Eymann-Brief sorgt für Irritation

Im Vorfeld der Mass-Voll-Demo sowie der Gegendemonstration von «Baselnazifrei» appelliert Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann in einem Brief an die Parteien, die demokratischen Spielregeln einzuhalten. Die Linken weisen die Verantwortung von sich.

eymann demo polizei
Stephanie Eymanns Versuch, mit einem Brief an die Parteien für friedliche Demonstrationen zu sorgen, kommt nicht überall gut an. (Bild: Keystone / Georgios Kefalas (Collage: Bajour))

«Ich bitte Sie, wo nötig die demokratischen Spielregeln und Bedeutung des freien Meinungsaustausches in Erinnerung zu rufen – auch um der Bevölkerung und der ohnehin schon stark geforderten Kantonspolizei grössere Randale zu ersparen.»

Einen Brief mit diesem Schlusssatz schickte Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) vergangene Woche an die Basler Parteien. Das Schreiben sorgt nun für grosse Irritation – vor allem bei den Linken, die von einer Verantwortungsverschiebung sprechen. «Irritiert haben wir vom Schreiben, das uns per E-Mail erreicht hat, Kenntnis genommen. Wir sind befremdet von dieser versuchten Verantwortungsdelegation», schreibt zum Beispiel SP-Präsidentin Lisa Mathys an Stephanie Eymann. Aber der Reihe nach.

Der Hintergrund

Anfang November 2022 fand ein Austausch zu den Demonstrationen mit Vertreter*innen aus der Politik statt. Man habe sich dort auf «gewisse Spielregeln im Umgang mit Demonstrationen» geeinigt, schreibt Eymann, auch wenn man «nicht in allen Punkten einig geworden» sei. Nun kommt die Departementsvorsteherin auf diese Absprache zurück, denn: Am kommenden Samstag haben sich in Basel zwei Demonstrationen angekündigt.

Auf der einen Seite rufen Organisationen wie «Freunde der Verfassung», «Mass-Voll» und die Freiheitstrychler zu einer Trinationalen Demo «für Frieden, Freiheit und Souveränität». Erwartet werden neben Corona-Massnahmengegner*innen auch Mass-Voll-Nationalratskandidat Nicolas Rimoldi, der in der Vergangenheit aufgrund seiner Kontakte in die rechtsextreme Gruppierung «Junge Tat» in der Kritik stand, aber auch deutsche Politiker*innen aus der AfD. Die Demonstration wurde letzte Woche bewilligt (wenn auch mit einer anderen Route, als von den Organisator*innen bisher kommuniziert).

Corona-Massnahmenkritiker und Praesident von "Mass Voll" Nicolas Rimoldi auf dem Weg ins Luzerner Bezirksgericht, aufgenommen am Freitag, 11. November 2022 in Luzern. Rimoldi muss sich wegen mutmasslicher Handlungen an Kundgebungen verantworten und zog begleitet von Trychlern, Fahnen und Transparenten zum Gerichtssaal. (KEYSTONE/Silva Schnurrenberger)
Mass-Voll (Nicolas Rimoldi in der Mitte) und die Freiheitstrychler an einem gemeinsamen Marsch im November 2022 in Luzern. (Bild: © KEYSTONE / SILVA SCHNURRENBERGER)

Dies rief die antifaschistische Gruppierung «Baselnazifrei» auf den Plan. Sie hat zu einer Gegendemonstration aufgerufen, mit welcher «der rechte Aufmarsch» verhindert werden soll. «Baselnazifrei» hat kein Bewilligungsgesuch eingereicht. Das aus mehreren Gründen, wie auf Anfrage zu erfahren ist*: «Um gegen Rechtsextreme auf die Strassen gehen zu wollen, brauchen wir keine Erlaubnis, wir finden es "normal" und angebracht», schreibt das Bündinis. «Ausserdem ist es mit der bisherigen Erfahrung für uns klar, dass wir keine Bewilligung bekommen würden. Für uns ist an diesem Tag wichtig, dass dieser rechte Aufmarsch nicht laufen kann.»

Im besagten Brief appelliert Eymann nun «an alle demokratischen Parteien, sich in aller Deutlichkeit von Gewalt zu distanzieren». Sie erinnert an das verfassungsmässige Recht der Demonstrationsfreiheit und daran, dass die Kantonspolizei die verschiedenen Interessen gegeneinander abwägen müsse. Ein Demonstrationsgesuch könne die Polizei nicht verweigern, «weil sie mit dem Inhalt und den Botschaften der Gesuchstellenden nicht einverstanden ist» oder weil «wie leider im vorliegenden Fall – mit einer gewaltbereiten Gegendemonstration zu rechnen ist». 

Linke sind «irritiert»

Die linken Parteien BastA!, SP und Grüne sind ob des Schreibens von Eymann empört und sprechen von einer Verantwortungsdelegation. In drei gemeinsam verschickten Antworten weisen sie die Verantwortung für die «Wahrung der Grundrechte» zurück an die Sicherheitsdirektorin.

Lisa Mathys, Grossrätin und Präsidentin SP BS
SP-Präsidentin Lisa Mathys hat kein Verständnis für den Brief von Stephanie Eymann. (Bild: Kim Culetto)

«Irritiert» habe die SP von Eymanns Schreiben Kenntnis genommen, schreibt Präsidentin Lisa Mathys. «Wir sind befremdet von dieser versuchten Verantwortungsdelegation.» Die SP werde und könne die Verantwortung für «die heikle Situation am kommenden Samstag» nicht übernehmen. «Diese Situation entsteht durch den angekündigten Aufmarsch einer Gruppierung, die rechtsextremes, anti-demokratisches Gedankengut teilt, Verschwörungstheorien verbreitet und mit international unter Beobachtung stehenden Rechtsextremen gemeinsame Sache macht», so Mathys. Sie erwarte, dass potenziell strafbare Handlungen konsequent verzeigt würden.

