«In euphorischen Phasen fühle ich mich als der neue Freddie Mercury»
Rock’n Roll als Lebensprinzip. Davon handelt «Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris» des Bayerischen Musikers und Kabarettisten Georg Ringsgwandl. Mit Kulturjournalistin Esther Schneider spricht er über Hochs und Tiefs seiner Karriere und darüber, ob der Roman eigentlich eine verkappte Autobiographie ist.
In seinem ersten Roman erzählt der Bayerische Musiker und Kabarettist Georg Ringsgwandl vom Glanz und Graus des Künstlerlebens mit einer Band auf Tour durch die Provinz. Ringsgwandl behauptet, er habe den Roman aus den geheimen Notizen seiner Tourmanagerin Doris zusammengeschrieben. Doris war 26 Jahre lang mit ihm auf Tour, bis sie plötzlich spurlos verschwunden ist.
Wer ist Doris? Und ist das, was Georg Ringsgwandl als Roman bezeichnet, eine verkappte Autobiografie. Esther Schneider hat Georg Ringsgwandl in München getroffen, um diese Fragen zu klären.
«Die Fallhöhe von dem, was beklatscht wird und dem, was komplett in die Hose geht, ist gross.»Musiker und Kabarettist Georg Ringsgwandl
Georg, im Titel deines Romans steht das Wort Schlampe. Was ist für dich eine Schlampe?
Schlampe ist ein äusserst negativer Ausdruck im Bayerischen und bedeutet ein liederliches Frauenzimmer. Natürlich ist es ein unmöglicher Ausdruck und ernsthaft gar nicht zu gebrauchen. Aber Doris hat sich diesen Namen selber gegeben. Es ist ihr Kampfname in der Rock’n Roll-Szene. (Schmunzelt) Sie kam drauf, als sie zwei bedepperte Tourtechniker belauschte. Einer fragte in tiefstem Schwäbisch: «Du, wer ischn des?» Und der andere antwortete: «Des isch die Tourschlampe vom Ringsgwandl». (Lacht) Als Kampfname ist das gut. Er zeigt, dass das Rock-Geschäft damals für Frauen keine einfache Szenerie war. Aber Doris hat sich durchgesetzt.
Wir sitzen zusammen in der Bibliothek der Bayerischen Akademie der schönen Künste, ziemlich bourgeois hier.
(Entsetzt) Es ist nicht nur bourgeois, es ist königlich, königlich bayerisch. In die Akademie bin ich letztes Jahr aufgenommen worden. Und ich habe mich auch nicht dagegen gewehrt. Ein Haus mitten in München. Die Räume sind schön, es ist aufgeräumt …
Der Bayerische Musiker und Kabarettist Georg Ringsgwandl steht seit 1986 als exaltierter und vogelwilder Künstler auf den deutschsprachigen Bühnen. Er veröffentlichte zwölf Studioalben, schreibt Musiktheaterstücke, Bücher und Beiträge für Magazine und Zeitungen. Sein erster Roman «Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris» erschien im Juli im dtv-Verlag.
(Foto: © by www.Christiankaufmann.de)
Das heisst, du bist jetzt angekommen in der guten Gesellschaft.
Na ja, darüber kann man diskutieren. Natürlich ist es ein gewisser Trost im Alter und eine schöne Anerkennung für das, was ich jahrzehntelang auf der Bühne gemacht habe. Aber, die wichtigen Dinge passierten woanders. Auf Tour, in den wilden, anstrengenden, komplett erratischen Jahren meiner Künstlerlaufbahn. Da, wo neben dem Erfolg auch das Scheitern und das Verzweifeln dazugehörten. Denn, die Fallhöhe von dem, was beklatscht wird und dem, was komplett in die Hose geht, ist gross.
Davon erzählst du in deinem Roman ausführlich. Vor allem am Anfang ist die Rede von versifften Unterkünften, rattenverseuchten Hinterhof-Discos mit null Publikum. Hast du nie an dir gezweifelt?
Doch und wie. Am Anfang war es unglaublich hart. Es gab so furchtbare, peinliche und bittere Momente, wo ich dachte, es sei verrückt weiterzumachen. Aber trotzdem wollte ich es probieren. Und ich hatte immer wieder euphorische Phasen, die haben mich getragen. Das liegt daran, dass ich eine gewisse manisch-depressive Stimmungslage habe. Manchmal fiel ich in ein Loch und dachte, mich holt gleich die Müllabfuhr. Dann wieder hatte ich eine manische Phase und glaubte, ich sei der neue Freddie Mercury oder der Lou Reed …
Oder Mick Jagger ...
