Didi-Kapitän: «Wie ich einst beinahe mit Christian Gross geweint hätte»

Er galt als Basler Meistertrainer schlechthin, jetzt hängt Christian Gross die Trillerpfeife endgültig an den Nagel. Zum Rücktritt gibts nochmal eine verdiente Standing Ovation von Didi-Kapitän Beni Pfister.

Christian Gross
Der dreifache Chrigel. Gleich mehrfach hängt Christian Gross heute im Didi Offensiv.

«Tougher than the Rest», tönte es aus den Boxen im Joggeli. Christian Gross hatte sich für das Abschiedsspiel als FCB-Trainer sein Lieblingslied von Bruce Springsteen gewünscht. Ich war an jenem 29. Mai 2009 sehr emotional unterwegs und bereit, Christian Gross für die unglaubliche Zeit von 1999 bis 2009 zu danken und ihn zu feiern. 

Der Song «Tougher than the Rest» erinnert mich an eine Geschichte, die ich als Kind erlebt habe.

Als ich etwa zehn Jahre alt war, lag ich im Wohnzimmer auf dem Sofa, mein Hamster schlief in der Brusttasche meines Polo-Shirts und ich hörte die Platte «Tunnel of Love» von Bruce Springsteen. Am Tag darauf starb mein Hamster. Seither verbinde ich das Lied «Tougher than the Rest», meinen Lieblingssong vom «Tunnel of Love»-Album, mit diesem schönen, dann traurigen Moment aus meiner Kindheit.

Ich hätte an jenem 29. Mai 2009 meine Tränen also kaum zurückhalten können, wenn Christian Gross zum Springsteen-Song eine verdiente Ehrenrunde durchs Joggeli gemacht, die Hand auf die Brust mit dem FCB-Logo geklopft und sich vor den Fans verneigt hätte. Wenn. 

«Ein kurzes Winken in die Runde war das Letzte, was die Zuschauer*innen von Christian Gross als FCB-Trainer sahen.»

Nach Spielschluss marschierte Gross aber wie von der Tarantel gestochen Richtung Ausgang, vorbei am Riesentransparent in der Muttenzerkurve mit der Aufschrift «Dangge fyr das grosse Johrzähnt». Ein kurzes Winken in die Runde war das Letzte, was die Zuschauer*innen von Christian Gross als FCB-Trainer sahen.

Das war irgendwie traurig, kam aber nicht unerwartet. 

Vor dem Spiel hatte Gross im «20 Minuten» bereits angekündigt, keine grosse Abschiedsfeier zu wollen: «Ich bin kein Freund von Abschieden. Das Leben geht ja weiter. Ich bin der Typ, der zum Bahnhof geht, in den Zug steigt und weg ist.»

Vielleicht lag der fluchtartige Abgang daran, dass der FCB sein letztes Spiel gegen YB 0:3 verloren hatte. Christian Gross blieb ehrgeizig (manche mögen sagen verbissen) bis zum Schluss. Vielleicht war ihm aber auch die Lust auf eine Abschiedsfeier vergangen, weil die Muttenzerkurve vor dem Spiel die titellose Saison aus ihrer Sicht Revue passieren liess. 

«Mir sin parat zum vorwärts luege… für e geili neui Saison… zum YB wägzknalle»

Bannersprüche aus der Muttenzerkurve

Da stand auf mehreren wechselnden Spruchbändern vor dem letzten Spiel von Christian Gross als FCB-Trainer: «Mir schwiege … wägem nit vorhandene Biss… wägem fählende Teamgaischt… wäge der vermisste Lydeschaft» und «Mir wänn meh Spielkultur… meh sportlichi Kompetänz im Verein.. meh Identifikation» sowie «Mir sin parat zum vorwärts luege… für e geili neui Saison… zum YB wägzknalle». 

Es schleckt keine Geiss weg: Die Entlassung von Christian Gross war aus sportlicher Sicht nachvollziehbar. Spieler, Trainer, Clubfunktionäre, Fans: Man hatte sich gegenseitig abgenutzt, die Leidenschaft war abgeflacht, das Feuer erloschen und die Saison 2008/2009 sportlich unbefriedigend. 

Unbestritten ist aber auch, dass der FCB in der Ära Gross zur Nummer 1 der Schweiz wurde. 

