Das Jüdische Museum beschreitet eine neue Epoche
Das neue Jüdische Museum der Schweiz öffnet an der Basler Vesalgasse seine Tore und lädt zu einer Reise durch die Geschichte des Judentums in der Schweiz ein. Bajour hat vorab Einblicke in die Schau erhalten, die erkenntnisreich und überraschend zugleich ist.
Am Sonntag ist es soweit: Das Jüdische Museum der Schweiz weiht seine neuen Räumlichkeiten ein und präsentiert seine neue Dauerausstellung zu Kult, Kultur und Kunst. Wer sich in dem aufwändig umgebauten Holzgebäude an der Vesalgasse umschaut, dem wird schnell klar, dass es in der Schau viele Hingucker gibt und auch viele Stationen, die zum Mitmachen einladen.
Gezeigt wird die Geschichte des Judentums vom römischen Altertum bis zur Gegenwart in der Schweiz – und es gelingt den Verantwortlichen, die Historie erlebbar zu machen und jeden einzelnen Aspekt auf die Menschen herunterzubrechen, um die es in der Geschichte geht.
Das Motto der Ausstellung lautet «Einzigartigkeit und Vielfalt erleben: Jüdische Kultur als Teil der Schweizer Identität». Auf rund 325 Quadratmetern sind Geschichte und Gegenwart dargestellt. Insgesamt präsentiert das Museum nun rund 500 Objekte, darunter etwa 150 Leihgaben oder Dauerleihgaben aus privaten und institutionellen Sammlungen.
Die Ausstellung ist in verschiedene Kapitel eingeteilt: «Kult» bringt den Besucher*innen den Zusammenhalt der jüdischen Gemeinden nahe. Man erfährt, dass es zehn Menschen braucht (einen «Minjan»), um überhaupt einen Gottesdienst durchführen zu können. Und es wird aufgezeigt, was die jüdische Gemeinschaft ausmacht und was verbindende Elemente sind. Nadia Guth Biasini, Präsidentin des Vereins für das Jüdische Museum der Schweiz, die Bajour durch die Ausstellung führt, erklärt: «Gottesdienste und die Thora halten das Judentum zusammen.»
Denn die Thora wird das ganze Jahr über komplett in der Synagoge gelesen. Einzelne Geschichten aus der Thora sind in der Ausstellung anschaulich mit Drucken von Marc Chagall bebildert, die Teil seiner umfangreichen Serie von Illustrationen zu biblischen Themen sind.
Im Gegensatz dazu stehen andere moderne Kunstwerke wie eine grosse Filminstallation von Hadassa Goldvicht. Darin ist eine Frau zu sehen, die Buchstaben aus der Thora versüsst mit Honig isst. «Wir möchten Geschichte erlebbar machen, aber auch das Judentum in der Moderne zeigen. Ganz nach dem Motto: Wir sind neu, wir sind alt und wir sind bunt», sagt Nadia Guth Biasini. «Wir möchten gleichermassen ein kultureller Anziehungspunkt wie auch ein lebendiger Lernort sein», sagt sie. Wichtig ist ihr zu betonen, dass jüdisches Leben ein prägender Teil der Schweizer Identität und zugleich eine wichtige Konstante unserer Geschichte ist.
Langweilig wird es nicht während der Führung durch die Schau, denn es gibt viel zu entdecken wie Kippas in FCB-Farben oder persönliche Anekdoten und Erinnerungsstücke, die das Museum sammelt: «Wir möchten Besucherinnen und Besucher in die Ausstellung einbinden und sie einladen, ein Teil von ihr zu werden», sagt Guth Biasini. Bei den Stationen «Sammeln in Echtzeit» können Menschen eigene Gegenstände, Bilder oder Briefe einsenden.
