«Die Menschen in der Ukraine brauchen uns»
Am Wochenende feiert der Verein «Ukrainer in Basel» Jubiläum. Zwei Mitglieder erzählen, wie sich ihr humanitäres Engagement in den vergangene zehn Jahren – und besonders nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine – gewandelt hat.
Tetyana Polt-Lutsenko ist viel beschäftigt. Die Musikerin unterrichtet Tanz und Gesang und wirkt als freischaffende Sängerin in mehreren Ensembles für Alte Musik. Im Ehrenamt leitet sie die Ortsgruppe «Ukrainer in Basel», eine Untergruppe des Ukrainischen Vereins in der Schweiz. Am Sonntag steht das Zehn-Jahr-Jubiläum an, ein Fest, auf das sie mit Freude blickt.
«Unser Fest ist vor allem ein grosses Dankeschön an alle Baslerinnen und Basler, die uns in den letzten Jahren unterstützt haben», sagt Polt-Lutsenko. Am Jubiläum wird es ein Benefizkonzert und einen Markt mit selbstgemachten Produkten geben. Und auch Wirtschaftsdirektor Kaspar Sutter kommt ins Zwinglihaus, um eine Ansprache zu halten.
Der Ukrainische Verein der Schweiz existiert bereits seit 1945. «Zu Beginn waren wir in Basel eine kleine Gruppe von Musikerinnen und Musikern, die ukrainisch sprachen und die einheimische Traditionen pflegten», erzählt Polt-Lutsenko. 2014, nachdem Russland die Krim annektiert hatte, organisierte sich die Ortsgruppe Basel als Hilfswerk.
Anfangs organisierte der Verein vor allem Transporte mit Hilfsgütern in die Ukraine. «Die Gelder haben wir mithilfe von gastronomischen und kulturellen Anlässen und auch durch Spenden generiert», erinnert sich Polt-Lutsenko. Egal ob Konzerte, Lesungen oder Informationsabende – das Team um die Musikerin war sehr aktiv: «2016 haben wir jeden Monat einen Anlass organisiert. Die Arbeit war sehr intensiv und wir haben sehr viele Transporte in die Ukraine geschickt.» Immer wieder hat der Verein auch private Anfragen von Ukrainer*innen in Basel erhalten, die wesentliche Hilfe aber wird in der Ukraine selbst geleistet.
Dann kam der Überfall Russlands auf die Ukraine und seit dem 24. Februar 2022 hat sich die Arbeit des Vereins «komplett verändert», wie Polt-Lutsenko sagt. In den ersten vier Monaten wurden weiterhin Transporte mit Kleidern, Windeln oder Schuhen von der Schweiz in die Ukraine geschickt. Zahlreiche Spenden gingen ein und es kamen so viele Hilfsgüter zusammen, dass ein Lager organisiert werden musste. «Eines Tages wurde uns aber klar, dass wir unser Konzept ändern müssen, weil die Menschen im Krieg ganz andere Unterstützung brauchen.»
Zudem war der Transport der Hilfsgüter teuer, ein Transport habe mehr als 1500 Franken gekostet. «Wir haben gemerkt, dass die Leute in der Ukraine statt Kleidern medizinische Produkte benötigen, zum Beispiel Verbandsmaterial oder auch Rollatoren. Wir kaufen auch Wärmedecken für Verwundete, die in Spitäler transportiert werden und teilweise lange auf den Transport warten müssen und sonst frieren. Oder wir spenden Implantate, die in den Spitälern gebraucht werden», so Polt-Lutsenko. Daneben unterstützt der Verein Kindercamps in der Ukraine und besorgt Weihnachtsgeschenke für die Kleinen.
Alle Waren, die gespendet werden, werden in der Ukraine hergestellt und gekauft. Auf diese Weise wird die Wirtschaft vor Ort unterstützt. Möglich ist dies dank des grossen Einsatzes Freiwilliger in Basel wie auch in der Ukraine. Der Verein arbeitet dort mit Institutionen zusammen, die Polt-Lutsenko als sehr gewissenhaft und vertrauenswürdig einschätzt.