Mick Jagger, hahaha… genau. Aber irgendwann hat es gefunkt und wir hatten den ersten ausverkauften Laden. Übrigens aus depressiven Phase sind oft meine besten Songs entstanden.
«Ich versuche mich schon so zusammenzuhalten, dass ich nicht straffällig werde, meine Steuern regelmässig bezahle und den Haushalt in Ordnung halte.»Musiker und Kabarettist Georg Ringsgwandl
Der Roman ist aus der Sicht von Doris, der Tourmanagerin geschrieben. Sie führt in all den Jahren auf Tour ein geheimes Tagebuch. Ich behaupte mal, Doris ist eine fiktive Figur und der Roman eine verkappte Autobiografie.
Na, das sagen natürlich viele Kritikerinnen und Kritiker. Nur, was soll ich dagegen sagen? Doris war 26 Jahre lang mit mir auf Tour. 2011 ist sie untergetaucht und war plötzlich weg. Und dann entdecke ich beim Aufräumen die geheimen Aufzeichnungen von ihr auf meinem Tour-Laptop. Jetzt sagen natürlich alle: «Das erzählst du einfach so, Ringsgwandl. Doris ist eine fiktive Figur.» Aber wie soll ich das Gegenteil beweisen. Das ist eine schwierige Situation. Drum sage ich einfach, es ist ein Roman.
Ja gut, aber Doris schwankt wie du – du warst damals Oberarzt in einem Spital – zwischen dem prekären Künstler*innen-Dasein und einer bürgerlichen Existenz. Du trittst auch ab und an in weiblichem Outfit auf die Bühne, mit blonder Perücke und rotem Blümchenkleid. Da frage ich mich, bist du auch Doris?
Hahaha. Also meine Frau, die Psychotherapeutin war, und Leute aus meiner Umgebung sagen, dass ich eine schizoide Persönlichkeit habe. Dass ich dazu neige, meine Persönlichkeit in verschiedene Teile zu spalten. Da kann ich nichts dafür. Ich habe mich nicht darum beworben, dass ich diese Neigung zum mehrfachem Gespalten-Sein habe. Ich versuche mich aber schon so zusammenzuhalten, dass ich nicht straffällig werde, meine Steuern regelmässig bezahle und den Haushalt in Ordnung halte.
«Wenn jemand wissen will, was harte Arbeit ist, der versuche ein Buch zu schreiben.»Musiker und Kabarettist Georg Ringsgwandl
Du wirst diesen Herbst 75 Jahre alt. Ich habe mich gefragt, ob dir das Tourleben mit der Band zu anstrengend ist und du dich jetzt an den Schreibtisch setzt und Romane schreibst.
Nein, so ist es nicht. Ich bin ab dem 28. September wieder unterwegs mit einem neuen Programm. Aber die Wahrheit ist, auf Tour zu gehen mit der Band, ist wie ein Spaziergang in warmer Frühlingsluft im Vergleich zum Schreiben.
Ist das so?
Wenn jemand wissen will, was harte Arbeit ist, der versuche ein Buch zu schreiben. Schreiben ist etwas vom Härtesten, was man tun kann. Das ist für Leute, die wie ich eine reduzierte Intelligenz haben, eine riesige geistige Anstrengung. Ich habe mich wirklich bemüht, war aber oft nahe dran, das Ganze in die Tonne zu treten.
Angenommen Doris taucht eines Tages wieder auf. Was würdest du ihr sagen?
Ich würde ihr sagen, dass sie mir mit ihren Notizen eine Sauarbeit aufgehalst hat. Sie war so ausgekocht, dass sie gewusst hat, dass ich, als ordentlicher Typ, was draus machen werde. Das hat sie gerochen. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sie sich meldet, wenn das Buch ein Erfolg wird. Dann möchte sie einen Anteil davon kriegen.
Das ganze Gespräch mit Georg Ringsgwandl ist zu hören im Podcast LiteraturPur.Da erfährt man, welche Musik er hört und welche Bücher er liest, warum er seinen Job als Oberarzt für das Künstlerleben aufgegeben hat, was sein Tiefpunkt war als Bandleader sowie andere haarsträubende Geschichten vom Glanz und Graus des Tourlebens.
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