«Gring abe und seckle»
Kann eine Bundesrätin auch eine gute Mutter sein? Jein. Aber sicher gleich gut wie die Väter, die im Bundesrat sitzen. Allerdings nur, wenn ihre Partner die volle Familienarbeit übernehmen. Eine Einordnung.
Es ist wieder typisch. Kaum sucht man eine weibliche Führungsfigur, wird über die Vereinbarkeit diskutiert. Durchaus auch im Positiven: Die Parteispitze der SP möchte zwei Frauen für die Nachfolge der abtretenden Bundesrätin Simonetta Sommaruga aufstellen. Tamara Funiciello, Berner Nationalrätin und Präsidentin der SP-Frauen, sagt im Blick: «Es braucht junge Mütter im Bundesrat!» Denn: «Nur so geht es vorwärts mit der Gleichstellung.» Und: «Junge Mütter wären eine Bereicherung für die Landesregierung, weil ihre Realität eine andere ist.»
Und sofort stellt sich die Frage: Geht das überhaupt? Mutter und Bundesrätin sein? Offenbar schon. Schliesslich hat es im Bundesrat bereits heute Väter mit schulpflichtigen Kindern. Bundesrat Alain Berset zum Beispiel. Als er 2012 in die Landesregierung gewählt wurde, war er 40 und das jüngste seiner Kinder gerade einmal 2 Jahre alt.
Doch: Wie präsent ist ein Bundesrat daheim noch? Wir haben für unsere heutige Frage des Tages den Spiess bewusst umgedreht und wollten wissen: Kann ein guter Bundesrat ein guter Vater sein?
«Junge Mütter wären eine Bereicherung für die Landesregierung, weil ihre Realität eine andere ist.»Tamara Funiciello, Berner Nationalrätin und Präsidentin der SP-Frauen
Allem vorweg: Vater zu sein und Bundesrat zu werden, ist eine individuelle Entscheidung. Die Voraussetzung dafür ist eine im Privaten gut durchdachte Organisation, zu der auch eine gesicherte Kinderbetreuung gehört. Geht es um die Wahl eines Mannes in die Landesregierung, wird gemeinhin davon ausgegangen, die Partnerin und/oder Mutter übernehme diese Aufgabe (die weibliche Form ist bewusst gewählt, die Queerquote im Bundesrat ist, soweit wir informiert sind, gleich null). Diese Partnerinnen/Mütter, so die allgemeine Annahme, übernähmen diese Aufgabe ausserdem gerne.
«Bundesrat zu sein ist wie eine zweite Haut»
Beurteilt man einen guten Vater nach dem Kriterium Zeit, welche er mit seinen Kindern verbringt, sieht es für die Bundesräte nicht gut aus. Das Amt eines Bundesrats ist zweifellos tough, es ist ein 150-Prozent-Job. Oder in den Worten von alt Bundesrat Didier Burkhalter: «Bundesrat zu sein ist wie eine zweite Haut.» Mitglieder der Landesregierung arbeiten von morgens früh bis abends spät, auch am Wochenende finden wichtige Anlässe wie Delegiertenversammlungen statt.
So bestätigt alt Bundesrat Moritz Leuenberger, selbst Vater zweier Söhne, auf Anfrage von Bajour, dass die Präsenz im Bundeshaus und in all den Säalen rund um die Welt etwa 10 Stunden pro Tag beträgt. Hinzu kommt «die geistige Präsenz», diese, so sagt der Sozialdemokrat, «dauert rund um die Uhr» . Auch in einem Theater oder in einem Film denke man ständig die politischen Aufgaben. Es ist unbestritten: Das Amt hat immer Priorität. Oder sollte es zumindest haben.
