Esther Keller ist hässig
Das ultimative Bahnausbauprojekt Herzstück kommt in einer ETH-Studie nicht gut weg. Die Regierungen beider Basel sind düpiert – und wollen jetzt den Ton ändern, um Verkehrsminister Rösti doch noch umzustimmen.
Hat man Esther Keller schonmal so energisch erlebt? Zackig und metaphernreich rauschte sie am Montag durch die Pressekonferenz in den Roof-top-Räumlichkeiten im Hotel Victoria, mit bestem Blick auf das Bahnhofsgebäude. Da musste man nichts zwischen den Zeilen lesen – die Stadtbasler Verkehrsdirektorin machte deutlich, dass man absolut hässig über die ETH-Studie «Verkehr ‘45» ist.
Die «dicke Post aus Zürich», wie die GLP-Regierungsrätin die am Donnerstag veröffentlichte Studie nennt, lässt sich einfach zusammenfassen: Aus Sicht des Infrastruktur-Professors Ulrich Weidmann braucht es in der Region Basel zwar dringendst den Autobahnausbau in Form des Rheintunnels, der vergangenen November von der Stimmbevölkerung abgelehnt wurde. Aber das Herzstück, also die Weiterentwicklung des Basler Bahnknotens, das soll nicht priorisiert werden. Sprich: Die Umsetzung soll frühestens ab 2045 starten. «Da reden wir später noch Mal drüber», quasi.
Über dieses Verkehrsausbau-Programm sinniert man in der Region seit Jahrzehnten. Das Herzstück ist eine Reihe von Teilprojekten, die perspektivisch das S-Bahn-Netz in der Region verbessern sollen. Die drei Bahnhöfe SBB, Badischer Bahnhof und St. Johann sollen dazu unterirdisch miteinander verbunden werden – zum Plan gehören auch neue Stationen, beispielsweise direkt am Rhein als «Basel Mitte». Und Basel SBB soll zum Tiefbahnhof werden. Nach aktuellem Planungsstand kostet das: 14,2 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Der Gotthard-Basistunnel hat 12,2 Milliarden Franken gekostet.
Hintergrund des Ganzen ist, dass SVP-Bundesrat Albert Rösti nach der verlorenen Volksabstimmung über den Autobahnausbau ein Gutachten zur Gesamtbetrachtung der Verkehrsprojekte in der Schweiz in Auftrag gab. Dabei wurden 500 bestehende Projekte angeschaut, die Stand jetzt 112,7 Milliarden Franken kosten. Ulrich Weidmann von der ETH bekam den Auftrag, dass er die Projekte so priorisieren soll, dass man nur 30,5 beziehungsweise 40,5 Milliarden Franken davon dringend bis 2045 investieren muss.
Und laut Weidmann ist eben der Rheintunnel Prioritätsstufe 1, obwohl die Bevölkerung ihn abgelehnt hat. Denn der Rheintunnel würde den Fernverkehr klar vom städtischen und regionalen Verkehr entflechten und damit zu einer Entlastung auf den Strassen führen – und die Strassenkapazität erweitern, was in den vergangenen Jahrzehnten laut Weidmann nur «eher zurückhaltend» geschehen ist.
Gleichermassen kommt Weidmann beim Herzstück zu einer anderen Einschätzung. Zwar räumt er ein, dass das SBB-Netz in die Agglo in Basel schlechter ausgebaut ist als in anderen Regionen (wenn auch man das durch weitreichendere Tramverbindungen etwas kompensiert). Doch beim Herzstück-Plan sieht er «erhebliche zeitliche und finanzielle Risiken».
Weidmann begründet das mit der grossen Komplexität: Diese würde bei den Zulaufstrecken die Einbindung ins Netz erschweren. Technisch wäre die Umsetzung des Herzstücks sowieso erst in den 2040er-Jahren möglich, sobald die ganzen anderen Ertüchtigungsmassnahmen am Bahnhof SBB (Ausbau Gleis- und Weichenanlagen im Ost- und Westkopf) beendet sind. Er bezieht sich dabei auf ein Grundlagen-Dokument des Bundesamts für Verkehr – und empfiehlt deshalb, dass das Herzstück bis nach 2045 warten kann.
Soll man das Herzstück weiterverfolgen – oder nicht? Das wollen wir bei unserer «Frage des Tages» diskutieren.
