Evelinn Trouble: «Die Scheinwelt ist wegen Corona zusammengebrochen»

Die Musikerin über die Folgen der Pandemie und die neue Wertschätzung der Kunst. Hier im Gespräch und heute Abend, Punkt 20.15 Uhr, im Livestream-Konzert bei Gärn gschee Kultur.

Trouble_Triptychon©Gregor Brändli
Ikonisch: Evelinn Trouble. (Bild: Gregor Brändli)

Krisen sind die treibende Kraft für Evelinn Troubles Kreativität. Doch neu zu starten gehört auch zur bürgerlichen Vita als Linnéa Racine. So mag die Musikerin am Telefon nicht über die gegenwärtige Situation klagen: «Diese aussergewöhnliche Lage zwingt uns, innezuhalten. Sie gibt uns eine kleine Chance, ein winziges Zeitfenster, um über manche Aspekte der Gesellschaft nachzudenken und sie zu verändern.»

Positive Tendenzen beobachtet die Musikerin bereits in den sozialen Netzwerken. «Bis vor kurzem hab' ich mich aus Social Media privat möglichst ferngehalten, denn alles war cool, alles war gut. Diese Scheinwelt ist dank Corona zusammengebrochen. Es fühlt sich nun dörflicher, menschlicher an und Kulturschaffende nutzen das Netzwerk auch als Galerie.»

Trouble hofft, dass dieses Umdenken der Menschen zu mehr Wertschätzung der Musikschaffenden führt: «Vor ein paar Jahren wurde ohne grosses Aufmucken der Öffentlichkeit akzeptiert, dass Musik im Internet gratis zur Verfügung steht. So gilt heute: Wenn jemand etwas für meine Musik bezahlt, ist das eine freiwillige Geste.» Doch die «generöse Geste» werde nun hoffentlich zur Normalität. Denn nun hänge die Existenz vieler Kulturschaffender davon ab. Und schlussendlich auch der Kultur selbst. 

Allerdings ist es nicht ganz einfach, die Menschen zu erreichen. Das merkte Evelinn Trouble, als sie letzten Freitag via Instagram und Facebook zum Kauf ihrer Shirts und Alben aufrief. «So erreiche ich genau meine Bubble – also wahrscheinlich meinen Freundeskreis und die Menschen, die an meine Konzerte kommen und schon am Merchandise-Tisch waren.»

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Instagram @evelinntrouble

Darum ihr Appell an die Medien: «Ohne Konzerte wird es noch wichtiger, über mehr Vielfalt im Radioprogramm, vor allem der staatlichen Radios, zu sprechen.» Das gibt zum einen Tantiemen. Zum anderen «haben sie den Auftrag, die ganze Kulturlandschaft der Schweiz abzubilden, nicht nur einen kleinen Teil davon». Das gäbe der Musikszene neue Möglichkeiten, Publikum zu erschliessen und etwas aufzubauen.

Umso mehr freut sich Evelinn Trouble auf den Auftritt auf der Bajour-Bühne: «Die Anfrage hat mich enorm gefreut, da kleinere Netzwerke für alternative Musiker enorm wichtig sind. Anscheinend werde ich nun auch als lokale Musikerin wahrgenommen.»

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Glück im Unglück

Ihre Gage spendet Trouble an die Kulturklinik. Also an Kulturschaffende, die derzeit in einer akuteren Lage sind. Trouble selbst habe Glück im Unglück, sagt sie: «Ich konnte meine Tour noch wie geplant fertig spielen. Mit den Einnahmen kann ich nun in die soziale Isolation abzutauchen, um mein neues Album fertigzustellen.»

Hören wir denn am Konzert heute Abend bereits neue Songs? «Ja!» verspricht Trouble – und auch die anderen Stücke im Set hat man hier noch auf keiner Bühne so gehört. Im Duo mit Altsaxofonist Tapiwa Svosve hat Trouble noch nicht in Basel gespielt. Auf der letzten langen Konzert-Runde von Wien nach Paris wurde unsere Stadt umkurvt.

