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#Nazifrei und co.

«Demonstrationen sind für eine Demokratie lebenswichtig»

Während der Prozess-Reihe Basel-Nazifrei tauchten immer wieder Aufnahmen des Nachrichtendienstes als Beweismittel auf. Ist das legitim? Und was gehen eigentlich diesen Nachrichtendienst Demonstrant*innen an? Staatsrechtsprofessor Markus Schefer weiss es.

12/01/20, 03:14 AM

Aktualisiert 12/01/20, 02:12 PM

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Die unbewilligte Gegen-Demonstration gegen die Pnos vor zwei Jahren hält Basel bis heute auf Trab. Unter anderen mit Prozessen, welche die Staatsanwaltschaft gegen die Nazifrei-Demonstrant*innen führt.

Die Prozesse und die teilweise harten Urteile sorgen für Kritik. Im Fokus steht dabei auch die Fachgruppe 9 (FG9), der kantonale Nachrichtendienst. Aufnahmen des Nachrichtendienstes tauchen in der Prozess-Reihe Basel-Nazifrei immer wieder als Beweismittel auf.

Ist das legitim? Und was hat dieser Nachrichtendienst überhaupt an Demos zu suchen? Wir haben bei Markus Schefer nachgefragt.

Zur Person

Zur Person

Markus Schefer ist Staatsrechtsprofessor der Universität Basel und einer von drei Mitgliedern des Kontrollorgans über den kantonalen Nachrichtendienst Basel-Stadt. Dieses Organ ist schweizweit einzigartig und publiziert einmal pro Jahr einen öffentlichen Bericht.

Herr Schefer, 3000 Menschen waren am Samstag an der bewilligten Nazifrei-Demo in Basel. Mussten diese Leute damit rechnen, vom Nachrichtendienst erfasst zu werden?

Markus Schefer: Wenn Sie einer Gruppierung angehören, die auf der Beobachtungsliste des Bundesrates steht, dann ja.

Was ist das für eine Liste?

Das ist eine Liste mit Gruppierungen, bei denen der Bundesrat zum Schluss gekommen ist, dass sie eine Gefahr für die innere oder äussere Sicherheit des Landes darstellen. Diese Liste ist geheim. Es ist nicht öffentlich bekannt, welche Organisationen auf dieser Liste sind. Sie wird jährlich aktualisiert.

Ich versuche mir das in der Praxis vorzustellen. Möglichweise ist «die Antifa» auf dieser Liste. Aber das ist ja gar keine klar definierte Gruppe im Sinne eines Vereins. Muss jetzt ein*e Demonstrant*in davon ausgehen, beobachtet zu werden, nur weil er*sie an einer Demo teilnimmt, an der irgendwo eine Antifa-Fahne weht?

Falls die Antifa auf der Beobachtungsliste stehen sollte, würde die Person etwa dann aufgenommen, wenn sie gemeinsam mit bekannten Angehörigen der Gruppierung an der Demonstration Gewalttaten oder andere Rechtsverstösse begeht. Aber die blosse Anwesenheit an einer Demonstration, an der Mitglieder einer Gruppierung der Beobachtungsliste teilnehmen, genügt nicht.

Und wenn jemand einfach nur an dieser Demonstration teilnimmt und nicht gegen das Gesetz verstösst, auch wenn an dieser Demo auf der Beobachtungsliste verzeichnete Gruppierungen teilnehmen – muss diese Person dann damit rechnen, verzeichnet zu werden?

Dann nimm diese Person lediglich ihre politischen Rechte wahr. Und dafür darf sie nicht verzeichnet werden. Die Fachgruppe 9, (die für den Staatschutz zuständige Basler Abteilung der Kantonspolizei, Anm. d. Red.) ist zudem bei weitem nicht an allen Demonstrationen vor Ort.

«Das System kann das minimale Level einer Gefährdung, die von jemandem ausgehen muss, um nachrichtendienstlich erfasst zu werden, nur wenig präzise beschreiben.»

Ganz grundsätzlich gefragt: Ab welchem Schweregrad eines Deliktes erscheint jemand auf dem Radar des Nachrichtendienstes?

Hier liegt meiner Meinung nach ein Schwachpunkt des ganzen Systems. Es kann das minimale Level einer Gefährdung, die von jemandem ausgehen muss, um nachrichtendienstlich erfasst zu werden, nur wenig präzise beschreiben. Als Jurist würde man annehmen, es gäbe hier klare Kriterien. Aber das habe ich bis jetzt nicht feststellen können.

Wie sieht die Zusammenarbeit des Nachrichtendienstes und der Polizei im Kontext von Demonstrationen aus?

Die Polizei macht zum Beispiel einen Rapport und beschreibt, wie eine Demonstration verlaufen ist. Diesen Rapport schaut auch der Nachrichtendienst an.