Doch dieses Argument einer technischen Unmöglichkeit will man in Basel nicht akzeptieren. Bei der Medienkonferenz am Montag, zu der kurzfristig die Handelskammer beider Basel (HKBB) eingeladen hatte, erhob Patrick Leypoldt vom regionalen Lobbyverband Agglo-Basel den Einspruch, dass die Bauphasen des Ertüchtigungspakets derzeit von den SBB optimiert werden. Solange die neue Bauphasenplanung nicht vorliegt, könnte man also davon ausgehen, dass der Tiefbahnhof auch schon früher in Angriff genommen werden könnte.
Gerade weil der ETH-Professor ja den unzufriedenstellenden Status Quo anerkennt, ist der Frust über die «Depriorisierung» des Herzstücks gross – immer wieder wird das an der Medienkonferenz als «Widerspruch» bezeichnet. «Dass man zum Schluss kommt, dass die Verbesserung für Basel erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kommen soll, ist für mich unverständlich», sagt Esther Keller.
Zweifel am Herzstück will sie gar nicht erst aufkommen lassen und greift Kritikpunkte, man könnte das Projekt ja auch einfach ein bisschen kleiner denken, schon vorgängig auf. «Mir ist schleierhaft, wie wir auf dem bestehenden Schienennetz mehr Züge fahren lassen sollen. Wir bräuchten ein paar Gleise mehr – und wenn wir die auf dem heutigen Netz bauen wollen, müsste ich ein paar Häuserzeilen abreissen.»
Dieser Alternativlosigkeit zum Herzstück als einzige Lösung für ein besseres S-Bahn-Netz beigemischt ist dann auch eine gewisse Kränkung, dass andere Regionen in der Schweiz ihren Bahnausbau bekommen, aber Basel nicht. Nur 3,8 von geplanten 21 Milliarden Franken Infrastrukturinvestitionen in der Region sollen priorisiert werden. Das sind 18 Prozent – in anderen Regionen sollen stattdessen 80 Prozent der Projekte priorisiert werden.
Es scheint immer wieder durch: In Basel fühlt man sich benachteiligt gegenüber der Restschweiz. «Wir spielen nicht in der gleichen Liga wie Zürich oder Genf», sagt Leypoldt von Agglo-Basel und stichelt: «Auch andere Projekte waren komplex und wurden trotzdem umgesetzt.» Esther Keller setzt nach: «Warum ist in Basel nicht möglich, was man in Zürich und Bern schon lange macht?»
Also, was jetzt?
Nun, die Region will ihr Lobbying intensivieren. Keller gibt sich kämpferisch: «Wir werden laut sein.» Denn ein ETH-Gutachten ist noch kein politischer Entscheid – und Albert Rösti habe immer wieder signalisiert, dass er zuerst auf das Gutachten warten wolle, bevor er sich auf die politische Ausgestaltung einlässt. Schon am Mittwoch treffen sich Keller und ihr Baselbieter Amtskollege Isaac Reber (Grüne) mit dem Bundesrat. Ihre Botschaft ist klar: «Ein einseitiger Strassenausbau kommt für uns nicht infrage.»
Standesinitiative geplant
In der Medienmitteilung zur Pressekonferenz werden gar dystopische Töne angeschlagen: Ein «kaum mehr aufzuholendes Infrastrukturdefizit in der Region Basel» würde die Anbindung der Schweiz an das europäische Schienennetz infragestelle und die Landesversorgung gefährden. Basel als Wirtschaftsmotor der Schweiz – dieses Bild will die vereinte Basel-Lobby in Bern prägen, um doch noch Unterstützung für das Herzstück zu finden.
Nachdruck will die HKBB machen, indem sie in beiden Kantonsparlamenten Standesinitiative einreicht, damit der etappierte Ausbau des Bahnknotens Basel von der Bundespolitik eingefordert wird. Gleichzeitig soll die Standesinitiative auch deutlich machen: Wenn der Rheintunnel kommt, dann aber als «Rheintunnel+» – also mit mehr Lärmschutzzugeständnissen für die lokale Bevölkerung. Davon erhofft man sich, dass der Rheintunnel in Zukunft doch noch eine Chance bei der Bevölkerung hätte.
Doch allzu viel Zeit ist dafür nicht: Im Januar werden die inhaltlichen Eckwerte der Vernehmlassungsvorlage feststehen, im Juni startet die Vernehmlassung. Die Botschaft 2026 – also welche Infrastrukturprojekte in den nächsten 20 Jahren umgesetzt werden sollen – kommt dann im 2027 in die Parlamente.