Es Müllert wieder
Kulturjournalistin Esther Schneider hat den Kultkrimi-Autor Raphael Zehnder getroffen und mit ihm über seinen neusten Roman «Müller und der Himmel über Basel» gesprochen.
Am kommenden Donnerstag, 16. Februar, liest ab 19 Uhr Raphael Zehnder im Quba an der Bachlettenstrasse 7. Dazu gibt es einen Apéro. Der Eintritt ist frei, Kollekte ist erwünscht. Anmelden kann man sich unter: [email protected] oder unter der Telefonnummer: 061 281 81 33 (während Ladenöffnungszeiten).
Der Autor wurde 1963 in Baden, Kanton Aargau, geboren und verdiente sein Geld als Schallplattenverkäufer, Nachtwächter und Musikjournalist, bevor er Französisch und Latein studierte und in französischer Sprach- und Literaturwissenschaft promovierte. «Müller und der Himmel über Basel» ist sein neunter Krimi, sein vierter mit Schauplatz Basel. Er lebt mit seiner Familie im Bachlettenquartier und arbeitet als Kultur-Redaktor beim Schweizer Radio und Fernsehen SRF.
«Irgendwas ist immer», sagt Kommissär Müller von der Kriminalpolizei Basel. Er wird gerade ziemlich auf Trab gehalten durch seltsame Bagatellfälle. Kleine Delikte, aber sie häufen sich. Und seltsamerweise trifft es besonders rücksichtslose Jungunternehmer und ultraliberale Politiker. «Ist das Zufall», fragt sich Müller, «oder steckt da mehr dahinter»? Der neunte Kriminalroman von Raphael Zehnder hat den Titel «Müller und der Himmel über Basel» und er ist Milieustudie, Gesellschaftskritik und Satire. Und: Er kommt ganz ohne Mord aus.
Raphael Zehnder, ein Krimi ohne Mord. Da unterscheidet sich dein Krimi fundamental von den skandinavischen Krimis, die das Morden zelebrieren.
Ja, das mag ich eben überhaupt nicht. Aus meiner Sicht ist das völlig überzogen. Da geht es oft nur um die Darstellung von Brutalität. Alles muss möglichst dunkel und sinister sein. Das gefällt mir nicht. Deshalb schaue ich auch keine TV-Krimis, weil da die Regisseure vor allem Lust haben, den Schrecken zu zeigen, das Entsetzen der Opfer, das Blut. Ich finde, man kann auch Krimis schreiben, ohne dass immer Mord und Totschlag vorkommen.
Aber auch bei dir gibt es manchmal Tote.
Natürlich, es ist eine Konvention in den Krimis, dass am Anfang ein Mord geschieht, die Polizei dann ermittelt und der Fall gelöst wird. Aber das Morden steht bei mir nicht im Zentrum. Zwar gibt es auch im neusten Krimi eine Tote. Aber es ist kein Mord. Dafür geschehen sonst seltsame Dinge.
Du sagst es. Eine Reihe von Anschlägen schreckt die Bevölkerung von Basel auf. Seltsamerweise trifft es Leute, die ein besonders rücksichtsloses Verhalten an den Tag legen. Du richtest in deinen Krimis den Blick gerne auf Missstände, auf die sozial Schwächeren. Ich spüre da ein gesellschaftskritisches Engagement.
Ich gehe mit wachen Augen durch die Welt. Ich will Krimis schreiben, die mit der Realität zu tun haben. Meine Geschichten sollen sich reiben mit dem, was ich tagtäglich sehe. Zum Beispiel, die zunehmende Gentrifizierung der Innenstadt oder die Vereinsamung bei den Menschen, vor allem bei den alten Menschen. Daher führt eine Fährte im neuen Krimi ins Altersheim. Mir ist aufgefallen, dass alte Menschen zunehmend an den Rand gedrängt werden. Sie werden unsichtbar.
Hat Corona diese Entwicklung verstärkt?
Ja, seit Corona spüre ich Animositäten gegenüber alten Menschen. Sie seien volkswirtschaftlich nicht mehr nützlich, nähmen anderen günstige Wohnungen weg etc. Ich sehe alte Leute alleine mit dem Rollator, sehe wie sie an der Kasse ihr Kleingeld zusammenkratzen, um Grundnahrungsmittel zu kaufen. Das sind Entwicklungen, die mir nicht gefallen. Und auf der anderen Seite sind da Leute, die sich rücksichtslos ihre Taschen füllen. Die dann das Reichwerden als Leistung verkaufen. Wie es anderen, weniger gut gestellten Menschen geht, ist ihnen völlig egal. Reiche gelten als Vorbilder, weil sie es geschafft haben, viel Geld zu verdienen. Aber ich finde, reich zu sein ist keine Leistung.