In jedem Fall, oder nur wenn es zu Ausschreitungen kam?

Der Nachrichtendienst schaut den Polizeibericht dann an, wenn er davon ausgeht, dass die Demonstration für ihn von Interesse ist. Das kann zum Beispiel im Fall von Ausschreitungen passieren. Die Fachgruppe 9 kann beispielsweise schauen, wer im Umfeld der Demonstration wegen Gewalttätigkeiten von der Polizei kontrolliert wurde und ob diese Personen in einer Datenbank verzeichnet sind.

Und wenn die Demonstrant*innen da verzeichnet sind?

Wenn das der Fall ist und der Nachrichtendienst zum Schluss gelangt, es liege eine Bedrohung der Sicherheit vor, dann verfasst der kantonale Nachrichtendienst unter Umständen einen eigenen Bericht über die Demonstration. Den Bericht schickt er nach Bern. Der Nachrichtendienst des Bundes prüft wiederum, ob dieser Bericht genügend nachrichtendienstliche Relevanz hat und falls ja, legt er ihn in seinen Datenbanken ab. Die betroffenen Personen erhalten dann einen Eintrag.

Wie lange bleibt man eigentlich in so einer Datenbank, wenn man mal drin ist?

Im kantonalen Verzeichnis, dem Index KND, besteht die Löschungsfrist 5 Jahre.

Gibt es verschiedene Datenbanken?

Ja, der Index KND ist einigermassen harmlos. Wenn Sie zum Beispiel ein Autovermieter sind und ein chinesischer Agent mietet bei Ihnen ein Auto, dann landen Sie unter Umständen im Index KND. Nicht als verdächtige Person, aber als Vermieter des Autos.

Welche Datenbank ist weniger harmlos?

Dann gibt es insbesondere noch die Datenbank des Nachrichtendienstes des Bundes, den IASA Index. Das ist die scharfe Datenbank. Von Personen, die dort drauf sind, geht der Nachrichtendienst davon aus, dass sie für die innere oder äussere Sicherheit des Landes eine Gefahr darstellen. Dort will man also nicht drauf sein.

Wir haben mehr Fragen als Antworten.

Welche konkreten Nachteile ergeben sich für eine Privatperson, wenn sie in einer Datenbank des Nachrichtendienstes verzeichnet ist?

Heute arbeitet der Nachrichtendienst rein präventiv und erlässt keine Sanktionen. Schon heute ist es aber möglich, dass Ihr Eintrag im IASA INDEX in die Strafakten aufgenommen wird, wenn Sie wegen eines Delikts angeklagt werden. Mit dem neuen Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen gegen den Terrorismus ändert sich das. Dann können Massnahmen bis zum Hausarrest angeordnet werden. Dadurch wird sich die Funktion des Nachrichtendienstes fundamental verändern. Das macht mir grosse Sorge.

Aufgrund des Kontrollberichts 2018 entsteht der Eindruck, als würden Personen, die eine Demonstration anmelden, automatisch nachrichtendienstlich erfasst. Ist das so?

Das war früher so, bis 2010. Das haben wir dann abgestellt, denn das geht nicht. Irgendwann haben wir per Zufall im Rahmen von Stichproben festgestellt, dass der Nachrichtendienst damit wieder angefangen hat, das war irgendwann nach der Einführung des neuen Nachrichtendienstgesetzes 2017.

Dann haben sie als Teil des Kontrollorgans des kantonalen Nachrichtendienstes interveniert?

Ja, wir haben gesagt, dass das strenger gehandhabt werden muss. Heute ist es so, dass der Name einer Person, die eine Demonstration anmeldet, nur dann in einer Datenbank erfasst wird, wenn sie nachrichtendienstlich relevant ist. Nochmal: Der Hauptfall ist, wenn sie so einer fraglichen Organisation auf der Beobachtungsliste angehört.

Nehmen wir an, es kommt an einer Demonstration wie #BaselNazifrei zu Scharmützeln. Die Staatsanwaltschaft leitet Strafverfahren ein. Darf sie dann auf Foto- und Filmmaterial der Fachgruppe 9 zurückgreifen?

Der Nachrichtendienst des Bundes hat interne Richtlinien erlassen, die festlegen, wann diese Fotos Eingang in ein Strafverfahren finden können. Das Problem ist hier einerseits ein nachrichtendienstliches – aber primär ein strafprozessuales. Das Problem ist: Wenn sie eine nachrichtendienstliche Information in ein Strafdossier aufnehmen, wie soll dann der Angeschuldigte dieses Beweismittel in Frage stellen? Er weiss ja nicht, woher das kommt, wer hat das gemacht, wann und zu welchem Zweck. Die Umstände der Beweismittelerhebung stellen also eine Black Box dar. Der Richter weiss auch nicht, woher der Nachrichtendienst dieses Foto hat.

