Über eine stille Rebellion gegen die Erschöpfung
Es ist anstrengend, eine Frau zu sein. So die Kernaussage der Tanzperformance «Warning for Contemplation», welche am Samstag im Roxy in Birsfelden gezeigt wurde. Es geht um die Frage, was es bedeutet, eine Frau zu sein und wie diese sich von Erwartungen lösen kann. Ein Abend mit mehr und weniger Spannung.
Das Licht geht aus und der Saal füllt sich mit Nebel. Leise setzt Musik ein. Auf der Bühne liegen vier Frauen und bewegen sich zur anschwellenden Musik. Sie tragen Perücken; langes, lockiges Haar fällt über ihre Schultern – ein Sinnbild für die Weiblichkeit. Denn darum geht es in der Tanzperformance «Warning for Contemplation» von Elenita Queiróz. Die Choreografin setzt sich mit der Frage auseinander, was es bedeutet, Frau zu sein. Für sie ist es vor allem etwas: Erschöpfung.
«Frauen müssen immer in allem gut sein, immer den Erwartungen entsprechen und gleichzeitig die eigenen Bedürfnisse zurückstecken», so Queiróz. Eine andere Tänzerin definiert ihre Rolle als Frau so: «Ich will kein Bild erfüllen, das überall um mich herum existiert. Ich will nicht lügen. Manchmal will ich nicht mal etwas sehen.»
Ein Wechselspiel zwischen Spannung und Ruhe
In der Choreografie verdeutlicht sie diese Ambivalenz vor allem mit Gegensätzen: Energische Szenen folgen auf ruhige Momente, schlaffe Körper, schwere Köpfe und müde Gesichter. Thematisiert wird auch die Beziehung zwischen den Frauen: Lässt eine den Kopf hängen, kommt eine andere und stützt sie. Sie helfen sich gegenseitig beim Schuhe ausziehen und fangen sich auf, bevor eine fällt.
Das Stück ist kraftvoll, was insbesondere der von Raoul Nagel komponierten Musik zu verdanken ist. Sie bringt das Gegenspiel zwischen Tempo und Stillstand, zwischen Spannung und Anspannung überhaupt erst zum Ausdruck. Und das ist kein Zufall: Queiróz legte Wert auf die passende Musik und setzte sich zum Ziel, eine filmische Musiklandschaft zu kreieren. Sie sagt dazu: «Musik hat die Kraft, uns zu tragen. Ich wünschte, es gäbe zu jeder Situation in meinem Leben einen passenden Song.»
Elenita Queiróz lebt und arbeitet seit 2016 als freischaffende Choreografin, Performerin, Tanzpädagogin und Kulturmanagerin in St. Gallen. Sie absolvierte ihre Ausbildung im Bereich Pädagogik und Tanz an der UNICAMP – Campinas State University in Brasilien –und schloss 2018 den Master in Expanded Theater an der Hochschule der Künste Bern (HKB) ab. Sie lebt mit ihrem Mann und dem dreijährigen Sohn in St. Gallen.
Dieser Widerspruch von Kraft und Erschöpfung wird insbesondere im ersten Akt deutlich. Irgendwann legen die Frauen ihre Perücken ab, was als Befreiung weiblicher Stereotype interpretiert werden kann. Nur bleibt die erwartete Kraft der Rebellion aus. Stattdessen passiert nicht mehr viel. Die Szenen werden langwieriger, wiederholen sich, die Spannung aus dem ersten Akt ist verschwunden. Was zunächst eine kleine Enttäuschung auslöst, könnte auch als bewusstes Stilmittel verwendet worden sein. So beschreibt Elenita Queiróz ihr Stück als eine «stille Rebellion». Eine Rebellion, die eben genau durch diese Zurückhaltung zum Ausdruck gebracht wird. Wobei sich hier die Frage stellt: Sind Stille und Rebellion nicht schon im Grundsatz ein Widerspruch?
Gegen das Patriarchat und sich selbst
Generell zeichnet das Stück ein recht einseitiges Bild der Frau. Die Frau als Opfer, die sich ständig im Kampf befindet: gegen die Gesellschaft, das Patriarchat, sich selbst. Frauen würden den Wunsch nach Erlösung in sich tragen, sagt die Choreografin. Aber: Wer soll uns denn erlösen? Und wovon? Wäre es nicht zielführender, wir würden uns von dieser passiven Opferrolle lösen; aus der stillen eine laute Rebellion machen und selbst aktiv werden, statt auf die grosse Befreiung zu warten?
Das Stück zeigt, wie emotional die Debatte rund um Weiblich- und Männlichkeit ist und dass es dafür keine klaren Definitionen gibt, sondern massgeblich von den eigenen Erfahrungen geprägt ist. Die Idee für dieses Stück hatte Elenita Queiróz vor drei Jahren, als sie Mutter wurde. Plötzlich musste sie neben ihren Rollen als Partnerin, als Choreografin, als Tanzlehrerin und als Tänzerin auch noch als Mutter funktionieren. «Es fühlt sich an, als würde ich jeden Tag kollabieren», beschreibt sie diese Gratwanderung. Und über diese Mehrbelastung, die viele Frauen hinnehmen (müssen), lohnt es sich zu sprechen.
Die Tanzperformance «Warning for Contemplation» wurde am Samstag im Roxy in Birsfelden gezeigt.
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