Auch Raffaela Hanauer, Co-Präsidentin der Basler Grünen, schreibt in ihrem Statement von «grosser Irritation». «Wenn Gruppierungen, die Verschwörungstheorien sowie antidemokratisches und rechtsextremes Gedankengut verbreiten, zu einer Kundgebung aufrufen, dann ist es Sache des JSD, auch mit Reaktionen aus der Zivilgesellschaft und einer damit einhergehenden Mobilisierung umzugehen», so Hanauer. Als zuständige Regierungsrätin wollen die Grünen Eymann daran erinnern, «dass die Zivilgesellschaft vielfältig ist und unsere Partei keine Verantwortung für diese Vielfältigkeit übernehmen kann».

Raffaela Hanauer
Raffaela Hanauer, Co-Präsidentin der Grünen, findet, es sei Sache des JSD, mit Reaktionen aus der Zivilgesellschaft umzugehen. (Bild: Webseite Grosserrat)

«Wir können nicht akzeptieren, dass Sie als Departementsvorsteherin versuchen, die Verantwortung für den Verlauf der bevorstehenden Kundgebung an uns zu übertragen», schreiben Sina Deiss und Nicola Goepfert von der BastA!. Sie finden es ausserdem «beunruhigend», wie Eymann die Gegendemonstration bereits im Vorfeld «vorverurteile» und «kriminalisiere» und diese «wörtlich als ‹linksextrem›, ‹gewaltbereit› und ‹randalierend›» brandmarke. Die beiden betonen ausserdem, dass der Austausch im November 2022 «zu keinerlei Einigung» geführt hat, sondern lediglich ein informeller Austausch gewesen sei.

Bürgerliche haben Verständnis

Verständnis haben hingegen die Bürgerlichen. So hat die LDP heute Vormittag eine Medienmitteilung verschickt, die zwar nicht explizit auf den Brief von Stephanie Eymann Bezug nimmt, ihr aber dennoch den Rücken stärkt. «Ich finde, die Parteien haben schon eine Verantwortung im Vorfeld von diesen angekündigten Demonstrationen», sagt LDP-Präsidentin Patricia von Falkenstein. «Sowohl die Linke als auch die SVP positionieren sich zu wenig gegen die beiden angekündigten Demonstrationen.» In Bezug auf die Gegendemo seien die «Linken in der Pflicht», weil sie «erwiesenermassen» Kontakte zu den Nazifrei-Demonstrant*innen hätten – und besonders, «weil die Juso zur Gegendemo aufruft», schiebt sie nach.

«Das heisst, dass sie versuchen sollten, eine Eskalation zu verhindern», ergänzt sie. Den Brief von Stephanie Eymann findet von Falkenstein legitim. «Im Vorfeld dieser Demos sollte alles versucht werden, damit es friedlich bleibt.» Das wolle auch die LDP, deshalb hätten sie heute einen Aufruf verschickt, «der sich an alle richtet und das einfordert».

Patricia von Falkenstein
LDP-Präsidentin Patricia von Falkenstein stärkt Parteikollegin Stephanie Eymann den Rücken. (Bild: Lucia Hunziker)

«Ich finde es gut, dass wir vorinformiert worden sind über die Praxis, mit der man diesen Demonstrationen begegnen will», findet auch SVP-Präsident Pascal Messerli. «Ich muss klar sagen, dass ich den Inhalt der bewilligten Demo nicht teile, aber es ist klar, dass man sie nur deshalb nicht verbieten kann.» Auf der anderen Seite gebe es eine Demo, die offenbar nicht den Kontakt zur Polizei suche. «Ich kann nachvollziehen, dass Frau Eymann dazu aufruft, dass wir uns als Parteien von Extremismus distanzieren müssen, da stehen wir schon in einer Verantwortung.» Messerli findet auch, dass die Linke das manchmal nicht genug macht. «Ich von meiner Seite habe jedenfalls schon mehrfach deutlich gesagt, dass ich mich von der Jungen Tat distanziere und das lebe ich in meiner Partei auch vor.»

Pascal Messerli, Grossrat SVP BS im Gespräch mit Bajour
Im Interview mit Bajour positionierte sich Pascal Messerli kürzlich deutlich gegen die Junge Tat. (Bild: Roland Schmid)

Und Stephanie Eymann? Macht sie die demokratischen Parteien tatsächlich mitverantwortlich für die angekündigte Gegendemonstration und Handlungen von «Baselnazifrei»? Schliesslich hatte sich 2018 bei der PNOS-Demo ein Bündnis fast aller Basler Parteien zu einer Gegendemonstration versammelt – fernab vom Demonstrationsort der PNOS, an welchem es dann zu einer Eskalation kam. Wie will Eymann gewährleisten, dass es am kommenden Wochenende nicht wieder zu einer Eskalation kommt?

«Grundsätzlich ist die Situation nicht eins zu eins vergleichbar», schreibt Mediensprecher Toprak Yerguz. «Leider müssen wir feststellen: Die Seite der Gegendemonstranten verweigert konsequent den Dialog und trägt zur Unsicherheit bei.» Die Kantonspolizei könne nur bis zu einem gewissen Grad deeskalierend wirken. «Die Teilnehmenden an Demonstrationen tragen die entscheidende Verantwortung, in welche Richtung sich ein Einsatz entwickelt», so Yerguz. Auch aus diesem Grund habe sich Stephanie Eymann mit dem Bajour vorliegenden Schreiben an die Parteien appelliert, sich in aller Deutlichkeit von Gewalt zu distanzieren.

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* Diese Begründung von «Baselnazifrei» wurde nachträglich ergänzt.

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