Ich bin Sascha - Start unserer Kolumne über einen non-binären Menschen
Weil Sascha auf dem Ultraschallbild kein Zipfeli hatte, wurde Sascha bei der Geburt zu einem Mädchen gemacht. Heute lebt Sascha non-binär und erklärt hier, warum «er» oder «sie» nicht auf Sascha zutreffen.
Ich hiess nicht immer Sascha. Aber jetzt heisse ich so. Meine Eltern gaben mir einen sehr weiblich klingenden amerikanischen Vornamen. Sagen wir, ich hiess davor: Tiffany.
Mit Tiffany verbinde ich vieles. Ich zucke zusammen, wenn ich den Namen lese: T-I-F-F-A-N-Y. Ich habe diese Buchstabenfolge unzählige Male gelesen, geschrieben. Es waren die ersten Buchstaben, die ich gelernt habe zu einem Wort zu verbinden. Unzählige Male: T-I-F-F-A-N-Y.
Es war der Name, der mir aufgrund der Beschaffenheit meiner primären Geschlechtsmerkmale gegeben wurde. Weil da also kein «Zipfeli» auf dem Ultraschallbild sichtbar war und indem man meinen werdenden Eltern sagte «Es ist ein Mädchen», wurde ich zu einem Mädchen gemacht.
Ganz richtig, ich wurde zu einem Mädchen «gemacht». Denn erstmal ist man eigentlich gar nichts. Weil ich also Tiffany sein sollte, wurde ich Tiffany. Man erklärte mir: Das machen Mädchen, zum Beispiel mit Puppen spielen. Man sagte mir: Das wollen Mädchen, zum Beispiel sich schminken. Man schalt mich: Das machen Mädchen nicht, zum Beispiel wild herumtollen und Kriegsspiele spielen wollen.
Man erklärte mir: Wir müssen jetzt einen Bikini für dich kaufen gehen, denn spätestens bei Einsetzen des Brustwachstums galt es, diese Körperstelle zu bedecken.
Man lobte mich: Schön, dass Du beim Familienfest so gut mitgeholfen hast beim Geschirrwaschen. Man lehrte mich: Als Frau musst Du darauf achten, dass Du nicht schwanger wirst, hier sind Verhütungsmethoden. Man erklärte mir: Wenn Du nicht begrapscht werden willst, dann solltest Du vielleicht keinen Ausschnitt oder kurze Röcke tragen. Filme zeigten mir: Tiffany soll schüchtern sein und sich zieren, ein bisschen kokettieren, aber nicht albern, exhibitionistisch, übersexualisiert sein.
«Heute sage ich ‹hej, ich bin imfall weder Frau noch Mann, ich kann mich schlichtweg mit keiner Position identifizieren.› Aber das irritiert die Leute.»Sascha
Und über allem schwebte das Versprechen, ein Highschool Boy würde kommen und er würde mich fragen, ob wir zusammen ausgehen würden. Und er würde mir ein Geschenk machen. Und er würde mich dann fragen, ob ich seine Freundin sein möchte.
Aber was, wenn Tiffany nicht Tiffany war? Was, wenn Tiffany lieber nicht auf den Highschoolboy wartete, sondern stattdessen andere Mädchen fragen wollte, ob sie ihre Freundin sein mochten? Wenn Tiffany selber Geschenke machen wollte, statt welche zu kriegen? Wenn sie küssen und Schmusen und keine Verhütungsmittel brauchen müsste?
Dieses Geschlechtsangebot kannte ich nicht, kannte Tiffany nicht.
Geschlechtsidentität: non-binär
Das ist heute anders. «Hej, ich bin imfall weder Frau noch Mann», sage ich heute, «ich kann mich schlichtweg mit keiner Position identifizieren.» Aber das irritiert die Leute. Die Leute sagen mir dann, «aber irgendwas musst Du ja sein!» und ich sage «nein, wirklich nicht. Ich bin einfach Sascha», und sie rufen «Aber iiiirgendwas musst Du ja sein!!» und ich sage:
«Also ja, wenn Du einen Begriff dafür brauchst: Ich bezeichne meine Geschlechtsidentität als non-binary, oder zu deutsch, nicht-binär».