Setzt sich der Verein auch für Ukrainer*innen in Basel ein? Weniger, wie im Gespräch deutlich wird. Der Verein versuche, denjenigen zu helfen, die kein Asyl im Ausland geniessen können, denn «die Bedürfnisse der Schutzsuchenden sind mehr oder weniger adressiert, es geht ihnen vergleichsweise gut», sagt Polt-Lutsenko. «Uns als Hilfswerk brauchen die Menschen in der Ukraine viel mehr.»
Ausserdem würde grosse Organisationen wie Heks oder das Rote Kreuz in diesem Bereich sehr unterstützend wirken, wie Margarita Antoni sagt. Sie lebt seit 13 Jahren in Basel und ist ebenfalls aktiv im Verein. Antoni fungiert vor allem als Schnittstelle zwischen dem «Ukrainischen Verein der Schweiz» und den Schweizer Behörden. Im Austausch mit dem Staatssekretariat für Migration wirkt sie vor allem vernetzend: «Der Fokus liegt darin, zwischen Bedürfnissen und Möglichkeiten in beide Richtungen zu vermitteln», sagt sie.
Aus ihrer Sicht stehen die Ukrainer*innen in Basel nach wie vor grossen Herausforderungen gegenüber. Zum einen privat, da viele Familien nach wie vor zerrissen sind, weil die Männer oftmals in der Ukraine geblieben sind. Besondere Sorgen bereite den Menschen hier vor Ort aber die Jobsuche: «Diejenigen, die die Schweiz als sicheren Hafen gewählt haben, kommen meist aus dem Mittelstand. Sie hatten vorher Berufe, deren Abschlüsse in der Schweiz teilweise nicht anerkannt werden.» Ausserdem sei die Sprache nach wie vor ein Hindernis.
Aber auch, wenn Ukrainer*innen in Basel beruflich Fuss gefasst haben, ist es nicht immer leicht. Denn Ukrainer*innen, die nicht mehr von der Sozialhilfe abhängig sind, Vollzeit arbeiten, ihre Krankenkasse und Steuern zahlen und Kinder in der Schule haben, behalten nach wie vor den Schutzstatus S und nicht den Status B. «Dadurch können sie keine reguläre Arbeitsbewilligung bekommen, was auch für die Unternehmen, die sie anstellen, eine Hürde ist», so Antoni.
Auf die Frage, ob einige der Menschen aus der Ukraine auch nach dem Krieg in der Schweiz bleiben möchten, sagt sie: «Denjenigen, deren Kinder in die Schule gehen und die hier integriert sind, stellt sich sicher die Frage. Ebenso auch für diejenigen, die kein Haus mehr haben, deren Lebensgrundlage in der Ukraine nicht mehr vorhanden ist.»
Hat die Solidarität für die Ukraine seit 2022 nachgelassen? Ja, sicher, so Polt-Lutsenko. Und sie fragt zurück: «Ist das nicht überall so? Am Anfang ist das Engagement immer gross, dann nimmt es nach und nach ab. Das ist selbst in jeder guten Ehe so», sagt sie lachend. Sie ist dankbar für alles, was die Basler*innen bisher für die Menschen in der Ukraine getan haben und auch ein wenig stolz auf das, was sie und ihr Team in den letzten zehn Jahren geleistet haben.
Einen Ausblick möchte sie nicht wagen. «Ich lebe immer im Hier und Jetzt. Morgen kann die Welt schon wieder ganz anders aussehen.» Am Sonntag aber wird der Verein erst einmal feiern und die Verantwortlichen hoffen auf viele Basler*innen, die den Anlass besuchen.
Ein wenig weiter schaut Antoni in die Zukunft, denn sie organisiert bereits die nationale Demonstration zum dritten Jahrestag des Krieges mit. Diese findet dieses Jahr am 22. Februar auf dem Bundesplatz in Bern statt. Es gibt immer viel zu tun, das wird nach den Gesprächen mit den beiden Frauen deutlich, die sich ausschliesslich in ihrer Freizeit für den Verein einsetzen. «Wir sind sehr motiviert und dankbar, dass unsere Arbeit überhaupt in der Form möglich ist», sagt Polt-Lutsenko, bevor sie zum Tanzunterricht eilt.