Und wer mal eine Pause braucht und sich alle Eindrücke durch den Kopf gehen lassen möchte, bevor es in den zweiten Stock zum Kapitel «Kultur» geht, kann sich auf alten Holzmöbeln niederlassen, die an Schulmöbel erinnern und aus der jüdischen Gemeinde in Solothurn stammen. Stolz ist Guth Biasini auch auf das älteste Exponat der Ausstellung, einen Menora-Ring aus dem 4. Jahrhundert, der die historische Verwurzelung des Judentums in der Schweiz belegt.
In der Abteilung «Kultur» stehen Themen wie Herkunft, Selbstbestimmung und Überleben – in guten wie in schlechten Zeiten – im Mittelpunkt. Es wird deutlich, dass das Verhältnis zur nichtjüdischen Umgebung vom Streben um Gleichberechtigung, von der Entwicklung städtischer Gemeinden, von Antisemitismus und Selbstbehauptung bestimmt war.
Gleich zu Beginn verweist Naomi Lubrich, Direktorin des Museums, auf einen typisch schweizerischen Aspekt: «Das besondere in der Schweiz ist, dass hier Juden aus Osteuropa, aber auch aus dem Maghreb und aus der Türkei eingewandert sind.» Dieser Fakt zeige auf, dass das Schweizer Judentum anders und vielfältig ist. «Hier begegnen sich elsässische und osteuropäische, maghrebinische und amerikanische Traditionen», sagt Lubrich, die die Ausstellung gemeinsam mit ihrem Team kuratiert hat.
Aufgezeigt wird dies anhand von Familiengeschichten und Objekten, die dem Museum geschenkt wurden. Vertreten ist auch die aus Istanbul stammende Basler Künstlerin Renée Levi mit ihrem modernen Kunstwerk «Keine Kleinigkeit» aus dem Jahr 2002, in dem Levi das Aussehen und die Grösse ihrer (jüdischen) Nase thematisiert und auf antisemitische Klischees verweist. Neben dem Antisemitismus nimmt auch der Nationalsozialismus einen Platz in der Schau ein.
«Wir haben uns gefragt, wie wir ihn thematisieren und uns dazu entschlossen, Berichte von Juden auszustellen. Es sind Briefe aus Bergen-Belsen, Gewaltberichte und persönliche Notizen, die Antisemitismus aus Sicht der Opfer nachvollziehbar werden lassen», erzählt Lubrich. Gezeigt werden aber auch eindrückliche Geschichten wie die des Schweizer Diplomaten Carl Lutz, der im Zweiten Weltkrieg in Budapast 62’000 Juden das Leben rettete.
Nadia Guth Biasini und Naomi Lubrich sind im Gespräch mit Bajour sichtlich erleichtert, dass die Umbauphase vorüber ist und das Museum nun eröffnet. Neben dem normalen Museumsalltag, der nun wieder losgeht, gibt es aber auch andere Themen, die das Museum beschäftigen, denn: «Provenienzforschung ist auch für uns ein wichtiger Punkt», sagt Lubrich. Einige Kunstwerke wurden in jüdische Museen gerettet oder an sie verkauft. «Wir müssen und möchten heute herausfinden, wer die rechtmässigen Erben sind und nehmen diese Aufgabe sehr ernst», sagt die Museumsdirektorin.
Erst einmal aber freut sie sich auf viele neugierigen Besucher*innen, die den Weg ins neue Jüdische Museum finden. Empfangen werden sie im Erdgeschoss von der aktuellen Sonderausstellung «Frontispiz» mit Werken des US-Künstlers Frank Stella.
Ralph Friedländer, Präsident des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, betont an der Medienkonferenz anlässlich der Eröffnung des Museums: «In einer Zeit, in der unser Zusammenleben vor grosse Herausforderungen gestellt ist, setzt das Jüdische Museum der Schweiz in Basel ein starkes Zeichen: für Dialog, für Respekt und für ein gemeinsames Erinnern.» Und er verweist darauf, dass das Jüdische Museum der Schweiz 1966 das erste Museum seiner Art im deutschsprachigen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen ist. Nun beschreitet es eine neue Epoche.