«Ich muss mich für alle Frauen beweisen»

Frauen auf der Baustelle gibt es trotz fortschreitender Gleichberechtigung noch sehr wenige. Bei der Firma «Kustermartin&co» und dem Nachbarunternehmen «holzwege» in Gelterkinden sind derzeit vier Mitarbeiterinnen angestellt. Sie erzählen Bajour von ihrem Alltag in einem männerdominierten Beruf.

Maria (links) und Flavia (rechts) am Arbeiten in der Schreinerei. Flavia ist seit Januar als Zimmerin bei «Kustermartin&co» angestellt.
Maria (links) und Flavia (rechts) am Arbeiten in der Schreinerei. Flavia ist seit Januar als Zimmerin bei «Kustermartin&co» angestellt. (Bild: Laura Ferrari)

Vier Frauen in einem Team von rund 25 Mitarbeitenden. Im Handwerksbetrieb ist das viel. «Als ich noch in der Lehre war, zwischen 2010 und 2014, wurde das Thema Frauen auf dem Bau noch nicht so diskutiert wie heute», sagt Julia. Sie ist 29 Jahre alt und arbeitet seit fünf Jahren bei «Kustermartin&co», einem Holzbau- und Architekturbetrieb in Gelterkinden. Auch habe es damals nie so viele Frauen in dem Beruf gegeben wie heute. Julia ist Schreinerin und wollte ursprünglich die Wirtschaftsmittelschule im Bereich Sport machen. 

Nachdem das aber nicht geklappt hat, war klar, dass es etwas Handwerkliches sein muss: «Die Schnupperlehre als Schreinerin war Zufall und im Nachhinein das Beste, was mir passieren konnte.» Bei «Kustermartin&co» leitet Julia heute unter anderem die Schreinerei, plant und hilft auf der Baustelle aus. 

Die 29-Jährige Julia ist seit bald fünf Jahren als Schreinerin angestellt und übernimmt neben der Arbeit in der Werkstatt auch die Leitung der Schreinerei.
Die 29-Jährige Julia ist seit bald fünf Jahren als Schreinerin angestellt und übernimmt neben der Arbeit in der Werkstatt auch die Leitung der Schreinerei. (Bild: Laura Ferrari)

Das Unternehmen teilt sich die Werkstätte mit der Zimmerei «holzwege». Während «Kustermartin» unter anderem ganze Häuser baut, spezialisiert sich «holzwege» auf Restaurierungen, Renovationen und Arbeiten an bestehenden und oftmals denkmalgeschützten Gebäuden.

Bereuen tut die Entscheidung keine

Die vier Frauen haben viel gemeinsam. Unter anderem, dass sie ihre Entscheidung, Schreinerin oder Zimmerin zu werden, nie bereut haben. «Am Abend zu sehen, was ich gemacht habe, war ein ausschlaggebender Punkt, weshalb ich mich für den Beruf als Zimmerin entschieden habe», sagt Maria. Die 24-Jährige ist über Umwege zu ihrem Beruf gekommen: «Ich hatte nie einen Traumberuf, ich dachte immer, das kommt irgendwann.» Als sie die Fachmatur mit Schwerpunkt Kunst abgeschlossen hatte, besuchte sie den Vorkurs an der Schule für Gestaltung in Basel. «Ich dachte lange, in der künstlerischen Tätigkeit sei mein Zuhause, aber der Vorkurs zeigte mir, dass in diesem Bereich beruflich zu arbeiten nichts für mich ist», sagt Maria. Im Berufsinformationszentrum (BIZ) wurde ihr die Pädagogische Hochschule oder ein Handwerksberuf vorgeschlagen. 