Aaaah, da lag doch diese Leiche.Raphael Zehnder, Kultkrimi-Autor
Tatorte spielen in Krimis eine zentrale Rolle. Wie suchst du deine Tatorte aus?
Ich bin häufig mit dem Fahrrad oder zu Fuss unterwegs. Da fallen mir manchmal Orte auf, bei denen ich denke: Das wäre ein idealer Tatort. Ein Ort, der besonders hässlich ist oder genauer gesagt: unspektakulär hässlich. Orte, an denen ich schon x-mal vorbeigegangen bin, ohne dass ich realisiere, dass dieser Ort überhaupt existiert. Im neusten Krimi «Müller und der Himmel über Basel», wo ein ultraliberaler Unternehmer ein Wurfgeschoss an den Kopf bekommt, ist es ein Ort mit Kreisverkehr, Einmündungsstrasse und einer Eibenhecke.
Ein Unort also?
Genau, ich gehe da vorbei, schaue mir diesen Ort an und denke, die Stadtplaner hatten einfach keine Idee, was sie da machen könnten. So begrünen sie ein bisschen mit einer Hecke, von der man nicht weiss, ist sie aus Plastik oder ist sie biologisch tot. Das ist ein idealer Tatort. Und Tatorte lassen mich auch nicht mehr los. Manchmal, wenn ich mit meiner Familie heute an Tatorten aus meinen Krimis vorbeikomme, sagen wir: Aaaah, da lag doch diese Leiche.
Natürlich habe ich meine Familie, meine Freunde hier. Aber der Müller ist für mich schon eine wichtige Person.Raphael Zehnder, Kultkrimi-Autor
Noch ein Wort zu deinem Kommissär Müller. Anders als es heute Mode ist, hat er keine Eheprobleme, ist auch nicht alkoholsüchtig. Er ist so ziemlich normal. Er begleitet dich seit neun Krimis. Wurde es dir noch nie langweilig mit ihm?
Nein, nie. Er wohnt ja bei mir im Quartier 4054. Ich kreuze ihn manchmal in der Migros. Wenn ich durch das Küchenfenster rausschaue, durch den Hinterhof, sehe ich sein Fenster. Sehr häufig hat es bei ihm kein Licht. Dann weiss ich, er ist im Einsatz. Bei den ersten fünf Krimis war er noch in Zürich, obwohl ich schon in Basel lebte. Und da hat er mir im Alltag gefehlt.
Und du scheinst ihm auch gefehlt zu haben.
Zumindest hat er sich dann bei der Kriminalpolizei in Basel beworben und ist auch hierhergezogen. Natürlich habe ich meine Familie, meine Freunde hier. Aber der Müller ist für mich schon eine wichtige Person. Ich bin froh, dass er jetzt auch da ist. Langweilig wird es mir mit ihm nie. Und ich schätze es, dass er ein freundlicher und umgänglicher Mensch ist und er mir nicht mit Eheproblemen und Alkoholsucht auf die Nerven geht.
Dein neuster Krimi hat ein besonderes Merkmal. Er ist gespickt mit Songtiteln. Und davon sind auffällig viele New Wave und Punk: Wie kommt das?
Ich bin ein alter Punk. Musik von Clash, Sex Pistols war der Anfang meiner kulturellen Sozialisierung. Das ist ein starker Zug in meiner Musikbiografie. Ich höre das Zeug heute natürlich nicht mehr die ganze Zeit. Über meine Jungs bekomme ich auch mit, was sich heutzutage so tut. Und da bin ich sehr froh drum, weil mein Plattenregal zuhause sonst ein Museum wäre. Ich habe ja selber mehr als zehn Jahre in einem Plattenladen Musik verkauft, in der Übergangszeit von Vinyl zu CD. Und danach habe ich als Musikjournalist für Printmedien geschrieben. Deshalb habe ich noch viele Musiktitel im Kopf. Und die schleichen sich dann, wenn es von der Bedeutung oder der Stimmung her passt, in die Geschichte rein. Und ja, dann tönen meine Krimis. Zum Beispiel nach «Talk of the Town» von Pretenders oder «Blue Monday» von New Order.
Das ganze Gespräch mit Raphael Zender ist zu hören im Podcast Literatur Pur von Esther Schneider. Die erfahrene Literaturjournalistin interviewt regelmässig Schriftsteller*innen. Wir von Bajour dürfen die Gespräche als schriftliche Interviews aufbereiten. Weil Literatur es wert ist.
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