Dabei spielt auch der geografische Aspekt eine Rolle. Bundesräte, die nicht allzuweit weg wohnen von Bundesbern, haben bessere Chancen, ihre Familie regelmässig mitzuerleben. Sollte beispielsweise die Berner Regierungsrätin Evi Allemann in die Landesregierung gewählt werden, ist durchaus denkbar, dass sie auch unter der Woche hin und wieder Zeit finden würde, mit ihren Kindern abends die Hausaufgaben durchzuschauen. Bundesräte, die in St. Gallen oder der Westschweiz zu Hause sind, bleiben wochentags hingegen meistens in Bundesbern, wo sie eine zusätzliche Bleibe anmieten; die Familie aber bleibt am eigentlichen Wohnort. Dass die Familie mitzieht, ist unüblich, sind die Bundesrät*innen in ihren Regionen doch auch verankert und werden auch mit der Region gewählt.
Versonnen spazieren, mit Kindern spielen
Doch, ob jemand ein guter Vater ist, hängt auch von der Qualität der Zeit ab, die man der Familie schenkt. Klar ist, dass man sich die private Präsenz gegenüber der Familie als Bundesrat freikämpfen muss, weil man von allen Seiten in Beschlag genommen wird, wie Leuenberger sagt. Und: «Das ist möglich, und es ist auch nötig.» Nicht nur, um ein guter Vater, sondern eben auch um ein guter Bundesrat zu sein. Leuenberger findet: «Ein Bundesrat, der nur noch in seinen Dossiers wühlt und nicht auch versonnen spazieren, mit den Kindern spielen oder mit Freunden scherzen kann, wäre kein guter Bundesrat.»
Wir lernen also: Es ist schwierig, als Bundesrat auch ein präsenter Vater zu sein. Aber man kann sich durchaus hin und wieder ein paar Qualitytimestunden mit dem Nachwuchs herausnehmen.
In Bezug auf die geforderten jungen Mütter im Bundesrat heisst das: Ihre Partner*innen müssen übernehmen. Und zwar nicht halbehalbe oder ein bisschen. Ganz. Sie müssen die 100-prozentige Verantwortung für die Familienarbeit übernehmen. Und das für ein Jahrzehnt oder mehr (In der dänischen Serie Borgen hat es der Ehemann der ersten Premierministerin gerade mal ein Jahr ausgehalten). So viel zum Privaten.
Derzeit stehen auch politische Forderungen im Raum, wonach die Arbeitslast der Bundesrät*innen verringert werden sollte. So brachte der SP-Mann Cédric Wermuth dieses Wochenende die Vergrösserung der Landesregierung von 7 auf 9 Mitglieder erneut aufs Tapet, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Bundesrät*innen zu verbessern.
«Ein Bundesrat, der nur noch in seinen Dossiers wühlt und nicht auch versonnen spazieren, mit den Kindern spielen oder mit Freunden scherzen kann, wäre kein guter Bundesrat.»Moritz Leuenberger, alt Bundesrat und zweifacher Vater
Ob es für die 7 Landesvertreter*innen eine Reform braucht, sei dahin gestellt. Die Forderung wurde aber ohnehin auch aus anderen Gründen bereits im Parlament behandelt - und zwar, um die Parteienlandschaft besser abzubilden. Der Nationalrat hatte sich Ende 2021 mit klarer Mehrheit dafür ausgesprochen, im Ständerat wurde sie vergangenen April dann aber versenkt.
Um das gegenderte Gedankenspiel letzten Endes doch noch in der Kategorie Frau zu denken: Anders als Männer dürften Frauen mit Karriereambitionen dem Vorwurf, eine schlechte Mutter zu sein, auch heute noch stärker ausgesetzt sein. Erschreckend ist dabei, dass diese Vorwürfe oft von Frauen selbst geäussert werden, vielleicht aus Neid, dass sich eine Frau das Recht rausnimmt, vielleicht aus Traditionalismus. Doch hier gilt: «Gring abe und seckle!» Wer Bundesrät*in werden möchte und Kinder hat, muss genug emanzipiert sein, um mit diesem Vorwurf leben zu können. Wer das nicht verleiden mag, sollte wohl besser nicht Bundesrät*in werden.
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