Von einem der auszog, um Jassen zu lernen
Der Donnschtig-Jass in Oberwil bedeutet grenzenlose Euphorie in der Gemeinde. Die Show ist ein wilder Ritt – vor allem, wenn man nichts vom Jassen versteht. Möchtegern-Spieler David hat sich unters Volk gemischt.
Jassen ist eine Welt für sich. Das ist eines dieser Spiele, die lernt man in meinem Alter, Ende 20, nicht mehr – weil alle, die es einem beibringen könnten, schon zu viel davon verstehen. Entweder man wurde am Stammtisch geboren und trifft sich ab dann wöchentlich zu etwas zu ernst gemeinten Runden. Oder man kann es halt nicht. Mir liegen schon die Karten fern. Warum Schellen? Warum Eicheln?
Doch als Journalist will man sich ja in Welten wagen, die einem fremd sind. Also stehe ich an diesem Donnschtigabend in Oberwil auf dem Eisweiher zwischen Festbänken und Gerüsttürmen für Kameraequipment. Hier bretscht auch um 18 Uhr noch die Sonne mit erbarmungslosen 30 Grad runter. Allen läuft der Schweiss von der Stirn. An manchen Plätzen hat man sich mit Sonnenschirmen gewappnet, die Festbänke sind schon gut gefüllt.
Es hiess, man muss rechtzeitig kommen, um noch einen guten Platz zu kriegen. Die BaZ berichtete im Liveticker (!) zum Donnschtig-Jass, dass manche schon am Mittag ein schattiges Plätzchen reserviert haben.
Tatsächlich und unglaublicherweise ist um 18 Uhr nur noch eine Bank in der hintersten Ecke des Geländes frei. Dafür habe ich wenigstens einmal das ganze Festival-Gelände gesehen. Und man muss es wirklich als ein solches bezeichnen. Es gibt ein Zelt in der Mitte (dort findet dann der Jass statt), eine kleine Bühne im Publikum, eine grosse am Rande des Geschehens – und zusätzlich zu den zahlreichen Verpflegungsständen noch einen Sandkasten mit Tiki-Bar. Exotisch!
Im Vorfeld der Show versuche ich, zumindest ein paar Jass-Grundregeln zu erfahren. Noe erklärt sich dazu bereit und vergleicht es mit Uno. Ob das so zutrifft, weiss ich nicht.
Aber ich bin erleichtert, als ich mich im Publikum umhöre: Es sind einige dabei, die vom Jassen ebenfalls keine Ahnung haben und einfach wegen des Volksfests herkommen. «Arschlöchle ist lustiger», findet ein Junge, dem am Nebentisch gerade das Spiel beigebracht wird. Es sind sowieso viele Familien hier.
Dabei gibt es nicht mal Jahrmarktsprogramm, um die Kinder zu beschäftigen. Einige toben auf dem Fussballplatz nebenan – und werden von Teilen des Publikums hässig ermahnt, leise zu sein, als die Live-Meteo-Übertragung mit Wettermann Jan Eiken (ein Spross Oberwils!) geprobt wird.
Meine Planlosigkeit muss ich überspielen, als ich mich kurz vor Sendungsbeginn mit dem Jass-Team von Oberwil unterhalte. Sie sind der Grund, warum dieses Fest überhaupt in der 11’000-Einwohner*innen-Gemeinde stattfindet – sie gewannen vergangene Woche im Fernsehduell gegen das Team aus Binningen. Ich frage lieber nicht, was ein Ersatz-Jasser ist. Lieber, was an diesem Spiel überhaupt so besonders sein soll. Jasserin Corinne findet, dass es ein geselliges Spiel ist. Wenn es bei jeder Runde so zugeht wie hier, wo schon bei den Proben auf den Tischen getanzt wird, glaube ich das gerne.
Bei der Probe des endlosen Eröffnungsjubels geht man im Publikum sogar so steil, dass eine Festbank am Oberwiler Tisch bricht. Die Fernseh-Crew läuft hektisch durch die Bankreihen und das Eisweiher-Gelände wird abgesperrt. Wir erhalten die Ansage: Während der Sendung soll man nicht herumlaufen und schon gar nicht in die Wege der Kameras.