Maria ist auf vielen Umwegen zu ihrem Beruf als Zimmerin gekommen und ist froh, dort angekommen zu sein.
Maria ist auf vielen Umwegen zu ihrem Beruf als Zimmerin gekommen und ist froh, dort angekommen zu sein. (Bild: Laura Ferrari)

«Für mich war das etwas ganz Neues. Ich habe in meiner Kindheit nie eine Frau auf einer Baustelle gesehen, weder im Umfeld, noch in Kinderbüchern, oder in sonstigen Medien – ​​und so ist es nicht verwunderlich, dass ich mir nie Gedanken darüber gemacht habe, dass das etwas für mich sein könnte.» So entschied sie sich für die Pädagogische Hochschule. Nachdem das nicht klappte, schnupperte sie als Landschaftsgärtnerin, Schreinerin und Zimmerin. Der Beruf als Zimmerin hat ihr gefallen, das Draussen sein, das Handwerkliche, alles hat ihr zugesagt. Bis auf den Betrieb, bei dem sie eine Woche die Schnupperlehre machte. Mit der politischen Einstellung mancher Mitarbeiter kam Maria nicht klar. Aber auch mit der Tatsache, dass «es ein rein männlicher Betrieb war, zuvor war noch nie eine Frau angestellt gewesen». 

Sexistische Sprüche sind keine Seltenheit

So berichtet Maria, wie ihr beim Schnuppern von einem Mitarbeiter einmal erklärt wurde, wie man mit einem Spannset eine Ladung richtig sichert. Ohne mit der Wimper zu zucken, sagte dieser zu ihr: «Ist einfach zu merken; es ist wie bei einer Frau, du musst einfach hinten rein.» Sie sei baff daneben gestanden, habe sich nicht getraut, etwas zu sagen. «Man fühlt sich alleine in so einem Moment», sagt Maria.

Die 21-Jährige Flavia ist seit Januar bei «Kustermartin&co» angestellt. Sie schätzt die Zusammenarbeit mit den Frauen im Team sehr.
Die 21-Jährige Flavia ist seit Januar bei «Kustermartin&co» angestellt. Sie schätzt die Zusammenarbeit mit den Frauen im Team sehr. (Bild: Laura Ferrari)

Diese Erfahrung hat auch Flavia gemacht. Sie ist seit diesem Januar bei «Kustermartin&co» als Zimmerin angestellt. Ihre Lehre hat sie bei einem anderen Betrieb absolviert. Dort seien sexistische Sprüche Alltag gewesen. Aussagen wie diese gehörten zum Alltag: «Wenn du dich so bückst, musst du dich nicht wundern, wenn ich schaue.» Die 21-Jährige sagt: «Sie wollen nicht hören, dass das falsch ist, es war ja nie böse gemeint.» Sie sei die einzige Frau im Betrieb gewesen, und das blieb auch so, weil unter den Mitarbeitern hiess es, «eine Frau reiche», sagt Flavia. Bei «Kustermartin&co» schätzt Flavia die Zusammenarbeit mit den Frauen sehr: «Ich glaube, wir ticken anders. Schon alleine, wie wir uns ausdrücken. Wir sind bescheidener. Männer erzählen mit Stolz, was sie alles tun, würden sich nie klein machen. Und wir Frauen können alles genau so gut, aber halten uns eher zurück.»

Das bestätigt auch Jorid, die sich mitten in der Lehre zur Zimmerin bei der Nachbarfirma «holzwege» befindet. Die 22-Jährige erinnert sich an eine Staplerprüfung während der Lehre: «Die Jungs dort fanden es alle voll cool, auf diesen Dingern herumzufahren. Und wir wenigen Frauen waren vorsichtig, wollten nichts kaputt machen», sagt sie. 

Die 22-Jährige Jorid macht ihre Lehre bei der Nachbarfirma «holzwege»
Die 22-Jährige Jorid macht ihre Lehre bei der Nachbarfirma «holzwege». (Bild: Laura Ferrari)

Jorid findet, diese Rollenverteilung beginne bereits im Kindesalter. Viele ihrer Mitschüler während der Lehre seien bereits als kleine Jungs mit Maschinen in Berührung gekommen. «Und den Mädchen traut man das nicht zu», sagt sie. So würden die Rollen immer wieder reproduziert. 