Wenn ich das sage, dann sind diese Leute (zu Recht) irritiert.
Zu Recht weil: Unsere Gesellschaft ist krass versteift auf binäre Geschlechterbilder und – Geschlechterrollen. Sie will Klarheit. Es ist nach wie vor avantgardistisch, von sich zu behaupten, nicht dies oder das zu sein.
So ist das mit dieser Normgesellschaft, denn die Norm lautet: cis-hetero. Cis bedeutet, dass man sich mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren kann. Also, wenn Tiffany gesagt hätte «Hej ja voll, das stimmt so: Ich identifiziere mich als Frau und dass andere denken, dass ich eine bin, das stört mich nicht».
Trans Menschen sagen das nicht. Sie identifizieren sich nicht mit dem Geschlecht, dem sie bei der Geburt zugewiesen wurden. Trans bedeutet nicht mehr und nicht weniger als «Ich kann mich mit dem Geschlecht, das mir bei Geburt zugewiesen wurde, nicht identifizieren».
«Meinen alten Namen Tiffany zu hören, ist retraumatisierend. Ich höre ihn nicht gerne. Er erinnert mich an alles, was ich sein sollte und aber nicht sein wollte.»Sascha
Welche Form das dann annimmt, das ist ganz individuell. Eine Person kann zum Beispiel eine trans Frau sein, also eine Frau, die bei Geburt dem männlichen Geschlecht zugewiesen wurde, aber eine weibliche Geschlechtsidentität hat. Oder vielleicht ist der Mensch ein trans Mann, der zwar Testosteron nehmen, sich aber seine Brüste nicht abbinden möchte. Oder die Person identifiziert sich als non-binäre Person. Das bin ich. Ich bin Sascha.
Manche trans Menschen nehmen medizinische Geschlechtsangleichungen vor, sie nehmen Hormone, oder unterziehen sich Operationen. Andere trans Menschen nehmen nur institutionell-soziale Geschlechtsangleichungen vor, indem sie Vornamen, Pronomen, oder Personenstand ändern. Manche machen alles zusammen. Und wieder andere trans Menschen vollziehen eine symbolisch-soziale Geschlechtsangleichung, etwa durch die Art der Kleidung, die sie tragen, wie sie sich bewegen, wie sie sprechen.
Trans Menschen sind so verschieden und haben so verschiedene Bedürfnisse, wie alle anderen Menschen auch. Ich kann sagen: Ich bin Sascha. Ich möchte, dass mir Leute Sascha sagen und dass sie keine Pronomen für mich verwenden. Kein er, kein sie. Einfach Sascha.
Meinen alten Namen Tiffany zu hören, ist retraumatisierend. Ich höre ihn nicht gerne. Er erinnert mich an alles, was ich sein sollte und aber nicht sein wollte. Jetzt bin ich Sascha und das fühlt sich gut an. Als Sascha werde ich Ihnen, liebe Leser_innen in dieser Kolumne nun aus meinem Alltag erzählen, der Ihnen eine – wohlmöglich – unbekannte Perspektive vorzeigt, aber in den meisten Fällen auch einfach einen Spiegel vorhält. Liebevoll. :-)
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Die Fotos dieser Serie sind Arbeiten der freiberuflichen Fotografin Anne Gabriel-Jürgens. Sie lebt und arbeitet in Zürich und Hamburg und begleitet Sascha für ein Langzeitprojekt mit dem Titel «Outbetweeninside». Die Fotografin beschreibt die Arbeit als visuellen Dialog mit Sascha. Alle Bilder dieser Artikelserie sind Teil dieser Zusammenarbeit.