Und dann wird die Schlagermusik vom Band abgestellt, damit Moderator Rainer Maria Salzgeber (genannt Salzi) die Sendung eröffnen kann und wieder Schlager durch die Boxen dröhnt. Diesmal Beatrice Egli, ebenfalls vom Band, aber sie läuft dazu auch lippensynchron durch die Menge, die souverän vom Applaus zum rhythmischen Klatschen geswitcht hat.
Eglisau spielt heute gegen Davon – Fans von Ersteren schwenken eine riesige Fahne mit einem Steinbock drauf, Letztere haben Kuhglocken mitgebracht und bimmeln wie wild. Unpraktischerweise haben beide Fangruppen jeweils gelbe Trikots an. Wer war jetzt nochmal blassgelb und wer knallgelb? Zum Glück sind einige Davoser*innen noch grün:
Und auch sonst merke ich schnell: Wie Jassen geht, werde ich an diesem Abend nicht lernen. Die Sendung ist nicht sonderlich einsteiger*innenfreundlich. Ich bin noch verwirrter als zuvor. Es gibt auch einen Spieler, der nur per Telefon mitspielt und mit einem lustigen Foto auf den überall im Publikum ersichtlichen Bildschirmen eingeblendet wird. Wenn er etwas macht, reagiert das Publikum mit Raunen. Wer soll da noch durchsteigen?
Die Show bietet aber auch etwas für diejenigen, die nichts von Jassen verstehen. Dann wird zum Beispiel ein Imagefilm von Oberwil gezeigt – warum ausgerechnet der Beck Hansruedi Borer das Aushängeschild der Gemeinde ist (immerhin ist DJ Antoine von hier)?. Oder sie interviewen Beatrice Egli und die Stubete Gang beim Döggele.
Die Stubete Gang sind sowas wie die Hausband des Donnschtig-Jass und beglücken das Publikum mit volkstümlichem Ballermann-Schlager – beim Hit (?) «Obä ohni» werden dann tatsächlich einige T-Shirts ausgezogen und durch die Luft gewirbelt. Live spielen sie aber nicht. Ist da überhaupt ein Mikro auf der Bühne? Anna Rossinelli – bei ihrem gefühlt hundertsten Auftritt in der Region Basel dieses Jahr – singt wenigstens live.
Und als wär der Wahnsinn nicht schon genug, ist auch noch Beat Jans da. Er geistert durch die Sendung und wird beim Hau-den-Lukas (da wird traditionell der Trumpf bestimmt) blamiert, sodass sie beim zweiten Mal vermutlich das Gewicht ein bisschen leichter gemacht haben. Auch die beiden gegeneinander antretenden Teams beglückt er je eine Runde als Mitspieler.
Salzi probiert sich dann an einem Minimum politischer Interview-Führung, als er Jans fragt, wie das eigentlich so ist im Bundesrat in so bewegten Tagen mit den Zöllen. Jans antwortet diplomatisch und dann zeigen sie auch schon ein kleines Filmchen, in dem der Ex-FCB-Star-Goalie Pascal Zuberbühler ihn im Elfmeter-Duell gewinnen lässt.
Doch weiter im Programm. Es gibt auch noch etwas, das sich «Jass-Memory» nennt und mich an das Trinkspiel «Busfahrer» erinnert. Hier beim Jass braucht es so etwas anscheinend nicht, um noch die eine oder andere «Büchse» zu bestellen.
Zumal das Catering, wenn man sich im Publikum umhört, zu wünschen übrig lässt. Man mag es Oberwil verzeihen – sie wissen ja erst seit einer Woche, dass sie ein Fest für 4000 Leute ausrichten müssen (das Organisationskommitee arbeitete seit einem Jahr daran, Oberwil zur Donnschtig-Jass-Gemeinde zu machen).
Es wird dunkel, die Show neigt sich dem Ende zu. Es ist die letzte des Jahres. Salzi spricht von einem «unfassbaren Jass-Sommer». Nächstes Jahr geht es in Davos weiter, denn daher kommt das Gewinnerteam. Als die Kameras aus sind, übernimmt Stefan Büsser das Pult als DJ Büssi (der Skandal-Hit «Layla» darf hier nicht fehlen) und spielt bis Mitternacht, wo Geburtstagskind Salzi ein Sständchen bekommt.
Es war ein wilder Ritt in Oberwil.
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Mitarbeit: Ambra Bianchi