrem Haus an der Fröschgasse 15, in dem sie auch schon 1938 als Kind gelebt hat. «Wir wussten, dass Martha damals mit dem Tram nach Lörrach gefahren ist und nicht mehr nach Hause kam», erinnert sie sich sichtlich bewegt. Um sie herum hat sich in der schmalen Strasse trotz des Nieselregens eine Menschentraube versammelt. Rund 60 Personen sind zusammengekommen, um dabei zu sein, wenn der Stolperstein für Martha Schwartz verlegt wird. Es sind Interessierte, ehemalige Bekannte und auch Verwandte, wie ihr Urenkel, der sich für die Erinnerung an eine mutige, politisch denkende Frau stark macht, die den Nationalsozialist*innen zum Opfer gefallen ist. Wer die Geschichte von Martha Schwartz hören möchte, kann dies auch tun. Denn die Geschichten hinter allen Stolpersteinen gibt es neu auch als Audiodatei.

Tonja Zürcher Stolperstein
Bea von Arx (l.) lauscht vor ihrem Haus der Ansprache von Tonja Zürcher. (Bild: Valerie Wendenburg)

Die Eröffnungsrede hält Grossrätin Tonja Zürcher (Basta), die gleich zu Beginn deutlich macht, dass ein Gedenken in dieser Form aus ihrer Sicht «gerade jetzt», während des Kriegs in Israel, wichtig sei. «Wir möchten hier an die Auswirkungen von Faschismus und Rassismus denken. Und vor allem auch an die Menschen, die den Mut haben, sich zu widersetzen». Sie sei entsetzt über den grauenhaften Angriff der Hamas und über die vielen Toten in Israel und Palästina: «Wir sind in Gedenken bei den Opfern und Angehörigen auf beiden Seiten, egal, wer sie sind. Denn jedes Opfer ist ein Mensch mit Hoffnungen, Wünschen, Ängsten und mit Angehörigen.» So wie auch Martha Schwartz. Sie steht an diesem Morgen beispielhaft für jene Menschen, die sich mutig gegen ein Regime wehren, für Demokratie einstehen und dabei selbst ihr Leben lassen müssen. 

Martha Schwartz
Das Schicksal von Martha Schwartz

Es war am 6. April 1938, als die Schweizer Kommunistin und Widerstandshelferin Martha Schwartz (*1892) in das 6er-Tram nach Lörrach stieg. Sie hatte Flugzettel in ihrer Handtasche, die sie über die Grenze schleuste. Am selben Abend gegen 18 Uhr versucht sie, am Werderplatz, an dem eine NS-Kundgebung geplant ist, einige der Zettel auf den Boden fallen zu lassen. Martha Schwartz wird verraten, von der Gestapo verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Ihr Ehemann bittet den Vorsteher des Politischen Departements, Bundesrat Giuseppe Motta, vermehrt um Unterstützung, die aber ausbleibt. In Folge der Haft verschlechtert sich der gesundheitliche Zustand von Martha Schwartz. Sie stirbt am 30. Oktober 1939 in der Psychiatrischen Universitätsklinik in München. Über eine Bestattung ist nichts bekannt, der Leichnam wurde trotz des Wunsches der Familie nicht nach Basel überführt. 

Stolperstein Basel
Die Klasse 4MZ des Gymnasiums Muttenz trägt eigene Texte vor. (Bild: Valerie Wendenburg)

Die Biografie von Martha Schwartz wird mit musikalischer Begleitung vorgetragen, auch ihr Nachkomme erinnert an das Leben seiner Urgrossmutter, nach deren Tod die «Familie zerbrochen ist». Schliesslich tritt die Klasse 4MZ des Gymnasium in Muttenz vor, die einen «Text ohne Titel, denn uns fehlen die Worte» vorträgt. Die kurzen Ansprachen der Schüler*innen sind hochaktuell, sie verweisen auf das hohe Gut der Meinungsfreiheit, die Bedeutung der Demokratie und auch darauf, dass die Schweiz damals viel mehr für Martha Schwartz hätte tun können. «Wir haben Hoffnung» ist der Tenor der jungen Menschen, die den Mut von Martha Schwartz betonen und die Denunziation verurteilen, der die politisch aktive Frau von damals zum Opfer wurde. «Nie wieder» – diese Worte sind öfter zu hören an diesem Morgen in Basel, an dem die Vergangenheit ebenso präsent ist wie die Gegenwart. 

Stolperstein Basel
Der Stolperstein für Martha Schwartz wird verlegt. (Bild: Valerie Wendenburg)

Als der Stolperstein verlegt wird, kommt Tonja Zürcher auf eine kleine Panne zu sprechen, die sie aber auch nicht davon abgehalten hat, an dem öffentlichen Gedenken festzuhalten: «Der Stolperstein ist uns nicht rechtzeitig geliefert worden», sagt sie, hat aber auf die Schnelle für Ersatz gesorgt. Und so wird der provisorische Stolperstein in die Erde gelassen und mit Rosen eingerahmt. Die Schweigeminute im Anschluss gilt Martha Schwartz aber auch allen weiteren Opfern von Krieg und Terror. Im Anschluss wird der Stolperstein für Walter Tschudin an der Basler Missionsstrasse 47 verlegt.

Tschudin flüchtete nach Frankreich, als er volljährig wurde und in die Schweizer Armee eingezogen werden sollte. Dort wurde er von der Gestapo aufgegriffen, 1944 wird er ins KZ Buchenwald überführt, später ins KZ Flossenbürg. Walter Tschudin hat überlebt, aber nicht wieder in sein Leben zurückgefunden und die die miterlebten Gräuel in den nationalsozialistischen Lagern nie überwunden.

Die Gruppe zur Stolpersteinsetzung macht sich auf den Weg, um auch ihm zu gedenken und ein Zeichen gegen Gewalt und Terror zu setzen.

Stolperstein
Projekt Stolpersteine

Das Projekt Stolpersteine hat der Künstler Gunter Demnig 1992 ins Leben gerufen. Mit kleinen Gedenktafeln, die im Boden verlegt werden, soll  an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. Jeder einzelne Stolperstein besteht aus einer Messingtafel, die von Hand hergestellt werden. Sie werden meist vor den letzten frei gewählten Wohnhäusern der NS-Opfer in das Pflaster oder den Belag des jeweiligen Gehwegs eingelassen. Stolpersteine wurden und werden in Deutschland wie auch in 25 weiteren europäischen Ländern verlegt. Sie gelten als das grösste dezentrale Mahnmal der Welt.

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Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Senior-Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

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