Albert Hofmanns letztes Geschenk
«Die Ritter des Mutterkorns» von Jörg Pohl und Rocko Schamoni nimmt den wichtigtuerischen Kreis der LSD-Jünger auf die Schippe. Ein alberner Trip, der etwas zu lange dauert.
LSD ist zurück auf der Basler Bühne. Nach Brandy Butlers Oper «Mitosis» im April in der Kaserne ist das Stück «Die Ritter des Mutterkorns», das am Freitag im Schauspielhaus Premiere feierte, bereits die zweite grosse Produktion in diesem Jahr. «Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los», heisst es in Goethes Zauberlehrling – dasselbe trifft auf Basel, Albert Hofmann und sein «Sorgenkind» LSD zu. 1938 entdeckte es Hofmann erstmals hier im Sandoz-Labor, in den 1960ern wurde es zu einem popkulturellen Massenphänomen, bis heute ist die Substanz von globalem Interesse.
Das Goethe-Zitat ist nicht zufällig gewählt, denn es wird zu Beginn von «Die Ritter des Mutterkorns» selbst zitiert. Die «psychedelische Klamotte» von Jörg Pohl und Rocko Schamoni setzt am Sterbebett von Albert Hofmann ein. Es ist der 29. April 2008, die globale Finanzkrise ist in vollem Gang – so liest es Hofmanns Haushälterin Marie Leclerc (gespielt von Marie Löcker) aus der Basler Zeitung vor. Der 102-jährige LSD-Entdecker (Jens Rachut), nur «Meister» genannt, sieht sein Ende nahen und begibt sich auf einen letzten Trip.
An Hofmanns Sterbebett kommt seine Bruderschaft: Fabius Abendroth (Fabian Dämmich), George Pohl-Wasson (Jörg Pohl) und der dümmliche Hans-Ruedi Knecht (Bärbel Schwarz), die sich selbst die «Ritter des Mutterkorns» nennen. Abendroth ist Ernst Jünger nachempfunden, mit dem Hofmann eng befreundet war und immer wieder LSD-Versuche durchführte. Pohl-Wasson stellt sich als Sohn von R. Gordon Wasson vor, einem einflussreichen New Yorker Banker und Mykologen. Knecht schliesslich ist der Sohn reicher Bauern aus dem Baselland, wo – um den Bedarf der Pharma zu decken – Roggenfelder gezielt mit dem Mutterkorn-Pilz (aus dem Hofmann das LSD entwickelte) infiziert wurden.
Der Meister will den drei Rittern am Sterbebett seine letzte Kreation hinterlassen: die Formel für sein neues «Wunderkind» LSD-1000, das der Welt endgültig die Augen öffnen soll. Doch Abendroth, Pohl-Wasson und Knecht stellen sich bei der Suche nach der geheimen Schatulle so blöd an, dass Hofmann die Formel und das zugehörige «Amulett der Auserwählten» schliesslich an Haushälterin Marie übergibt, die beides mit dem BMW des Ordens in die Firma zu Dr. Reitzenstein-Stollmann (Annika Meier) bringt. Dort angekommen, wird Marie zu Einsiedler Vanja Zimmerli (Jan Bluthardt) geschickt, um sich einer Gewissensprüfung zu unterziehen. Zimmerli, eine Anlehnung an Hippie-Guru Timothy Leary, erkennt Marie als Auserwählte, weil sie, im Gegensatz zu den Rittern, kein «pompöses Arschloch» sei.
Zwischenzeitlich hat Reitzenstein-Stollmann das LSD-1000 gebraut und die Ritter und sie schmieden Pläne, die Substanz in die «Spitzen der Gesellschaft» zu bringen – ans World Economic Forum in Davos, wo das Wundermittel zur Erleuchtung der Mächtigen und zur Lösung der Wirtschaftskrise führen soll. Schnell wird allerdings klar, dass die Ritter eine neue undemokratisch herrschende Elite, einen Philosophenstaat mit «Präsidentenkönig» herbeiführen wollen. Die Pläne der Ordensbrüder werden vorerst unterbunden, als Zimmerli und Marie die «Milch der Menschenliebe» nach dem Willen des Meisters an sich nehmen und in der Bank für Internationale Zahlungen in Basel bringen – «think global, act local». Mit dem Drämmli fahren Zimmerli und Marie dorthin und verabreichen die Substanz.
Die Banker*innen kommen zur Erleuchtung, doch das führt nicht etwa zur gewünschten Harmonie, sondern bei der Mehrheit aus Verzweiflung zum Freitod per Sprung aus dem Fenster. Etwas später trifft die Bruderschaft erzürnt in der BIZ ein, fesselt Marie und Zimmerli an den Putzwagen und nimmt das LSD-1000 per Helikopter mit nach Davos. Marie und Zimmerli können sich befreien und folgen ihnen mit dem Zug. Am WEF kommt es zum Showdown und zur grossen Verwirrung, die schliesslich dazu führt, dass Marie das ganze Fluidum abbekommt und selbst einen allmächtigen Trip erlebt.
Pohl und Schamoni, die nach «Immer Ärger mit Bartleby» zum zweiten Mal am Theater Basel zusammenarbeiten, gehen in ihrem Stück sehr frei mit den historischen Tatsachen um, es fallen Ereignisse und Personen zusammen, die eigentlich nicht zusammengehören. Diese Verdichtung und Verschiebung ermöglichen es den Autoren, das Ringen um LSD als Klassenkonflikt darzustellen: Marie, die einfache Haushälterin, und Aussteiger Zimmerli stehen für das gemeine Volk, die Ritterschaft für die wichtigtuerische Elite. Besonders Letztere wird durch die volle Ladung Albernheit zur Lachnummer.
Die Grundanlage des Stücks wird allerdings nur oberflächlich ausgehandelt, die konstruktiven Anstösse werden jeweils sofort wieder ins Absurde gekippt – eine verpasste Chance. Die dauerhafte und teilweise gesucht wirkende Komik macht «Die Ritter des Mutterkorns» etwas langfädig, die zwei Stunden fühlen sich eher wie zweieinhalb an. Entsprechend gemischt fielen am Freitag auch die Reaktionen des Publikums aus. Auf ganzer Linie überzeugen kann dagegen das Schauspielensemble, allen voran Marie Löcker in der Hauptrolle. Dass sie als Haushälterin letztlich als Einzige den Durchblick hat, ist bezeichnend. Ihre Erkenntnis bleibt als Take-Away der Premiere: LSD kann die Grundgedanken der Menschen nicht verändern, es bringt sie nur klarer zum Vorschein.
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«Die Ritter des Mutterkorns» am Theater Basel. Nächste Vorstellungen: 18.12., 19.12., 31.12., 03.01. 08.02., 21.02., 23.03., 27.03., 13.04., 18.04., 15.05. 17.05., 31.05. und 08.06.