«Hast du unsere Muskeln gesehen?»
Wir waren einen Vormittag lang bei den Corona-konformen Proben des Balletts Basel und haben uns von Tänzer Jorge García Pérez erklären lassen, wieso Tänzer*innen auch beim härtesten Lockdown die Füsse nicht still halten werden.
Man merkt nicht, dass die Schliessung jeden Moment kommen kann. Im Theater Basel herrscht eine rege Betriebsamkeit. Im grossen Probestudio des Balletts fliegen Wortfetzen aus zig unterschiedliche Sprachen durcheinander und die Tänzer*innen tragen die so typischen dicken Ugg-Boots, die dazu da sind, die Fussgelenke warm und geschmeidig zu halten.
Die 30-Tänzer*innen-starke Kompagnie tanzt und probt täglich: Auf der Bühne ohne Abstand oder Masken. Wöchentlich werden alle Künstler*innen am Theater Basel durchgetestet. Vor dem Warmup gibts noch einen schnellen Fiebertest extra und los gehts. Also: One, Two, Three and Plié!
Das ist Jorge García Pérez. Der Tänzer ist im spanischen Zaragoza aufgewachsen, hat dort früh mit dem Tanzen begonnen, wurde im jungen Alter von 16 Jahren in Biarritz professionell verpflichtet und ist nun nach einer Zwischenstation in Zürich bereits seit 2008 in Basel.
Nach dem Warm-up setzen wir uns in den Publikumsraum der Grossen Bühne und schauen zu. Heute ist Orchesterprobe von «Giselle», einerseits so etwas wie der Höhepunkt des romantischen Balletts des 19. Jahrhunderts – andererseits ziemlich, … ähmm, outdated.
Der schwedische Choreograf Pontus Lidberg zieht es jedoch ins Heute, lässt die Beziehung einer Migrantin zu einem reichen Bürgerssohn an den sozialen Unterschieden scheitern, und skizziert das Tanzstück vor dem sozialkritischen Hintergrund – so zumindest der Pressetext zur Produktion - einer ziemlich ungerechten Gesellschaft.
Wenn ein junger Journalist über Ballett schreibt, können drei Fragen nicht ausbleiben: 1. Ist es so exklusiv wie es oft den Anschein macht? 2. Und wieso Ballett im Jahr 2020? 3. Ist moderner Tanz (von Hip-Hop bis Performance Dance) nicht viel … sexier?
«Sexier? Hast du unsere Muskeln gesehen?», lacht Pérez. «Nein, im Ernst jetzt, Tanz ist immer sexy. Als Tänzer habe ich eine klassische Ausbildung und kenne das klassische Repertoire sehr gut. Nach einer gewissen Zeit hat sich mein Interesse auf den zeitgenössischen Tanz verlagert. Das machen wir hier beim Ballett Theater Basel. Wir tanzen zeitgenössisch und interpretieren die Klassiker neu. Das finde ich persönlich viel spannender als klassische, originalgetreue Ballettaufführungen.»
Und wie äussert sich das im Daily Business? «Unser tägliches Training bleibt aber ganz klassisch. Das ist zwar sehr diszipliniert und streng, aber es würde mir fehlen, wenn ich es nicht mehr jeden Tag machen würde», sagt der 32-Jährige.
Und was ist mit Punkt 1: Weshalb kommt Ballett, klassisch oder modern, oft so elitär und exklusiv daher? Wenn ich in meinem Umfeld erzähle, dass ich da manchmal hingehe oder darüber schreibe, kommt oft ein Kopfschütteln.
«Elitär? Das wäre schade. Ich finde, die Kunst soll offen für alle sein, die partizipieren wollen. Hier am Theater geschieht im Moment gerade so eine Öffnung: mit dem Foyer Public und den günstigeren Ticket-Angeboten wie der Tarif 20.-/10.- Und die anderen Angebote für Schüler*innen und Student*innen. Ich bin überzeugt davon, dass es auch unsere Verantwortung ist, dafür zu sorgen, dass sich jede*r Tanz leisten kann.»
Am Preis liegt's also nicht. Aber richtig exklusiv macht den Ballett-Besuch derzeit auch Corona. «Giselle» hätte am 17. Dezember Premiere haben sollen. Einen Tag nach dem Besuch bei den Proben hat der Bundesrat alle Kulturveranstaltungen untersagt, Proben finden weiter statt. Was nun? Und wieso weiter?
«Bis jetzt haben wir vor fünfzehn Personen gespielt. Immerhin. Das klingt komisch, ist aber für uns besser, als gar nicht aufzutreten. Denn dann haben wir geprobte Stücke im Repertoire, wenn es wieder losgeht. Wir brauchen ausserdem unser Training und den Probenalltag, um fit zu bleiben. Unsere Karrieren sind so kurz, wir Tänzerinnen und Tänzer wollen wirklich jede Gelegenheit nutzen unsere Kunst auszuüben», sagt Pérez.
«Aber ich möchte definitiv nicht jammern über die Situation, denn uns am Theater geht es vergleichsweise gut. Ich habe weltweit an vielen Theatern gearbeitet - und entschieden, in Basel zu bleiben. Das war die richtige Entscheidung: Die hohe Qualität der Produktionen und die Art, wie Richard Wherlock (seit bald 20 Jahren Direktor des Ballett Theater Basel) mit uns Tänzer*innen umgeht - das ist im Vergleich aussergewöhnlich, auch jetzt in der Krise! Wir müssen also unsere freischaffenden Kolleg*innen unterstützen. Gerade diejenigen, denen es momentan finanziell nicht so gut geht.»
Komme was wolle
Und selbst wenn der Shutdown tatsächlich so verschärft wird, dass jegliche Form des miteinander Tanzens untersagt ist, wird Pérez nicht still halten.
Er verweist auf DanceLive Europe, eine Plattform, die er zusammen mit seiner Geschäftspartnerin Permi Jhooti im Mai lanciert hat. Darauf kommen professionelle Tänzer*innen weltweit zusammen und vernetzen sich – in Form von live Tanzstunden. Die Plattform wurde im Frühling bereits rege genutzt: Bis zu zweihundert Tänzer*innen gleichzeitig haben sich in den Online-Trainings zusammengefunden. One, Two, Three and Plié!