«Einfach mehr Frauen auf dem Bau anzustellen, löst das Problem nicht.»
Maria

Auf die Frage nach Wünschen, wie die Zukunft auf dem Bau für sie aussehen könnte, sind sich die vier einig: «Es reicht nicht, einfach mehr Frauen auf Baustellen zu haben. Man kann die Baubranche nicht isoliert vom Rest der Gesellschaft anschauen», sagt Maria. Für einzelne Teams sei es sicher eine positive Veränderung, aber schlussendlich würden sich die patriarchalen Strukturen durch die ganze Gesellschaft ziehen: «Diese Strukturen beeinflussen sich gegenseitig. Und wenn sich nicht die gesamte Gesellschaft verändert, bringt es auch nicht viel, wenn wir mehr Frauen sind», sagt die 24-Jährige.

Sie wollen keine Spezialbehandlung, sondern Gleichberechtigung. Hier die Lernende Jorid in der Werkstatt der Firma «holzwege».
Sie wollen keine Spezialbehandlung, sondern Gleichberechtigung. Hier die Lernende Jorid in der Werkstatt der Firma «holzwege». (Bild: Laura Ferrari)

Sie erzählt, dass sie bei ihrer Schnupperlehre damals das Gefühl gehabt habe, sich beweisen zu müssen: «Und das nicht nur für mich selbst, sondern für alle anderen Frauen auch. Ich wollte mit meinem Ungeschick keine Vorurteile bestätigen. Dieses Gefühl begleitet mich auch heute noch manchmal und setzt mich unter Druck.» Bei Frauen wird kritischer hingeschaut, das bestätigen alle. Julia hat nach Abschluss ihrer Lehre erfahren, dass einer der Lehrmeister zu Beginn ihrer Ausbildung gefunden habe, sie würde das niemals packen. «Als er mir dann zum Abschluss gratulierte, war ich stolz, aber auch traurig. Man hat nicht an mich geglaubt, weil ich eine Frau bin». 

Man hinterfrage bei Frauen mehr, sagt Flavia. «Am Anfang meiner Lehre waren die Jungs nicht kräftiger als ich. Wenn jedoch bei ihnen etwas nicht geklappt hat, wurde gesagt, das komme noch. Bei mir hat man gefragt, ob ich noch könne und ob ich mir sicher sei bei meiner Berufswahl.» Das sei ihr eingefahren. Dass sie immer ein bisschen mehr leisten musste, um gleichwertig angeschaut zu werden. «Wir wollen keine Extra-Komplimente, wenn wir etwas Schweres getragen haben. Wir wollen gleich behandelt werden, wie die Männer in unserem Beruf», sagt Julia. 

Den Vorurteilen im Bauwesen einen Gegenpunkt setzen

Für Tobias Martin, der gemeinsam mit Micha Kuster und Miro Furrer Geschäftsführer ist von «Kustermartin&co», ist klar, dass Frauen im Team den Betrieb besser machen. 

Tobias Martin
Tobias Martin, einer der drei Geschäftsführer von «Kustermartin&co» hat das Unternehmen im Jahr 2013 gegründet. (Bild: © Joel Sames / Tobias Martin)

Die hohe Frauenquote in seinem Betrieb hat sich herumgesprochen. «Es ist fast wie ein Gerücht, das im Umlauf ist. Letztens hat jemand Bauteile gebracht und als er Flavia, Maria und Julia gesehen hat, konnte er kaum glauben, dass das mit den vielen Frauen wirklich stimme.»

Flavia (links) und Maria (rechts) in Binningen, beim Aufrichten eines Doppeleinfamilienhauses.
Flavia (links) und Maria (rechts) in Binningen, beim Aufrichten eines Doppeleinfamilienhauses. (Bild: Tobias Martin)

Für Tobias Martin war es immer wichtig, dass er die Möglichkeit hat, Teilzeit zu arbeiten. Er arbeitet seit der Gründung von «Kustermartin&co» im Jahr 2013 Teilzeit und möchte das auch seinen Angestellten bieten können. Das mache den Betrieb vielleicht auch attraktiver für Frauen, sagt er. Zum Schluss sagt Tobias Martin: «Ich möchte diesen verbreiteten Vorurteilen dem Bauwesen gegenüber einen Gegenpunkt setzen.» 

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