Irynas erstes Mal am Floss
Die Bajour-Integrationsapp myfive bringt Basler*innen und Geflüchtete zusammen. So auch Iryna und Angela. Am Montag hat die Wahlbaslerin der Ukrainerin das Floss gezeigt.
«So ein mutiger Mann», sagt Iryna Frolova belustigt auf Englisch «ich würde frieren.» Sie zeigt auf einen blauen Schwimmsack. Es ist kurz vor 21 Uhr, Angela Husi und Iryna sitzen nebeneinander am Rheinufer bei der Mittleren Brücke und schauen dem Rheinschwimmer zu. Zwei Wahlbaslerinnen, eine aus Luzern, eine aus Kiew. Sie sind wegen der Band Olympic Antigua hier – es ist Irynas erstes Floss-Konzert, Angela wollte es ihrer Freundin zeigen.
Die Freundschaft zwischen den Frauen ist via myfive entstanden, der Integrations-App der Robert Corti Stiftung, Bajour und Gärngschee.
Das Ziel der App ist einfach: Geflüchtete Menschen finden via App an ihrem neuen Wohnort je fünf Göttis oder Gottis, die sie bei der Integration unterstützen. Denn die Ukraine-Krise hat gezeigt: Für Geflüchtete ist es viel einfacher, sich einzuleben, wenn «Einheimische» bei den Behördengängen helfen, ihnen die Spielplätze zeigen, das Schulsystem erklären und mit ihnen Deutsch reden.
Vor zwei Monaten haben wir auf Gärngschee, dem 23’000 Personen starken Selbsthilfenetzwerk von Bajour, einen Pilot gestartet. 50 Basler*innen und zehn Geflüchtete meldeten sich. Unter ihnen Iryna (30) und Angela (32). So haben die beiden sich kennengelernt. Und jetzt sitzen sie zusammen am Rhein.
«Myfive ist eigentlich ein bisschen wie Tinder, einfach für Freundschaften im Integrationsbereich», witzelt Angela. Die 32-Jährige arbeitet in Basel als Projektleiterin bei Minergie, vor zwei Jahren ist sie dann wegen ihres Freundes auch hierher gezogen. Bei Iryna aus Kiew war es die neue Stelle ihres Mannes. Sie selbst arbeitete bis zum Kriegsausbruch als Grafikdesignerin für Kund*innen aus der Ukraine.
Die App geht von der geflüchteten Person aus. Sie stellt sich ein Netzwerk aus mindestens fünf Personen aus der Umgebung zusammen, die gleiche Interessen teilen, Freizeit miteinander verbringen oder Unterstützung und Hilfeleistungen anbieten. Erst wenn fünf Personen matchen, geht das Netzwerk auf.
Die Idee: Die geflüchtete Person hat eine ganze Gruppe zur Verfügung. Und jede*r Teilnehmer*in weiss, dass auch noch andere da sind im Netzwerk. Über eine Chatfunktion verabreden sich die Menschen und finden zueinander.
«Die ersten drei Monate war es schwierig, hier anzukommen», erinnert sich Iryna. Alles ist neu, man kennt noch niemanden.
Iryna hatte es – im Vergleich zu anderen Einwander*innen – gut: Sie lernte über das Arbeitsumfeld ihres Mannes nach und nach Leute kennen. Doch Corona erschwerte es, Freundschaften zu knüpfen. Und als der Krieg begann und ihre Schwester mit ihrem Kind zu ihr nach Basel flüchtete, lernte Iryna das Schicksal von Geflüchteten hautnah kennen.
Deshalb entschloss sie sich, bei myfive mitzumachen. Eine Freundin erzählte ihr davon. Sie sah die App und das potenzielle neue Netzwerk als Chance, um sich ab und zu zum Kaffee zu verabreden, gemeinsam etwas in Basel zu unternehmen. Also meldete sie sich an. Und wählte sich aus 50 Basler*innen fünf Gottis aus.
Das Auswählen der Personen für ihr myfive-Netzwerk sei «very easy» gewesen, sagt Iryna. Zuerst habe sie nach gemeinsamen Interessen ausgewählt, «und dann natürlich auch nach den Bildern.» Die Ukrainerin lacht und versucht sich zu erinnern, welche Interessen bei Angela übereingestimmt hatten. «Vermutlich Kultur, Events…», beginnt sie, Angela wirft ein: «Ziemlich sicher auch Essen. Also das war jedenfalls unter meinen Interessen.» Jetzt lachen beide.
