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Aus meiner Sicht

«Warum passt kein Helm auf meinen Kopf?»

Sandrine Mischler fährt gerne Velo. Ihr Afrohaar passt aber unter keinen Helm. Wie kann es sein, dass ein so wichtiges Ding eine so enge Zielgruppe hat, nämlich Menschen mit glatten Haaren? Eine Intervention mit Lösungsvorschlag.

06/21/21, 03:45 AM

Aktualisiert 06/18/21, 01:08 PM

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Sandrine Mischler hat sich durch alle Velohelme probiert, am Schluss bleibt immer fast eine Handbreite Abstand zwischen Augenbraue und Helmkante übrig. Vorgeschrieben wären zwei Fingerbreit Abstand, damit die Sicherheit gewährleistet ist.

Sandrine Mischler hat sich durch alle Velohelme probiert, am Schluss bleibt immer fast eine Handbreite Abstand zwischen Augenbraue und Helmkante übrig. Vorgeschrieben wären zwei Fingerbreit Abstand, damit die Sicherheit gewährleistet ist. (Foto: Daniel Faulhaber)

Von allen Seiten wird mir eingetrichtert, beim Velofahren einen Helm tragen zu müssen. So ein Helm ist schön und gut, schützt mein Gehirn, jaja, passt aber blöderweise nicht auf meinen Kopf. Helme gibt es mittlerweile in den ausgeflipptesten Farben und Ausführungen, aber zieht man den ästhetischen Faktor mal ab, bleibt eine Plastikschüssel, von deren Gebrauch einige Menschen ausgeschlossen sind. Nicht aufgrund der farblichen Variation oder den verfügbaren Grössen.

Sondern wegen des Designs. Das macht es mir unmöglich, meine Afro-Haare unter einen Helm zu bekommen. Ich habe den Eindruck: Den meisten von uns ist die ungleiche Sicherheitslage im Strassenverkehr gar nicht bewusst. 

Auch Menschen mit glatten Haaren wissen: Ein High-Bun kommt unter einem Helm nicht in Frage und ein Afro schon gar nicht. Das heisst nicht, dass Afrohaar partout nicht unter den Helm passt, mit anderen Frisuren wie Cornrows, Twists oder Braids wäre das Helmtragen kein Problem. Aber meine Frisur von einem Helm bestimmen zu lassen, passt nicht in meine Art von Selbstbestimmung.

Was Menschen mit glatten Haaren tun können, kann ich nicht: Ich kann meinen Rossschwanz oder High-Bun nicht einfach für die Fahrt kurz aufmachen. Schliesslich habe ich meine Haare mit einer Creme und einem Gel glatt gebürstet, um den sogenannten Slick-down-Look zu erzielen. Das ist aufwendig sag ich euch, der Slick-down-Look dauert gut und gerne 25 Minuten. Das ist einfach zu lange, um die Frisur für die Velofahrt zu öffnen und sie am Zielort neu zu machen.

Die Auswahl für Velohelme ist üppig. Allein, sie scheint für eine sehr eng eingeschränkte Zielgruppe gedacht zu sein.

Die Auswahl für Velohelme ist üppig. Allein, sie scheint für eine sehr eng eingeschränkte Zielgruppe gedacht zu sein. (Foto: Daniel Faulhaber)

Wenn ich meine Locken vor dem Spiegel perfektioniere, dann packe ich meine Haare nach der investierten Zeit nicht unter einen Helm. Denn zum Dank würde ich eine Frisur kriegen, die aussieht wie die Innenseite eines Helms. Edgy, aber nein danke.

Dazu fällt mir gerade ein Bild meiner Cousine mit ihrem Afro ein, der sich der Form ihres Hutes angepasst hat. Dazu sagte sie: «Wear the hat, become the hat».

Wer jetzt denkt, ich übertreibe, weiss nicht, wie viel Arbeit und Geld in diesen Haaren steckt. Die Locken wollen geliebt, gepflegt und perfektioniert werden. Einzelne Haar-Produkte kosten im Afro-Laden meistens zwischen 10 und 30 Franken, wenn nicht sogar mehr. Das letzte, was ich dann machen möchte, ist die Frisur für eine kurze Fahrt zu versauen. Die Wichtigkeit, meine Frisur zu schützen, überwiegt. Klingt blöd, ist aber wahr.

Ich fange an, mich langsam darüber zu nerven. Meine Antwort auf die Frage, wieso ich keinen Helm trage, ist immer ein Verweis auf meine Haare, begleitet von einem augenrollenden Blick meinerseits. Irgendwann habe ich mir die Frage gestellt, wie es möglich sein kann, dass ich mich mit diesem Problem herumschlage, während andere das nicht müssen.

