Grüne Bäume statt «grüne Wand»
Ein prominent besetztes Initiativkomitee träumt von einem tramfreien Marktplatz. Mit spektakulären Bildern einer belebten, grünen Innenstadt will man den Basler*innen auch das Petersgraben-Tram als Alternativroute schmackhaft machen.
Während die Basler Regierung der Umsetzung der Bahn-Utopie Herzstück nachtrauert und das Grossprojekt wiederzubeleben versucht (hier mehr dazu), spinnt man in Teilen des Basler Establishment eine neue Idee, die nicht minder gross gedacht ist: eine Neugestaltung der Basler Innenstadt.
Auf einem Bildschirm im vollbesetzten Seminarraum des Hotels Märthof werden an diesem Montagmorgen graue Videosequenzen gezeigt: Nahaufnahmen von Trams, die sich durch die Innenstadt drücken, Autohupen und andere Verkehrsgeräusche sind zu hören. Hektisch, unbequem. Das ist heute. Doch das soll sich ändern – und deshalb hat der neu gegründete Verein «Go Basel Go» (der Name ähnelt sehr stark jenem der App für den Tramfahrplan der BLT «Basel Go») überhaupt erst zur Pressekonferenz geladen.
Auf dem Bildschirm leuchten bunte Visualisierungen, auf denen die Trams aus dem Stadtbild verschwunden sind. Dafür wurden überall Bäume gepflanzt, der Boden ist von Kopfsteinpflaster gesäumt, Cafés stuhlen grosszügig auf die Strasse – und ist das ein Brunnen auf dem Barfi? Man hört keine Verkehrsgeräusche mehr, nur noch Vogelgezwitscher, freundliches Plaudern, plätscherndes Wasser – wie von einer Meditations-CD.
«Die heutige Situation ist eine latente Gefahr – Tag für Tag, Stunde für Stunde»Moritz Suter
Die Visualisierungen stammen von Herzog & de Meuron. Die beiden Roche-Türme-Architekten haben sich im letzten Jahrhundert mehr im Basler Stadtbild verewigt als jemand anderes. Jetzt soll endlich auch die Innenstadt ihren Visionen entsprechen. Tatsächlich haben sie schon 1979 einen Projektwettbewerb zur Neugestaltung des Marktplatzes gewonnen – umgesetzt wurden ihre Visionen aber nie. Doch jetzt scheint die Zeit reif. Jedenfalls hat sich mit Moritz Suter jemand gefunden, der bei den Architekten offene Türen einrannte, als er vor einem Jahr den Plan fasste, dass die Drämmli aus der Innenstadt verschwinden müssen.
Suter – umstrittener Gründer der Fluggesellschaft Crossair und kurzzeitiger Besitzer der BaZ, der sie schliesslich an die Blocher-Familie verkaufte – erklärt bei der Pressekonferenz im Märthof, wie er letztes Jahr fast einen fatalen Tram-Unfall miterlebte: Eine Frau stolperte am schmalen Gehsteig bei der Safran-Zunft, just als das 8er-Tram um die Ecke bog. Suter konnte sie gerade noch halten. «Die heutige Situation ist eine latente Gefahr – Tag für Tag, Stunde für Stunde», sagt er.
Deshalb hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um eine Vision auszuarbeiten, wie Basel die ungeliebte «grüne Wand» durch die Innenstadt loswerden könnte. Diese präsentiert er jetzt als Innenstadt-Initiative der Bevölkerung – mit dem Ziel, dass die Gestaltung der Innenstadt als «Raum des öffentlichen Aufenthalts und Begegnung» in der Verfassung festgeschrieben wird. Suter schwärmt von Städten wie St. Gallen und Solothurn, wie «adrett» diese seien – und wo im Gegensatz zu Basel keine leerstehenden Geschäfte in der Innenstadt zu sehen seien.
Die Initiative vergleicht Pierre de Meuron an der Pressekonferenz mit dem Momentum von 1967, als auf zivilgesellschaftliches Engagement hin zwei Picasso-Gemälde mittels Staatskredit vor dem Verkauf ins Ausland bewahrt wurden. Dieser «Bottom-up-Gedanke», wie de Meuron ihn nennt, äussert sich bei der Innenstadt-Initiative mit einem Unterstützungskomitee, in dem quasi das komplette Basler Establishment vertreten ist.
Die grossen Namen der Stadt sind alle schon im Boot und unterstützen die Idee – von FCB-Präsident David Degen und Ex-FCB-Präsident Bernhard Heusler über die Schiesser-Brüder und Baloise-Session-CEO Beatrice Stirnimann bis zu CMS-Präsident Baschi Dürr und HKBB-Direktor Martin Dätwyler. Wenn Sibel Arslan (Basta) neben Pascal Messerli (SVP) auf einer Liste steht, dann hat man sich definitiv um eine breite Allianz bemüht – das spricht aber auch dafür, dass die Initiative verschiedene Interessen zusammenbringt.
