Was hat Sie am Genossenschaftsmodell überzeugt?

In Basel haben sich Migrantinnen zur ersten Kooperative für Reinigung und Alltagshilfe der Schweiz zusammengeschlossen. Flexifeen-Präsidentin Adèle Villiger erzählt von der Gründung.

Adèle Villiger: «Die Kooperative ermöglicht uns, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – einer Gruppe von Frauen, die sonst wenig Chancen in der Gesellschaft bekommen.»
Adèle Villiger: «Die Kooperative ermöglicht uns, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – einer Gruppe von Frauen, die sonst wenig Chancen in der Gesellschaft bekommen.» (Bild: Ursula Häne)
WOZ Peering

Dieser Artikel ist zuerst am 3. Februar 2022 in Die Wochenzeitung WOZ erschienen. Die WOZ gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz.

WOZ: Frau Villiger, Sie haben vor fast drei Monaten gemeinsam mit acht anderen Frauen die erste Kooperative für Reinigung und Alltagshilfe der Schweiz gegründet. Wie läufts?

Adèle Villiger: Sehr gut. Wir haben unsere Kooperative am 19. November mit einem Fest lanciert, am 20. hatten wir schon den ersten Auftrag. Seither kommen laufend neue Aufträge rein. Wenn es so weitergeht, müssen wir uns bald einmal um die Rekrutierung neuer Mitglieder Gedanken machen.

Wie sind Sie und Ihre Kolleginnen auf die Idee gekommen, eine Kooperative zu starten?

Dazu muss ich etwas ausholen. Ich war schon längere Zeit arbeitslos, als mir ein Bekannter von Crescenda erzählte. Crescenda ist ein gemeinnütziger Verein in Basel, der Migrantinnen auf dem Weg in die Selbstständigkeit unterstützt und coacht. Ich meldete mich also dort, mit der Idee, ein Kosmetikgeschäft zu gründen. Ich merkte jedoch rasch, dass es nicht so einfach ist, sich ganz alleine selbstständig zu machen, und fühlte mich blockiert. Da erzählte die Crescenda-Coachin Corinna Zuckermann von Erfahrungen aus den USA, wo sich Migrantinnen, die unter anderem in der Reinigung tätig sind, zu Kooperativen zusammengeschlossen haben und so selbst über ihre Arbeitsbedingungen bestimmen und diese verbessern können.

«Wir sind neun Frauen aus verschiedenen Ländern und Kulturen; etwas gemeinsam zu machen, hat mir ein Gefühl von Stärke gegeben.»

Dieses Modell hat Sie dann überzeugt?

Ja. Wir sind neun Frauen aus verschiedenen Ländern und Kulturen; etwas gemeinsam zu machen, hat mir ein Gefühl von Stärke gegeben, und es schien mir ein sehr guter Weg zu sein, wieder im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Das Kooperativenmodell ermöglicht uns, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen – also einer Gruppe von Frauen, die sonst wenig Chancen in der Gesellschaft bekommen.

Wie haben Sie die Kooperative aufgebaut?

Wir durchliefen ein intensives Coaching. Wir haben uns in Arbeitsgruppen aufgeteilt: Koordination, Marketing, Backoffice und Finanzen. Wir haben uns zweimal pro Woche getroffen, wegen Corona vor allem online. Durch die Arbeit im Homeoffice konnten wir uns viele Computerkenntnisse aneignen. Bis heute besuchen wir immer wieder Workshops mit Expertinnen, demnächst etwa noch mal einen zum Thema Reinigung. So entstand eine schöne Dynamik, Neues zu lernen und Dinge zu tun, von denen ich nie gedacht hatte, dass ich sie könnte. Ich habe gemerkt, dass ich vielseitig bin. Das war extrem empowering. Nach dieser langen Zeit der Arbeitslosigkeit fühlte ich mich plötzlich aufgewertet.

Sie sind auch Präsidentin der Kooperative.

Ich habe dieses Amt für ein Jahr inne, dann gibt es wieder eine Wahl, doch es bedeutet mir viel, dass die anderen Frauen mich als erste Präsidentin gewählt haben. Es ist ein schönes Gefühl – aber auch sehr ungewohnt.

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Ihre Kooperative heisst Flexifeen. Wie sind Sie auf diesen Namen gekommen?

Der Name war meine Idee. Im Plenum musste jede einen Namensvorschlag einbringen, und ich habe mich stark für meinen eingesetzt. Mit diesem Namen wollen wir unserer Vielfältigkeit Ausdruck verleihen. Zum Beispiel sprechen wir in unserer Gruppe vierzehn Sprachen. Der Kulturreichtum, den wir haben, ermöglicht uns Flexibilität auf ganz vielen Ebenen. Ich hatte dieses Bild vor mir: Frauen mit ganz vielen Ressourcen verschönern das Leben der Gesellschaft. Wenn jemand nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommt, vielleicht auch noch Kinder hat, aber keine Energie mehr, die Wohnung zu putzen, dann kommen wir als Feen und reinigen sie, bis alles glänzt.

Nur haben Sie ja leider keinen Zauberstab. Putzen ist ein Knochenjob.

Ja, es ist sehr anstrengend. Aber wenn die Wohnung sauber und der Kunde glücklich ist, dann bin ich auch zufrieden.

«Man partizipiert durch diesen Beruf an einer stabileren Gesellschaft, und es ergibt für mich keinen Sinn, dass er so abgewertet wird.»

Haben Sie schon früher in der Reinigung gearbeitet?

Nein, und ehrlich gesagt, hätte ich nie gedacht, dass ich einmal in dieser Branche tätig sein würde. Aber dieser ganze Prozess mit der Gründung der Flexifeen hat mir einen anderen Blick auf den Beruf ermöglicht. Es gibt so viele negative Vorstellungen in Bezug aufs Putzen – ich selbst hatte diese auch. Wenn man diese Arbeit dann selbst macht, merkt man, wie schwer und anspruchsvoll sie ist. Ich finde es schade, dass ihr nicht mehr Wert beigemessen wird. Man partizipiert durch diesen Beruf an einer stabileren Gesellschaft, und es ergibt für mich keinen Sinn, dass er so abgewertet wird.

Was denken Sie, warum diese Arbeit so wenig geschätzt wird?

Das ist eine gute Frage. Viele Leute denken, wer putzt, ist nicht klug genug für eine andere Arbeit. Doch gerade die Flexifeen sind ein gutes Gegenbeispiel: Bei uns sind Frauen dabei, die in ihrem Herkunftsland an der Uni waren, doch hier haben sie keine Chance auf dem Arbeitsmarkt, weil ihre Diplome nicht anerkannt werden und ihr Deutsch nicht perfekt ist. Die einzige Möglichkeit für sie ist, hier in der Reinigung zu arbeiten. Doch das heisst nicht, dass wir nicht klug oder kompetent sind. Es ist wichtig, dass wir selbst und unsere Arbeit respektiert werden, das ist leider oft nicht der Fall. Und ich möchte dafür kämpfen, dass sich das ändert.

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Adèle Villiger (42) ist Gospelsängerin und hat früher einen Kirchenchor geleitet. Sie lebt mit ihren beiden Kindern in Basel.

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