Gastbeitrag

Heute und immer ist Coming-out Day

Der 11. Oktober soll Sichtbarkeit für queere Menschen schaffen. Mit drei Geschichten erzählt GLP-Grossrat Johannes Sieber von seinem Coming-out. Und kommt zum Schluss: Ein Coming-out dauert ein Leben lang.

Johannes Sieber und Michela Seggiani
Johannes Sieber mit SP-Grossrätin Michela Seggiani beim Hissen der Regenbogenfahne auf der Rathausterrasse am Tag gegen Queerfeindlichkeit. (Bild: zvg)

Heute, am 11. Oktober, ist der «Coming-out Day». Der Tag soll Menschen ermutigen, offen mit ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität umzugehen. Der Tag hat das Ziel, mit Sichtbarkeit von schwulen, lesbischen, bi-sexuellen und queeren Menschen der nach wie vor verbreiteten Homo- und Transfeindlichkeit entgegenzuwirken.

Johannes Sieber
Zur Person

Johannes Sieber (GLP) ist seit 2005 mit GayBasel engagiert für die Sichtbarkeit des «Bunten Treibens» in der Region Basel. Er hat über mehr als ein Jahrzehnt zahlreiche Partys für queere Menschen veranstaltet und so wichtigen Safe-Space geschaffen. Sieber ist Kulturunternehmer und Kulturpolitiker und seit 2021 Mitglied des Grossen Rats Basel-Stadt.

Wenn immer ich gefragt werde, wie mein Coming-out war, fallen mir drei Geschichten ein.

Die erste ist die eines Missgeschicks. Ich war ungefähr 17, als ich mich das erste Mal gegen schwulenfeindlichen Sprüche in meinem Freundeskreis zur Wehr setzte. Sie nervten mich schon lange. Und eines Tages platzte es aus mir heraus: «Ich finde eure Witze doof. Sie sind grundsätzlich diskriminierend und ich bin schwul.» Bämm. Ruhe. Und dann das grosse Entschuldigen, dass man das ja nicht so meinte und nichts gegen Schwule habe und dergleichen mehr. Auch wenn sich der eine oder die andere dann doch irgendwann nicht mehr zu meinen Freunden*innen zählte: Es hätte schlimmer kommen können.

Und es kam schlimmer. In meiner zweiten Geschichte, die mir auf die Frage nach meinem Coming-out einfällt.

Es war die Disco in der Mehrzweckhalle des Dorfs, in dem ich aufgewachsen bin. Jungs, die heute im Umfeld des Basler Nordsterns wirken, waren schon damals erfolgreiche Veranstalter. Als ich an der Kasse den Eintritt bezahlen wollte, wurde ich von der Seite angerempelt und geschupst: «Hey, bist du schwul, willst du eins auf die Fresse?» – Bämm. Ruhe. Die ausgelassene farbige Partystimmung kippte in eine dunkle Kälte. Wie eingefroren standen wir da. Es war klar: Jetzt ein falsches Wort und die Szene eskaliert in eine dieser Schlägereien, mit der diese Stresskopf-Gang aus dem Nachbardorf schon seit Wochen uns Teenager terrorisierten.

Diese beiden Erlebnisse sind wichtig, um meine dritte, die wichtigste Geschichte zu verstehen.

Queere Menschen sind unterschiedlich. Doch wir teilen ein kleines psychologisches Momentum: das konstante Bewusstsein über unsere eigene Verletzlichkeit. Wir wissen, dass wir immer wieder in solche Situationen geraten können – und auch geraten. Sei es nachts auf der Strasse, nach dem Umzug in eine neuen Nachbarschaft, beim Empfang einer gesellschaftlichen oder politischen Veranstaltung – überall. Darum findet das Coming-out nicht an dem bestimmten Tag statt, an dem wir unseren Eltern oder am Arbeitsplatz einen intimen Teil unserer Identität preisgeben. Das ist dann eher der Tag des Anfangs. Denn ein Coming-out dauert ein Leben lang.

In diesem Sinne wünsche ich euch für heute und für die Zukunft: Viele gute Erfahrungen mit eurem Coming-out. Dann je öfter es gewagt wird, desto häufiger sind die positiven Erfahrungen damit!

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