Gleichzeitig fange ich an, mir Gedanken über die Form und Nutzbarkeit von Alltagsgegenständen zu machen, in der Fachsprache nennt man das «Design Thinking». Nicht das Produkt als ästhetisches Objekt, sondern dessen Funktion und das Bedürfnis der Benutzer*innen sollen dabei im Vordergrund stehen. Beim Helm werden diese Kriterien nur für gewisse Personen erfüllt, denn auf meine Bedürfnisse ist sein Design nicht angepasst. Mich lässt der Gedanke nicht los, dass definitiv ein Teil des Thinkings ausgelassen wurde.

«Edgy, aber nein Danke!»

«Edgy, aber nein Danke!» (Foto: Daniel Faulhaber)

Ich habe mir probehalber überlegt: Wie müsste so ein Helm aussehen, damit das Design inklusiver funktioniert und auch Menschen mit Afrohaar einschliesst? Eine Möglichkeit könnte ein Helm sein, der sich in seiner Breite genug ausdehnen lässt. So könnte die Grösse je nach Bedürfnis angepasst werden. Eine andere Idee wäre die Integration eines Seidentuches, um die Struktur der Locken zu erhalten. Richtig fancy wäre natürlich eine Kombination, eventuell sogar aus einem anpassungsfähigeren Material besonders die Innenseite des Helmes.

Ob dies auch so umgesetzt und gleichzeitig der gewünschte Schutzfaktor gewährleistet werden kann, kann ich nicht beurteilen. 

Zielgruppe Velohelm: Leider weiss

Ich schlage meinen Laptop auf und fange ohne grosse Erwartungen an zu recherchieren. Neben einigen Ratschlägen, wie Protective Hairstyles (Twists, Braids) zu tragen, den Helm eine Grösse grösser zu kaufen oder die Haare unter dem Helm mit einem Seidentuch zu schützen, lässt sich aber nichts Hilfreiches, oder gar ein Verweis auf einen für mich geeigneten Velohelm finden. Sämtliche Werbungen von verschiedenen Velohelmen zeigten ein homogenes Bild, die Zielgruppe scheint klar zu sein. Keine der abgebildeten Personen hat Afrolocken und Schwarze Frauen fehlen fast komplett.

Kann ich hier so weit gehen und von einer Art der Diskriminierung sprechen? Werden durch die fehlende Repräsentation nicht gleichzeitig die nicht abgebildeten Personen vom möglichen Kundensegment – und damit auch vom Gebrauch dieses unter Umständen überlebenswichtigen Objekts – ausgeschlossen? Es ist zwar nicht geplant, dass ich ausgeschlossen werde, das will ich niemandem unterstellen. Aber es passiert trotzdem. Geht die Velohelmbranche nicht davon aus, dass Menschen mit einem Afro Velo fahren?

Auf der Website des Air-Bag-Helmes wird ein Afro oder Dreadlocks von den Hersteller*innen als problematische Frisur für den Gebrauch des Helmes bezeichnet. Schon das Wort «Problem» verweist darauf, dass meine Haare und ein Velohelm angeblich in einer schwierigen Beziehung zueinander stehen, um nicht zu sagen: Nicht zu vereinbaren sind.

Wie soll ich mich dann schützen? Der Afro alleine reicht ja zum Schutz nicht aus. Auf einen Versuch will ich es auf keinen Fall ankommen lassen. Ein Ausrutscher im Design Thinking der Hersteller*innen? Also nein! Wohl eher ein Ausdruck privilegierten Denkens, dass die eigene «Form», das eigene Sein zum Massstab macht.

Es ist nicht so, dass ein Afro und ein Velohelm grundsätzlich nicht vereinbar sind miteinander, sie werden nur nicht zusammen gedacht. Einige würden dies als «Black Hair Struggles» bezeichnen, aber wieso müssen meine Haare die Verantwortung übernehmen? Nicht meine Haare sind schuld, dass ich keinen Helm tragen kann oder will. Es ist der Mangel an Afro-freundlicher Ausrüstung, der für mich ein sicheres Velofahren verhindert.

Würde gerne sicher Velofahren: Sandrine Mischler.

Würde gerne sicher Velofahren: Sandrine Mischler. (Foto: Daniel Faulhaber)

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Sandrine Mischler studiert Kulturanthropologie und Soziologie an der Uni Basel und ist im Kleinbasel zu Hause. Sie fährt täglich Velo und macht sich Gedanken zu den Dingen, die sie im Alltag umgeben, die sie dort überraschen oder irritieren.

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