Mangels Live-Mitschnitten im Netz gönnen wir uns an dieser Stelle stattdessen ihr letztes Video als audiovisuellen Appetitanreger. «Flat Earth Goodbye» war der Abschluss ihres musikalischen Adventskalenders und ein Abgesang auf das überhitzte 2019. Eine gelungene Neubelebung des gediegenen Genres der Grand-Hotel-Crooner:

Popgrössen beherrschen ja bekanntlich die Kunst, sich ständig neu zu inszenieren: David Bowie, Madonna, Evelinn Trouble – you name it. Doch was hat Trouble in dieser Aufzählung zu suchen?

Wer ist eigentlich diese Trouble?

Evelinn Trouble war 2018 der Königinnen-Transfer in der Basler Musikszene. Die heute 30-Jährige brachte viel internationale Erfahrung mit, vom Leben und Arbeiten in Metropolen wie New York, London oder Berlin – und natürlich ihrer Heimatstadt Zürich. Und schon im ersten Jahr am Rhein holte sie einen Titel für ihre neue Spielstätte: Erstmals wurde jemand aus der Basler Popszene mit dem Schweizer Musikpreis ausgezeichnet!

«Zu radikal für den Mainstream, sprengt die Ausnahmestimme die Grenzen der kleinen Schweizer Popwelt». So wurde die jüngste Preisträgerin ever in der Laudatio gepriesen – aber bei allem Kritikerlob: Tatsächlich ist die Chance grösser, dass man Trouble hierzulande als Backing-Sängerin von Sophie Hunger oder Stress gehört hat. Sie selbst beklagte in einem Interview vor eineinhalb Jahren das Pech im Business und kritisierte die hiesige Radiolandschaft, welche auf Mainstream-Acts setze, die Schoggi besängen.

Im Zweifel wird zertrümmert

Trouble sucht nicht den gutschweizerischen Kompromiss, diese Künstlerin geht auf Konfrontation. Auch mit sich selbst. Ihre Rollenwechsel sind keine Modelaunen. Es sind Brüche mit Vergangenem. Im Zweifel wird zertrümmert, Tabula rasa, Platz für Neues. Das ist der Karriere nicht nur förderlich, der Kunst schon eher.

In den 13 Jahren seit ihrem Debut-Album «Arbitrary Act», das sie komplett selbst eingespielt, produziert und anfangs auch vertrieben hatte, wechselte Trouble von Songwriter-Folk in LoFi-Ästhetik über pompöse Pop-Hymnen zu mäandrierendem Psychedelic-Rock. Als suche die Musikerin stets nach komplexeren Formen, um ihr Talent zu beweisen – dann überraschte sie vor zwei Jahren mit dem schnörkellos stringenten Pop von «Hope Music».

Ihren neuen Sound nennt Trouble einen positiven Kontrast zu ihrer Psyche. Damit auch jede*r den zynischen Twist schnallt, unterlegte sie im Video die Klischee-Bilder aus der Pop-Palette mit einer Karaoke-Spur zum Mitlesen: «The world we have will disappear and we all have a short time here, but I don’t wanna moan anymore.» Mitsingen? Vergiss es! Selbst wer bei ihren Oktaven-Läufen mithalten kann: Den Blues in allen Lagen halten, ohne ins Dramageträller zu verfallen, das bringt nur Trouble.

Und am Ende rettet «Hope Music» hoffentlich unser aller Seelen – zumindest für heute Abend.

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Wer den Link weiter oben verpasst hat: Hier ist nochmal dein Eintrittsticket zum Konzert von Evelinn Trouble von heute Mittwochabend, den 25. März. Um 20:15 gehts los. Sei pünktlich – aufregender als live wirds nimmer! Gerne weitersagen!

Kulturklinik, was ist das? Eine Selbsthilfe-Plattform für Künstler*innen in der Corona-Krise. Mehr dazu hier.

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Olivier Joliat

Bei Bajour als: Redaktor und Mischler

Hier weil: gute Menschen, gute Sache & im Chaos liegt der Charme

Davor: Journalist, Musiker, Buch- und Filmemacher, Surprise Strassensport, Velokurier

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Liebt an Basel: unglaublich unterschiedliche Kultur und Kulturen in einem Dorf

Vermisst in Basel: die Berge und das Meer

Interessensbindung: Mitglied beim RFV Basel, bei balimage & bajour, Schlagzeuger bei den Lombego Surfers

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