«Eine Gesellschaft darf das nicht akzeptieren»
Frauen mit Behinderungen sind häufiger von Gewalt betroffen als der Rest der Gesellschaft – und es gibt schweizweit zu wenig barrierefreie Schutzplätze. Auch in der Region Basel sind die Frauenhäuser nicht vollständig barrierefrei. Die Opferhilfe übt Kritik.
In diesen Tagen bekommt das Thema Häusliche Gewalt besondere Aufmerksamkeit: Am 25. November war der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Dieser ist auch Ausgangspunkt für eine 16-tägige Kampagne, die dieses Jahr auf das Thema «Geschlechtsspezifische Gewalt und Behinderungen» fokussiert. Frauen mit Behinderung sind zwei- bis dreimal mehr von sexualisierten Übergriffen betroffen als der Rest der Gesellschaft – und auch in der Region Basel fehlt es an genügend Schutzplätzen.
Einerseits fehlt es generell: Die Auslastung der Frauenhäuser ist hoch und auf politischer Ebene gibt es Bestrebungen, nicht nur die Finanzierung, sondern konkret auch die Anzahl Schutzplätze in den beiden bikantonal unterstützten Frauenhäusern – das Frauenhaus beider Basel und das Frauenhaus der Heilsarmee (WFK) – auszubauen. Neben dieser allgemeinen Problematik besteht noch eine weitere, spezifische: Beide Frauenhäuser in Basel sind nicht vollständig barrierefrei. Und das ist kein Einzelfall, wie eine nationale Recherche von Correctiv.Schweiz zeigt: Die meisten angefragten Frauenhäuser sind nicht rollstuhlgängig.
Angesichts der hohen Auslastung der Frauenhäuser will EVP-Grossrat Christoph Hochuli, dass Basel mehr Schutzplätze für von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder schafft. Das Anliegen findet Unterstützung in allen Fraktionen.
In Basel sind sie es nur teilweise. Beim WFK gibt es zwar einen Lift, wie die Leiterin Nathalie Babst gegenüber Bajour sagt. «Somit können wir auch Frauen mit Gehschwierigkeiten aufnehmen.» Das Haus sei allerdings «nicht vollständig barrierefrei, das betrifft vor allem die Bäder». Kommt hinzu: Das WFK habe keine Erfahrungswerte diesbezüglich: «Wir hatten noch nie jemanden im Rollstuhl in unserem Haus», so Babst.
«Die Hürde ist bei einer betroffenen Frau mit einer Behinderung noch höher.»Bettina Bühler, Leiterin Frauenhaus beider Basel
Auch beim Frauenhaus beider Basel gibt es Hürden. Die Leiterin Bettina Bühler sagt: «Wir nehmen Frauen mit Behinderungen gerne auf. Es gibt einzig Einschränkungen in der Mobilität.» Das Haus sei nicht rollstuhlgängig und ein entsprechender Umbau zurzeit nicht möglich. Bei Anfragen von Frauen, die stark in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, arbeitet das Frauenhaus beider Basel deshalb mit dem Frauenhaus der Heilsarmee oder ausserkantonalen Einrichtungen zusammen. Eine solche Anfrage geschehe «nicht sehr häufig», sagt Bühler.
Aus den Zahlen könne man aber «auf keinen Fall» auf den Bedarf schliessen. «Es zeigt eher, dass die Hürde, welche für von Häuslicher Gewalt betroffenen Frauen sowieso schon hoch ist, bei einer betroffenen Frau mit einer Behinderung noch höher ist.» Es sei deshalb wichtig, «dass wir auch diese Frauen erreichen und informieren, dass sie jederzeit anrufen dürfen und wir eine Lösung suchen und finden». Bei anderen Formen der Behinderung – etwa Einschränkungen von Sinnesorganen oder kognitiven Beeinträchtigungen – bestünden aber keine Barrieren: «Diese Frauen finden bei uns Platz und wir sind darauf vorbereitet, die Frauen begleiten zu können», sagt Bühler.
Dieser Text ist im Rahmen des Lokalnetzwerks entstanden, das von Correctiv.Schweiz gegründet wurde. Das Netzwerk hat zum Ziel, investigative Recherchen zu fördern – vor Ort und zusammen mit Lokaljournalist*innen. Gemeinsam werden Missstände aufgedeckt, Daten ausgewertet oder die Bevölkerung für Recherchen einbezogen. Correctiv.Schweiz führt derzeit eine Umfrage durch, in der Menschen mit Behinderung von ihren Erfahrungen mit Gewalt erzählen können.
Im Falle einer Weitervermittlung über die beiden Basel hinaus kommt die Beratungsstelle der Opferhilfe ins Spiel. Sie fragt bei anderen Kantonen an und stellt Kostengutsprachen aus, damit der Wohnkanton der Betroffenen die Finanzierung der Unterbringung übernimmt.
Die Schwierigkeit dieses Prozesses beschreibt der Leiter der Opferhilfe, Beat John, so: «Nehmen wir an, wir bekommen einen Anruf, dass eine behinderte Frau dringend einen rollstuhlgängigen Schutzplatz braucht. In Basel und Region gibt es leider keinen dieser Plätze.» Weil es auch im Rest der Schweiz an solchen Plätzen mangelt, sei der nächste freie und für sie geeignete Platz in einem Frauenhaus unter Umständen in Graubünden. «Man muss sich das einmal vorstellen: Dieser Frau geht es nicht gut, sie braucht dringend Hilfe, und wir sagen ihr: Du musst nach Graubünden. Dann verliert die Frau doch alle ihre Ressourcen: ihren Job, ihr Umfeld und so weiter.»
«Wenn jeder Kanton seiner Pflicht nachgehen würde, gäbe es dieses Problem nicht.»Beat John, Leiter Opferhilfe beider Basel
In der Verantwortung wäre hier der Kanton. Nicht nur, weil er die Istanbul-Konvention umsetzen muss, sondern auch aufgrund des eigenen Gleichstellungsgesetzes. John findet, es brauche erstens mehr Schutzplätze und zweitens müsste der Kanton schauen, dass die Frauenhäuser die vorgeschriebene Barrierefreiheit umsetzen. «Wenn jeder Kanton seiner Pflicht nachgehen würde, gäbe es dieses Problem nicht», sagt er und schiebt nach: «Eine Gesellschaft darf das nicht akzeptieren.»
Auf Anfrage von Bajour schreibt das in Basel zuständige Justiz- und Sicherheitsdepartement, dass in den kommenden vier Jahren eine Sanierung des Gebäudes des WFK geplant sei, «welche unter anderem zu einer umfassenden Barrierefreiheit führen wird». Und beide Frauenhäuser würden sich fundiert mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen auseinandersetzen und «bei Bedarf» an Optimierungen arbeiten.