Gibt es eine «sichere» Ukraine?
Künftig sollen nur noch jene Ukrainer*innen Anspruch auf den Schutzstatus S haben, die aus einer «unsicheren» Region in der Ukraine kommen. Heisst: Wer in einer nicht besetzten Region ohne «intensive Kampfhandlungen» wohnt, soll nur in Ausnahmefällen via Schutzstatus S in der Schweiz aufgenommen werden. Diesen Vorschlag macht das Departement von Bundesrat Beat Jans, nachdem das Parlament letztes Jahr einer Motion aus der SVP zur Einschränkung des Schutzstatus S zugestimmt hatte. In der Vernehmlassung zu diesem Vorschlag äussern sich die beiden Basel ablehnend – vor allem mit Blick auf die praktische Umsetzung. «Die genaue Herkunft einer Person zuverlässig festzustellen ist mit erheblichem administrativem Aufwand verbunden und in vielen Fällen kaum möglich», schreibt etwa die Baselbieter Regierung. Das würde Abklärungen verkomplizieren, findet auch der Basler Regierungsrat und merkt an, die Definition der Zonen müsste laufend dem Kriegsgeschehen angepasst werden. Das sieht der Vorschlag zwar vor, aber es stellt sich auch eine Grundsatzfrage: Ist die Einteilung in eine «sichere» und «unsichere» Ukraine überhaupt möglich?
Es gibt keine sicheren Regionen in der Ukraine!
Die Lage ist nach den Gipfelgesprächen von Anchorage vor einer Woche und jenen in Washington vor einigen Tagen so unübersichtlich und labil (und die Angriffe von Russland auf die Ukraine gehen gleichzeitig munter weiter), dass ich mich für einmal (selten genug!) gerne an einen Vertreter der SVP, Jean-Pierre Gallati (Regierungsrat Kt. AG) halte: «Zu behaupten, in der Ukraine gebe es sichere Gebiete, ist fast schon zynisch.»
ja/nein geht nicht
Wie so oft bei der Frage des Tages ist es viel komplizierter, als dass mit ja oder nein geantwortet werden könnte. Unsere Verwandten aus Kiew sind nach 2.5 Jahren wieder zurück. Sie hören da jede Nacht die Raketen. Obwohl sie sehr gerne in der Schweiz waren, ist die Ukraine ihr zuhause. Sicher sind sie in Kiew nicht, aber man muss ja irgendwie leben. Die wahllosen Überfälle der russischen Armee werden verdrängt, so gut es geht. Aus Sicht der Ukraine gibt es zu viele Männer, die statt Wehrdienst zu leisten, im Ausland sitzen und (auch Dank Schutzstatus) da bleiben. Ich habe für beide Seiten Verständnis. Wer will schon in diesen Krieg? Aber ohne Soldaten kann die Ukraine ihren Widerstand nicht aufrecht erhalten. Soll sich die Schweiz da einmischen? Ich denke die Schweiz soll Menschen Schutz gewähren, die das wollen und brauchen. Eine Gewissensprüfung ist absurd. Allerdings stellt sich die Frage der Integration nach so langer Zeit. Aber das wäre dann wieder ein anderes Kapitel.
Ethisch bedenklich, praktisch nicht umsetzbar
Die Ukraine wird in ihrer Integrität angegriffen und Angriffe (mit Drohnen & Rakteten) sind im ganzen Land möglich und werden durchgeführt. Die Idee, einen Staat willkürlich in solche Zonen einzuteilen, ist nicht nur ethisch befremdlich, sondern auch mit einem grossen bürokratischen Aufwand verbunden: Es müsste schliesslich bei jeder Person der Wohnsitz eruiert werden.
Sichere Regionen?
Wer möchte diese ‚sicheren Regionen‘ (auf die zu 100% keine russischen Bomben fallen werden) bestimmen, bitte? Ich nicht. Gäbe es sichere Regionen in der Ukraine, wären daraus keine Menschen hier.
Die Giftspritzer
Armer Beat Jans, der SVP-Giftpfeile evaluieren muss, als handle es sich um brauchbare Utensilien, die einen anderen Zweck verfolgen, als Gift und Zwist zu verbreiten. Tief durchatmen. Such is democracy.
Praktisch nicht umsetzbar
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat gezeigt, wie unberechenbar Putin ist. Die Vorstellung von «sicheren» Zonen ist nicht nur ethisch höchst fragwürdig, sondern auch praktisch nicht umsetzbar. Hinzu kommt der enorme administrative Aufwand für die Schweizer Behörden, wenn sie den Wohnort der Geflüchteten festlegen müssten. Menschen, die eine lange Flucht hinter sich haben und in eine ungewisse Zukunft blicken, können sich in ihrer Heimat nicht mehr sicher fühlen. Sie verdienen Schutz – bedingungslos.
Das Thema ist komplex
Der Punkt ist: Aus asylpolitischer Sicht (wenn man Ukrainer*innen mit anderen geflüchteten Bevölkerungen vergleicht) ist die Ukraine zwar nicht sicher – aber viele Flüchtende, die aus schlimmeren Kontexten fliehen, haben kein Bleiberecht in der Schweiz. Die Frage ist deshalb viel mehr: Will die Schweiz weiterhin solidarisch sein mit der Ukraine und neben umfangreicher Hilfe vor Ort auch der geflüchteten Bevölkerung hier in der Schweiz (die – so meine Vermutung – eher Mittelstand sind) hier Unterstützung anbieten? Eine sichere Ukraine gibt es nicht, aber definitiv ist die Sicherheitslage viel besser als in anderen Ländern, sonst würden Ukrainer*innen nicht regelmässig zurückkehren.
Mehr für die Sicherheit tun
Die Schweiz kann und muss - zusammen mit anderen Ländern - viel mehr tun für die Sicherheit der Menschen dort, wo sie leben.