«Das Volk ist Opium für den Sport»

Wie war es denn nun, so mit dem FCB und dem Fussball? Didi-Offensiv-Kolumnist Rafi Pfister blickt auf viele Emotionen der seltsamsten Super-League-Saison zurück.

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Als bekannt wurde, dass die Super League im Juni wieder startet, kamen Zweifel auf, ob Fussball ohne Zuschauer*innen überhaupt sehenswert sei. Bedenkt man doch, dass ihm die eigentliche Seele geraubt wurde. Doch wie war das nun im Didi Offensiv? Herrschte Stimmungspause während der restlichen Super League? Kochten Emotionen hoch, auch wenn man nicht im Stadion war? 

Stadionstimmung ist wunderbar und in keiner Weise zu ersetzen. Die Bandbreite an Emotionen, welche der eigene Verein lostreten kann, spürten aber auch wir im Didi. Da war Freude und da war Frust. Himmelhochjauchzende «Jaaaa!» gehörten ebenso zum Repertoire wie sarkastische «Es spielt doch eh keine Rolle in dieser Saison.»

Dass die Leute nach der Zwangspause jedoch durchaus Lust auf Fussball hatten, zeigte sich schon relativ bald. «Hey, hey. Nei!»-Frust schallte durchs Didi, als Lausanne im ersten Spiel nach der Pause im Cup unglaublich zum 2:2 ausglich. Umso ausgelassener war die Stimmung als Widmer in der 104. Minute zum 3:2 traf. Ende gut, alles gut.  Und dann war da das Spiel gegen YB: Ein Traum! Omlin hält in der Nachspielzeit einen Penalty und alle rasten aus. Drei Tage vorher sah es noch ganz anders aus. Der FCB verlor 0:1 gegen Sion und bereits schimmerte durch: Es reicht doch wieder nicht für den Meistertitel. 

«Als ich Ruedi anschaute, eröffnete sich mir eine unglaubliche Bandbreite an Emotionen.»

Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ein Mensch nur durch seine Mimik vier Stimmungslagen gleichzeitig wiedergeben kann. Doch an diesem Abend, nach dieser blöden Niederlage gegen Sion, sass Ruedi in sich versunken am Tisch. Als ich ihn anschaute, eröffnete sich mir eine unglaubliche Bandbreite an Emotionen: Seine Augen schauten fassunglos und trotzig zugleich, sein Mund formte ein ironisches Lächeln und seine Stirn war in tiefe Sorgenfalten gelegt.  Ein Gesichtsausdruck, der diese FCB-Saison beinahe perfekt zusammenfasst.

Die Stimmung vor dem Spiel gegen den FC St. Gallen wiederum war seltsam. Grundsätzlich wünschten viele Leute dem Verein von Präsident Hüppi den Meistertitel und nicht dem neuen Serienmeister aus Bern. Doch das 0:5 gegen den direkten Konkurrenten war eben doch wichtig für die Baslerische Fussballseele. Es wurden Rote Karten für den Gegner gefordert, «Taulant Xhaka!»-Rufe hallten durch das Lokal,  Valentin Stocker wurde mit einer Sitting-Ovation gefeiert und «Schiiiiiriiiii!» hörte ich gefühlt 100 Mal. 

«Von einer ‹Corona-Stimmungspause› war am Erasmusplatz 12 nicht wirklich etwas zu spüren.»

Die Stimmung am letzten Montag, als der FCB sein letztes Super-League-Spiel ausgetragen hatte, war schon beinahe irritierend. Hätte man nicht gewusst, dass es um absolut nichts mehr ging, man hätte meinen können, der FCB spielte gerade um die Meisterschaft. «Dimitriiiiiiii!» dröhnte es beinahe euphorisch durchs Lokal und ebenso laut «Neiiiiii», als Oberlin das Tor knapp verpasste.

Die Stimmungslage im Super-League-Sommer 2020 schwankte konstant, so wie es eben auch die sportlichen Leistungen des FCB taten. Aber von einer «Corona-Stimmungspause» war am Erasmusplatz 12 nicht wirklich etwas zu spüren. 

Nun ist die historische Super-League-Saison 2019/20 zu Ende. Die Zukunft des Schweizer Fussballs liegt im Dunkeln und die Welt im Argen. Soziale Ungerechtigkeiten offenbaren sich in dieser Schieflage, auch im Business Fussball.

Warum Fussball der beste Sport der Welt ist

Dabei zeigten mir die letzten Spiele wieder auf, wieso Fussball der beste Sport der Welt ist: Er lässt sich in seiner Quintessenz, im Kollektiv erlebten Rahmen ohne grosses Brimborium, nicht unterkriegen. Schaute man ein Spiel alleine vor dem TV, wäre der Sport ein einfaches Produkt, das ersetzbar ist. Trifft der Sport jedoch auf seine Seele, die Emotionen, die mit dem Lieblingsverein in Verbindung gebracht werden, mutiert er zum Phänomen, das nicht wirklich fassbar ist.  

Es mutet paradox an. Gerade in Zeiten, in denen (praktisch) keine Zuschauer*innen in den Stadien erlaubt sind, wird mir wieder vollauf bewusst, was Fussball für mich wirklich bedeutet. 90 Minuten lang mein Verein, mein Ärger, meine Freude. Kurzum: Meine Emotionen, die in einer kollektiven Ekstase enden können. Kritiker*innen betrachten Fussball als Volksdroge, als Opium fürs Volk. Nun, man könnte diesen Vergleich auch umwandeln. Das Volk ist vielmehr das Opium für den Sport.

Hoffen wir, dass das Joggeli bald wieder blüht. 

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Raphael Pfister (30) ist Geschäftsführer und Wirt des Didi Offensiv und macht neben dem Job im Didi eine Ausbildung zum Lehrer. Im Oktober 2019 konnte das Didi bereits seinen 5. Geburtstag feiern. Benannt ist die Beiz nach Claude «Didi» Andrey, dem FCB-Aufstiegstrainer von 1994.

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