Freispruch: Angeblicher Nazifrei-Demonstrant war nirgends zu sehen
In einem aussergewöhnlichen Prozess am Strafgereicht bleibt der Angeklagte straffrei. Die Staatsanwaltschaft muss eine Niederlage einstecken.
09:15 Uhr im Gerichtssaal an der Schützenmattstrasse: Die Gerichtspräsidentin Sarah Cruz-Wenger bittet den Angeklagten, aufzustehen, die Corona-Maske abzunehmen, sich umzudrehen, kurz: Er muss sich begutachten lassen.
Am Mittwoch fand ein weiteres Gerichtsverfahren gegen Teilnehmer*innen der Anti-Pnos-Demo vom 24. November 2018 statt. Es drehte sich um das Aussehen des Angeklagten und die Frage:
War der Mann, der hier sass, derselbe Mann, der damals Gewalt gegen Sympathisant*innen der Pnos angewendet hatte?
Das Gericht hatte Zweifel. Und kam nach vierstündiger Beratung zum Urteil: Freispruch in allen Punkten. Beim Vergleich mit den Fotos und Videoaufnahmen von der Demonstration sei nicht erkennbar, ob der Angeklagte der Gesuchte sei.
Die Nazifreiprozesse bewegen Basel seit bald zweieinhalb Jahren. Am 24. November 2018 ging die Pnos auf die Strasse. Es kam zu Gegendemos, auch unbewilligten. Seiher macht die Staatsanwaltschaft Demonstrant*in nach Demonstrant*in den Prozess.
Die Staatsanwaltschaft hatte ihre Anklage auf einen Hinweis aus dem Kantonalen Nachrichtendienst (FG9) abgestützt. Die Fachgruppe 9 ist an Demonstrationen präsent, wenn sie davon ausgeht, dass dort Straftaten begangen werden könnten. Sie filmt und fotografiert die Beteiligten und kann ihre Erkenntnisse laut dem Nachrichtendienstgesetz der Staatsanwaltschaft später zu Ermittlungszwecken übergeben. Nur: Woher sie ihre Erkenntnisse genau hat, das teilt sie aus Gründen des Quellenschutzes nicht mit.
Der Staatsrechtsprofessor der Universität Basel, Markus Schefer, kritisierte dieses Vorgehen gegenüber Bajour in einem Interview: «Demonstrationen sind für eine Demokratie lebenswichtig.»
«Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit»
In diesem Fall kam die FG9 zum Schluss, dass es sich «mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um den Angeklagten handelte. Weil der Nachrichtendienst aber nicht bekannt gibt, woher er seine Informationen hat, sei der Hinweis eben genau das, ein Tathinweis, so das Gericht. «Aber das ist sicher kein Beweis», sagte die Gerichtspräsidentin Sarah Cruz-Wenger.
Die Verteidigung hatte den Hinweis aus dem Nachrichtendienst sowie die aus ihrer Sicht schwammige allgemeine Beweislage angegriffen und ein privates morphologisches Gutachten erstellen lassen. Das ist ein Abgleich, der aufgrund äusserer Merkmale zeigen soll, ob es sich bei zwei Personen um dieselbe oder unterschiedliche Menschen handelt. Das Gutachten stellte Abweichungen in mehreren Punkten fest und kam zum Schluss: Eine Nichtidentität ist höchstwahrscheinlich.
Am Ende spielte das Gutachten allerdings keine Rolle, weil eben die Beweislage der Staatsanwaltschaft für das Gericht ohnehin zu dünn war.
«Koordinierte Aktion» spielt keine Rolle
Staatsanwalt Camilo Cabrea hatte in seinem Plädoyer noch eine Vorstrafe des Angeklagten ins Feld geführt, um die These vom Beschuldigten als Täter zu stützen: Der Angeklagte hatte vor 10 Jahren «in einer koordinierten Aktion» (Cabrera) eine rechtsextreme Band angegriffen. Richterin Cruz ging darauf nicht ein.
Entscheidend blieb für das Gericht, dass die Person, die auf den Demo-Fotos und Videos meistens mit Schal vor dem Gesicht nur schwer zur erkennen war, nicht eindeutig als der Mann im Gericht identifiziert werden konnte. Die Staatsanwaltschaft hatte 20 Monate bedingter Freiheitsstrafe gefordert.
Am Ende freute sich aber der Angeklagte, der in seinem Schlussplädoyer keinen Hehl aus seiner Verachtung für die Pnos machte, aber sagte: «An besagtem Tag war ich nicht in Basel. Ich habe für meine Freunde gekocht.»
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.