Nachdem das Netzwerk feststeht, muss jemand die Initiative ergreifen und der geflüchteten Person eine erste Nachricht schicken. In diesem Fall war das Angela, die Iryna fragte, was sie gerne unternehmen würde. Darauf versuchte die ganze Gruppe sich zu einem Kaffee zu verabreden, um sich kennenzulernen. Das war jedoch terminlich schwierig – und so traf sich Iryna einfach mit Angela. Sie beide wohnen im Gundeli, auch das hatte Iryna in der App als Kriterium für ihr Netzwerk ausgewählt. «So kann ich Leute kennenlernen, die in meinem Quartier wohnen», erklärt die 30-Jährige. Die beiden verstanden sich gut, verabredeten sich darauf alle paar Wochen, mal zum Kaffee, auf einen Spaziergang oder einen Ausstellungsbesuch. Und heute zum Konzert.
Angela ist durch Gärngschee zum Projekt gekommen. Auf Facebook sah sie einen Aufruf, bei dem Testpersonen für das myfive-Pilotprojekt gesucht wurden. Das Projekt überzeugte sie, da man nicht allein ist, sondern vier weitere Gottis oder Göttis zur Seite hat: «Ich fand es eine gute Gelegenheit, jemanden zu unterstützen, ohne gleich ganz viel Zeit investieren zu müssen. Diese habe ich einfach nicht», erklärt die gebürtige Luzernerin.
So geht es vielen Basler*innen. Beispielsweise der BaZ-Journalistin Nina Jecker. Sie hat am Anfang des Kriegs fünf Geflüchtete bei sich aufgenommen. Mittlerweile haben die Ukrainer*innen eigene Wohnungen, doch die Jeckers treffen sich immer noch mit ihnen. Beispielsweise um Deutsch zu üben oder die Kinder bei den Uffzgi zu unterstützen.
Die Jeckers machten dabei eine Erfahrung, die viele machen: Sie alleine können die Unterstützung der Ukrainer*innen nicht leisten. Nina Jecker hat deshalb im Bekanntenkreis ein eigenes Netzwerk aufgebaut, die Freund*innen wechseln sich ab. Das sei Win-Win: «Zusammen helfen ist einfacher als alleine», sagt sie.
Genau dieses Prinzip macht sich auch die myfive-App zunutze. Angela und Iryna möchten helfen, das Projekt zum Fliegen zu bringen.
«Als ich den Aufruf sah, dachte ich: Es wäre so cool, wenn diese App funktionieren würde», sagt Angela.
Sie funktioniert: Die Testphase der App ist vorbei, wir haben durchgestartet. Mittlerweile haben sich schon 26 Geflüchtete und 69 Basler*innen als Götti oder Gotti registriert.
Angela und Iryna sind zufrieden: Sie haben dank myfive eine neue Freundin gefunden, um gemeinsam kulturelle Anlässe zu geniessen. Mittlerweile ist es längst nicht immer Angela, die Iryna Vorschläge für gemeinsame Unternehmungen macht. Ihr letztes Treffen führte sie während der Art Basel an eine Fotoausstellung, von der Iryna gehört hatte. Und als Nächstes sehen sie sich vielleicht am Schwingfest. Angela wird auf jeden Fall gehen. Iryna erklärt, sie habe zwar kein Ticket, aber sie würde gerne mit ihrem Mann nach Pratteln fahren und schauen, was rund um das Fest so los ist.
Am Rhein wird es Zeit für das Konzert.
«Schau, die Band kommt!» Angela zeigt auf einen Weidling am Ufer, der jetzt die Musiker*innen auf die Floss-Bühne bringt. «Schicker Hut», kommentiert Iryna. Die Musik gefällt. Iryna tanzt zwar gerne – aber das Publikum, gemütlich am Rheinufer sitzend, lässt sich nicht wirklich dazu hinreissen. Also wippen die beiden mit den Füssen und stecken zwischen den Liedern die Köpfe zusammen, um dies und jenes zu kommentieren, oder beäugen die langsam aufziehenden unheilvollen Wolken.
Kurz darauf fallen erste Tropfen. Bevor der Regen richtig niederprasselt, flüchten sie unter dem Schutz ihrer Stoffjacken unter die Mittlere Brücke. Die gute Stimmung lassen sie sich von diesem Intermezzo nicht nehmen und als es kurz darauf wieder aufhört zu regnen und sie sich wieder in Sichtweite der Bühne stellen, freut sich Iryna: «Jetzt können wir tanzen.»
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