Acht Meistertitel und jetzt ein Degen

 «Es ist mir gemeinsam mit all den Mitarbeitern und der Unterstützung der Fans gelungen, aus dem FC Basel, der Spiele auf der Schützenmatte austrug, einen internationalen Club zu bilden, der im Old Trafford Manchester United herausfordert», fasste Christian Gross in einem Gespräch mit Thomas Bürgi für das «Basler Stadtbuch 2009» seine Zeit in Basel zusammen. Gross war die Lichtgestalt, der Meistermacher. Acht Titel holte der FCB mit ihm als Trainer (Meister: 2002, 2004, 2005, 2008; Cupsieger: 2002, 2003, 2007, 2008). 

Nun ist also definitiv Schluss: Gross ist nicht mehr Fussballtrainer. Er habe «grundsätzlich aufgehört mit dem Coaching», sagte Christian Gross in der Sendung «Sportpanorama» vom 10. Mai 2020 im Schweizer Fernsehen. Dem Fussball bliebe er aber erhalten, da er mit Philipp Degens Spielerberaterfirma zusammenarbeiten werde. Vielleicht führt der neue Job Gross wieder vermehrt in die Region. 

Starke Identifikation mit Basel

Das wäre keine Überraschung. Denn neben den Meistertiteln, Cupsiegen und unvergesslichen Momenten auf der internationalen Bühne bleibt mir Christian Gross als jener FCB-Trainer in Erinnerung, der sich überdurchschnittlich stark mit seinem Arbeitgeber identifizierte. 

Mitverantwortlich dafür war FCB-Präsident René C. Jäggi, der ihn nach Basel geholt hatte. Bei Amtsantritt legte er Gross ans Herz, nicht in einem Hotel zu wohnen, wie dies seine unmittelbaren Vorgänger Guy Mathez und Karl Engel getan hatten.

Das war ganz im Sinn von Gross, der im Gespräch mit Thomas Bürgi erzählte, es sei für einen Fussballtrainer wichtig, «die Stadt, die Menschen, die hier wohnen, zu erleben, sich mit ihnen zu identifizieren. Und tatsächlich, die enge Bindung mit der Region, mit der Stadt war da. Sie war da von Beginn an, dadurch, dass ich eine Wohnung in Oberwil fand und mich für Basel intensiv interessierte». 

«Es geschieht nicht alle Tage, dass der Trainer des einheimischen Fussballklubs zugleich auch Präsident des Fördervereins einer Kulturstätte für zeitgenössische Musik ist.»

NZZ

Tatsächlich kann man Christian Gross bis heute immer wieder im Kleinbasel antreffen, wo er offenbar noch eine Wohnung hat. Zuletzt sah ich ihn vor wenigen Monaten mit zwei Einkaufstüten bei der Kaserne. Christian Gross ist bis heute Mitglied im Vorstand des Fördervereins des Gare Du Nord. «Es geschieht nicht alle Tage, dass der Trainer des einheimischen Fussballklubs zugleich auch Präsident des Fördervereins einer Kulturstätte für zeitgenössische Musik ist», schrieb die «Neue Zürcher Zeitung» am 13. Februar 2007.

Gross: «Basler spüren, ob man es ehrlich meint»

Einverstanden: Die Trennung von Christian Gross war damals unvermeidlich geworden, weil die Mannschaft sportlich stagniert hatte. Gross-Nachfolger Thorsten Fink versprach bei seiner Vorstellung einen offensiven 4-4-2-Fussball. Die verloren gegangene Spielfreude kehrte unter Fink tatsächlich wieder zurück. 

Mag der Fussball von Christian Gross bei seinem Abgang der sportlichen Vergangenheit angehört haben, seine Identifikation mit Basel war echt und seine Aussagen im Gespräch mit Thomas Bürgi zeitlos aktuell.

«Basler sind sehr sensibel», sagte Gross. «Wenn man über den FCB spricht, sind sie mit dem Herzen dabei. Basler spüren, ob man es ehrlich meint, ob man den Erfolg will. Diese Sensibilität und Begeisterungsfähigkeit verbinden mich mit Basel, man steht zum Verein, lässt ihn nicht fallen, in keiner Situation».

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