Hartnäckigkeit lohnt sich
Der Palästinenser Marwan konnte nach zwei Jahren Krieg seine Familie von Gaza nach Basel holen. Der Rahmen des Gesetzes sollte innerhalb einer humanitären Krise juristisch voll ausgereizt werden, kommentiert Valerie Zaslawski.
Das Schweizer Asylsystem ist im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern restriktiv. Insbesondere humanitäre Visa oder Familiennachzüge werden selten vergeben bzw. angewendet. Und selbst der sehr restriktiv gehandhabte Familiennachzug ist seit Jahren ein politischer Zankapfel. Erst letzten Winter wollte die SVP ihn nochmals verschärfen. Erfolglos. Unter der Bundeshauskuppel hatte man sich im letzten Moment daran erinnert, dass es das in der Bundesverfassung verankerte Recht auf Familienleben gibt.
So ist es alles andere als selbstverständlich, dass der Palästinenser, den alle nur Marwan nennen, und der seinen Nachnamen lieber nicht in den Medien lesen möchte, es geschafft hat, seine Familie vergangene Woche nach einem langen Leidensweg vom Krieg in Gaza in Sicherheit nach Basel zu bringen. Er selbst ist 2024 mit einem medizinischen Visum in die Schweiz eingereist, nachdem seine Schwester Manal an Leukämie erkrankt und er als möglicher Rückenmarkspender infrage gekommen war.
Palästina gibt es auch statistisch nicht
Diese Geschichte mit Happy End bleibt eine Ausnahme. Es gibt nur wenige vergleichbare Fälle bzw. keine statistische Vergleichbarkeit. Weil Palästina kein von der Schweiz anerkannter Staat ist, werden keine Angaben zur Anzahl Asylgesuche von Palästinenser*innen gemacht. Entsprechend wird auch der Familiennachzug aus Palästina statistisch nicht erfasst.
«Religionen und ihre Werte wurden einmal mehr und inzwischen fast selbstverständlich gegeneinander ausgespielt.»
Nichtsdestotrotz betont die Schweiz ihre humanitäre Tradition gerne, auch während des jüngsten Gazakrieges. Viel getan, um das Leid zu mindern, hat sie aber nicht. Auch nicht, als die Uno-Kommission Israel vergangenen September Genozid im Gazastreifen vorgeworfen hatte. Erst politischer Druck auf nationaler und kantonaler Ebene führte dazu, dass die Schweiz im vergangenen Oktober 20 Kinder aufgenommen hatte, die dringend medizinische Hilfe benötigten, sowie ihre Angehörigen. Nach diesem (kleinen) Akt der Menschlichkeit dauerte es nicht lange und die politische Rechte malte den Untergang der christlich-jüdischen Tradition an die Wand, sollten diese 20 Menschen in der Schweiz bleiben. Was sie voraussichtlich tun werden.
Religionen und ihre Werte wurden einmal mehr und inzwischen fast selbstverständlich gegeneinander ausgespielt, die Notlage der Einzelnen rückte angesichts der politischen Allgemeinheiten in den Hintergrund.
Ein Gebot der Stunde
Der politischen Stimmung im Lande zum Trotz zeigt der Fall Marwan aber, dass es sich lohnt, für die Sache zu kämpfen und hartnäckig zu bleiben. Dass es Möglichkeiten gibt, den Rahmen des Gesetzes auszureizen. Vor allem, wenn die humanitäre Lage danach schreit.
Wir alle wissen um die schreckliche humanitäre Lage im Gazastreifen. Die menschliche Katastrophe war und ist offensichtlich und bedarf keiner politischen Verortung oder der Verallgemeinerung. Hier Verantwortung zu übernehmen, ist nicht nur ein Gebot der Bibel, womit wir wieder bei den christlichen Werten wären, sondern auch der Stunde. Niemand sollte hinterfragen müssen, ob Hilfe angebracht ist oder nicht. Sie ist angebracht.
Weil die Schweiz sich eher zaghaft gab und gibt, muss(te) im Fall von Marwan Zivilcourage her. An verschiedenen Fronten haben Menschen – Freund*innen aus Basel, die er in einem Gartenprojekt kennenlernte, sowie Mitglieder seiner Familie – die Hoffnung für ihn, seine Frau und seine Kinder nicht aufgegeben, weil sie erkannt haben, dass Hoffnung nicht die Überzeugung ist, dass es gut kommt, sondern der Ur-Antrieb, dafür zu kämpfen, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Gut ist es gekommen. Doch sollte unser System auch für jene Menschen funktionieren, die es ohne lokale Unterstützer*innen schaffen müssen.
«Niemand sollte hinterfragen müssen, ob Hilfe angebracht ist oder nicht. Sie ist angebracht.»
So oder so: Durch die Ankunft von Marwans Familie ist das Leid im Nahen Osten noch lange nicht gemildert. Und wenig deutet derzeit darauf hin, dass künftig mehr Menschen aufgenommen werden sollen. Damit bleibt nur die Hilfe vor Ort, mit der – theoretisch – selbst die SVP etwas anfangen kann. Die Gelder für die Entwicklungs- und Zusammenarbeit zu kürzen, läuft dieser Absicht allerdings diametral entgegen.