Warum nicht?

Weil der Nachrichtendienst zu recht keine Auskunft darüber gibt, wie er zu seinen Informationen kommt. Für den Strafverteidiger und den Angeschuldigten ist das aber ein Problem, denn sie können sich dagegen nur sehr schlecht verteidigen. Ich bin erstaunt darüber, dass Strafgerichte solche Beweismittel offenbar durchaus zuzulassen.

In den Strafdossiers der Angeklagten in der Basel-Nazifrei-Prozessreihe tauchen immer wieder Fotos auf, bei denen als Quelle die Fachgruppe 9 bezeichnet ist. Ist diese Art der Beweisführung durch die Staatsanwaltschaft problematisch?

Ich kann zu diesen konkreten Prozessen nichts sagen, weil ich die Umstände nicht kenne.

«Wir müssen uns bewusst bleiben, dass Demonstrationen für eine Demokratie lebenswichtig sind. Und zwar auch jene, die gegen unsere Ansichten auftreten»

Wie genau ist der Nachrichtendienst Fachgruppe 9 im Kanton Basel-Stadt eingegliedert?

Bis in die 1990er-Jahre war der Staatsschutz Teil der Kantonspolizei. Dann hat man den Staatsschutz von der Kantonspolizei getrennt, weil man ihn nicht mehr so nahe bei der Exekutive haben wollte. Man hat den Staatsschutz dann der Staatsanwaltschaft zugeordnet, denn die Staatsanwaltschaft, so lautete damals die Überlegung, hat eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der Exekutive, also der Polizei.

Warum hat man das gemacht?

Um die Gefahr zu verringern, dass der Staatsschutz zu politischen Zwecken missbraucht werden kann.

Ist es heute undenkbar, dass der Staatsschutz zu politischen Zwecken missbraucht wird?

Auf der Ebene des Kantons hatte ich nie Hinweise, dass von Seiten der Politik der Nachrichtendienst instrumentalisiert worden wäre.

Hat Baschi Dürr oder sein*e Nachfolger*in als Vorsteher*in des Justiz- und Sicherheitsdepartements in irgendeiner Form eine Befehlsgewalt über den Nachrichtendienst?

Er ist dienstrechtlich der Chef der Angestellten der Fachgruppe 9. Aber er kann ihnen keine Befehle geben, was sie zu untersuchen haben und was nicht. Und er tut das auch nicht.

Hat Justizdirektor Baschi Dürr eine Weisungsbefugnis gegenüber der Staatsanwaltschaft?

Nein. Der Regierungsrat, nicht der Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements, kann generelle Weisungen über die addministrative Amtsführung der Staatsanwaltschaft erlassen. Aber auch der Regierungsrat kann keine Anordnungen etwa über konkrete Verfahren treffen.

Im letzten Kontrollbericht von 2019 ist von personellen Änderungen die Rede. Wird das Personal der Fachgruppe 9 aufgestockt?

Es hat einen Ausbau gegeben, der Bund hat generell mehr Stellen bewilligt für die kantonalen Nachrichtendienste. Die Stellen werden zum Teil vom Bund gezahlt. Ein Teil zahlt der Kanton.

Bis mindestens 2017 arbeiteten sechs Staatsschützer*innen bei der Fachgruppe 9. Wie viele neue Stellen wurden geschaffen?

Das kann ich Ihnen nicht sagen, das untersteht möglicherweise der Geheimhaltungspflicht.

Zeit für eine naive Frage: Ich dachte immer, der Nachrichtendienst, das sind Spezialisten für Terrorabwehr und Cyberkrieg und dergleichen. Ich bin nun gleichzeitig ein bisschen enttäuscht, aber vor allem erschrocken, dass der Nachrichtendienst auch im Kontext von Demonstrationen zum Einsatz kommt. Ist das nicht grundsätzlich vollkommen übertrieben?

Ich würde nicht sagen, dass man bei Demonstrationen den Nachrichtendienst generell aussen vor halten soll, aber er muss mit der nötigen Zurückhaltung operieren. Das Netz darf nicht zu engmaschig ausgeworfen werden. Sonst entsteht eine Abschreckungswirkung und die Leute überlegen es sich zweimal, ob sie an einer Veranstaltung teilnehmen. Wir müssen uns bewusst bleiben, dass Demonstrationen für eine Demokratie lebenswichtig sind. Und zwar auch jene, die gegen unsere Ansichten auftreten, mit denen wir ganz und gar nicht übereinstimmen, egal ob links, rechts oder sonstwo. Demokratie lebt von vielfältiger Kommunikation in der Öffentlichkeit. Der dafür notwendige Spielraum darf auch vom Nachrichtendienst nicht eingeengt werden.

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