Ein Hoch auf die Niederlassung
Nach fünf Jahren in Basel hat Chefredaktorin Ina Bullwinkel die Niederlassungsbewilligung C bekommen und fühlt sich entsprechend: niedergelassen. Wie zu Hause wird man sich wohl nach zehn Jahren fühlen? Schweizerisch? Oder am Ende gar Baslerisch? Eine Migrationsgeschichte.
Nach fünf Jahren in Basel ist es so weit: Ich habe eine C-Bewilligung! Hurra! Von aussen betrachtet könnte man sagen: Die Integration schreitet voran. Aber wie integriert ist man nach fünf Jahren? Ich habe es vor etwa einem Jahr gewagt, mich Baslerin zu nennen – im Sinne einer Bürgerin dieser Stadt, die hier lebt und Steuern zahlt. Das kam nicht bei allen gut an. Ich lernte den Begriff «Heimatort» und dass ich einen solchen bis zur Einbürgerung nicht habe. Was absurd ist, weil mein eigentlicher Heimatort nach Schweizer Definition Bremen sein müsste und eigentlich nie Basel sein könnte. Ausländer*in ist man, zum*r Basler*in wird man gemacht? Wer hier 30 Jahre mit C-Bewilligung lebt und sich nie einbürgern lässt, gehört also nicht dazu. Gutes Standortmarketing im War for Talents sieht irgendwie anders aus.
Nun ja, jetzt bin ich nun mal hier und habe mich breit gemacht. So fühlt es sich zumindest mitunter an, wenn ich Tiraden gegen die Personenfreizügigkeit höre und mich frage, ob ich wenigstens eine gute oder schlechte Ausländerin oder grundsätzlich eine «zu viel» bin. Die Bevölkerungszahlen wachsen seit Jahrzehnten dank Leuten wie mir, wenn auch weniger stark als auch schon. In Basel leben fast 20’000 mehr Menschen als vor 25 Jahren. Bis 2045 kommen gemäss mittlerem Szenario des Amts für Statistik nochmal etwa 18’000 dazu.
Aber angesichts der historisch niedrigen Geburtenraten und der europaweit alternden Bevölkerung wissen wir, dass die Bevölkerung auf lange Sicht schrumpfen wird. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit. Wer zahlt dann in die Rentenkasse ein und macht all die Jobs, wenn die Rentner*innen nicht mehr können?
Nach fünf Jahren und ohne Pläne, das Land bald wieder zu verlassen, ist es schon bedauernswert, nicht darüber mitentscheiden zu dürfen, was im Kanton geschieht.
Die meisten Menschen wandern so wie ich aus der EU ein. Das halten manche für normal, andere für ein vertragsgemäss garantiertes Übel, dritte für eine nationale Bedrohung. Wir Ausländer*innen spüren genau, woran wir sind und dass wir – trotz Arbeit – unseren Wert erst einmal unter Beweis stellen müssen. In einem Einwanderungsland wohlgemerkt.
Abstimmen darf ich mit C-Bewilligung nicht; das hat der stimmberechtigte Teil der Basler Bevölkerung abgelehnt. Nach fünf Jahren und ohne Pläne, das Land bald wieder zu verlassen, ist es schon bedauernswert, nicht darüber mitentscheiden zu dürfen, was im Kanton geschieht. Würde ich im EU-Ausland leben, dürfte ich an Kommunalwahlen teilnehmen. Mir ist aber natürlich bewusst, dass ich mich nicht in der EU befinde, obwohl sich das im Dreiländereck schnell vergessen lässt. Hier spürt man auch keinen grossen Gegenwind gegen das neue Vertragspaket mit der EU, im Gegenteil. Basel lebt den grenzüberschreitenden Handel von Waren und Arbeitskräften jeden Tag und kennt dessen Vorteile.
Die Geburtenrate liegt inzwischen bei 1.33 Kindern auf der ewigen nach unten zeigenden Statistik. Das ist kein Wunder. Kinder sind zum Luxus geworden, den man sich fast nicht mehr leisten kann oder will.
In den USA kann man gerade beobachten, wie es aussieht, wenn ein rigoroses «Ausländer raus» nicht nur am Stammtisch gefordert, sondern überfallartig durchgesetzt wird. Dann fehlen die Menschen. Sogar die maximal unurbane Fachzeitung Schweizer Bauer berichtet über die gefährdete Obsternte in den USA, weil zu wenig lateinamerikanische Arbeiter*innen kommen. Dingdong! Was würde die einstige Bauernpartei dazu sagen, wenn es hierzulande den Landwirt*innen ähnlich ginge? Würde man immer noch mit EU-Bashing die Personenfreizügigkeit aufs Spiel setzen? Auch in Japan wird deutlich, wozu Abschottung führt: einem homogenen Rentnerclub, in dem die Altersvorsorge kollabiert ist und in dem junge Frauen angebettelt werden, doch mehr Kinder zu gebären, weil die Wirtschaft darbt.
Die mangelnde Familienfreundlichkeit der Schweiz stand damals übrigens auf der Contra-Seite, als ich überlegte, ob das Auswandern eine gute Idee wäre. Und ich wurde nicht enttäuscht: Den fehlenden vorgeburtlichen Mutterschutz und die nicht vorhandene Elternzeit habe ich am eigenen Leib gespürt. Wer Kinder kriegt, muss die Vereinbarkeit mit der Berufstätigkeit privat regeln. Das Schweizerische Zauberwort heisst Eigenverantwortung. Die Geburtenrate liegt inzwischen bei 1.33 Kindern auf der ewigen nach unten zeigenden Statistik. Das ist kein Wunder. Kinder sind zum Luxus geworden, den man sich fast nicht mehr leisten kann oder will. Wo wir wieder bei dem Punkt wären, warum es bis auf Weiteres Zuwanderung braucht. Und Menschen, die sich nach fünf Jahren integriert und willkommen fühlen. Wie übrigens mich.