Da wären die Interessen des Gewerbes, das sich wieder mehr Laufkundschaft wünscht, wenn die Innenstadt lebenswerter wird. Und die Interessen der Klimabewegten, die an Entsiegelung, weitreichender Begrünung und Verkehrsberuhigung ihre Freude haben dürften. Die grosse Kunst dieser Initiative ist aber, dass sie den Interessen von Tram-Lobby und Anti-Tram-Lobby gleichermassen nachkommt.
Denn ein tramfreier Marktplatz soll nicht einfach eine Reduzierung des Tramverkehrs bedeuten. Das Tramausbau-Konzept «Tramnetz2030» ist sowieso in der Pipeline und das sieht das Petersgraben-Tram vor – ein Lückenschluss zwischen Schifflände und Barfüsserplatz, direkt am Unispital und an der Uni vorbei. Das Projekt hat nicht nur Freund*innen in der Stadt – und könnte es bei einer Volksabstimmung schwer haben.
Die Initiant*innen geben dem Petersgraben-Tram jetzt eine raison d’etre: Sie soll als Ersatz herhalten, damit die Trams nicht mehr durch die Innenstadt fahren müssen (was im übrigen auch Tramfahrer*innen wegen der hohen Dichte an Fussgänger*innen nicht nur gerne machen). Wer das Petersgraben-Tram bisher bekämpfte, überlegt es sich jetzt vielleicht zweimal, wenn dafür die Innenstadt tramfrei wird. LDP-Grossrat Raoul Furlano zum Beispiel kritisierte das Petersgraben-Tram noch vor einem Jahr in einer Interpellation – und ist jetzt auf der Unterstützungsliste der Innenstadt-Initiative.
Eine tramfreie Innenstadt könnte derweil aus Gründen der Barrierefreiheit noch Diskussionspotenzial bieten – allerdings hat man sich das bei den Initiant*innen auch überlegt: Statt dem Tram soll es einfach ein neues Gefährt geben, in dem gehbehinderte und ältere Menschen einsteigen und zwischen Marktplatz und Barfüsserplatz hin- und herfahren können.
Wie genau das aussehen würde – immer wieder wird als Inspiration auf die Strassenbahn in Dijon verwiesen, die zugegeben sehr stark einem Tram ähnelt – steht noch in den Sternen. Pierre de Meuron sagt: «Vielleicht könnten es auch Rikschas oder Velo-Taxis sein. Oder vielleicht auch autonome Shuttle-Busse. Den Baslern wird schon was einfallen.»
Denn, das ist den beiden Architekten auch wichtig zu betonen: Nur weil sie schon fleissig visioniert und visualisiert haben, kann die Ausgestaltung am Ende ganz anders aussehen. Die Bilder zeigen nur, welche Atmosphäre man sich in Zukunft für Basel vorstellt – HdM muss da auch gar nicht den Projektlead übernehmen. «Wir machen nur den Weg frei, damit etwas passieren kann», sagt Jacques Herzog und fügt dann doch an: «Wir hoffen natürlich schon, dass wir einen Teil der Neugestaltung machen können.»
«Wir wollen der Regierung einen Anschub geben, die es selber nicht schafft, die Situation zu verbessern.»Jacques Herzog
Das alles klingt nach einem recht gross dimensionierten Projekt – und nach jahrelanger Baustelle in der Innenstadt, wo doch gerade erst der Globus wieder eröffnen wird und die (übrigens von HdM bewerkstelligte) Hauptpost-Sanierung vor dem Abschluss steht. Nächsten Sommer wird dann der Ersatz der Tramgleise beim Marktplatz für zehn Wochen einen Vorgeschmack geben, was eine tramfreie Innenstadt bedeuten würde.
Die Initiant*innen selbst sind überzeugt, dass das Ganze gar nicht so viel Aufwand generieren würde, der nicht eh schon ansteht – das Petersgraben-Tram ist geplant, die Tramgleise werden für den Ersatz sowieso alle paar Jahre aus dem Boden geholt und Begrünung und Innenstadt-Belebung wird von zahlreichen politischen Vorstössen gefordert. Moritz Suter sagt, dass ein Meter Tramgleise 13’000 Franken kostet und das Petersgraben-Tram 480 Meter lang sein würde. 6,2 Millionen Franken also. «Für den ESC haben wir 37,5 Millionen ausgegeben», setzt Suter das in Perspektive.
Die Unterschriftensammlung für die Initiative soll bald starten – amtlich geprüft ist sie bereits. Die Verantwortlichen wollen keine Zeit verstreichen lassen – deshalb auch die Initiative und nicht der langwierige parlamentarische Weg. «Wir wollen der Regierung einen Anschub geben, die es selber nicht schafft, die Situation zu verbessern», sagt Jacques Herzog. Moritz Suter erinnert daran, dass die im vergangenen Jahr gefeierte Eröffnung der Freien Strasse als Flaniermeile auf eine Idee in den 70ern zurückgeht. Suter ist jetzt 82. Er macht deutlich, dass er die neue Basler Innenstadt noch erleben will.