Jungle Street Groove feiert Comeback und muss sich messen lassen
Am Kleinbasler Rheinufer wird wieder zu basslastiger Musik getanzt. Ein aufwändiges Schallkontrollsystem soll Konflikte mit Anwohner*innen vermeiden.
Zwei lange Jahre musste der Rheinweg, Basels aufregendste Meile, in Sachen elektronischer Musik mit der Tristesse scheppernder Boomböxli leben, aber jetzt gibts dort wieder den verdienten Wumms: Der Jungle Street Groove (JSG) ist zurück. Bei schönem Wetter werden am 20. August 15’000 Raver*innen erwartet. In der Szene, so hört man, ist eine Stimmung wie bei Sekt in der Flasche.
Prickelnd. Der Korken muss raus.
André Erismann spürt das auch. Der Präsident des Organisationskomitees sagt, der beste Moment sei für ihn jeweils, wenn sich die Parade um 14 Uhr Nachmittags in Bewegung setzt. «Dann heisst es einen kurzen Moment nichts zu tun, als zu geniessen und den Leuten beim Feiern zuzusehen». Erismann, als Präsident ein Diplomat, will im Vorfeld keine der 13 Wagencrews besonders hervorheben. «Alle stecken viel Herzblut in dieses Projekt». Ein besonderer Moment sei aber schon, wenn das Team The Physicalz unter der Mittleren Brücke zu stehen kommt und dort, es ist ein Ritual geworden, den Smash Hit «Out of Space» von Prodigy zünden.
«Da bin ich dann schon dabei. Das will ich nicht verpassen», sagt Erismann.
Kurz zur Einordnung für Ortsfremde und Jazz-Fans: Die Jungle Street Groove ist eine Art Street Parade in überschaubar. Ziel ist die Förderung und Feierung elektronischer Musikkultur ohne Kommerz. Sponsoring wird zurückhaltend betrieben, Tickets für die Wagen kann man, anders als an der Street Parade in Zürich, keine kaufen.
1995 haben sich ein paar lokale Akteur*innen basslastiger Musik zusammengetan und den Umzug auch aus politischer Motivation ins Leben gerufen. Es war ein Protest gegen Frankreichs Atomwaffentests. Erst führte die Demo-Parade durch die Innenstadt, vom Barfüsserplatz zur Kaserne. Dann vom Münster über die Wettsteinbrücke. Seit 2011 wird der Umzug entlang des oberen und unteren Rheinwegs bis zur Uferstrasse abgehalten.
Wichtige Zäsur: Aufgrund eines Konflikts hat sich ein Teil des Teams 2005 abgespalten und die Parallelveranstaltung Beat on the Street gegründet. Seither ist in ungraden Jahren Beat on the Street. In geraden Jahren Jungle Street Groove. Der Friede zwischen den Teams ist mittlerweile wiederhergestellt. Neuerdings fix: Die Paraden finden immer am ersten Wochenende nach der Sommerferien statt. Das ist gut für die Planung und auch für die mentale Vorbereitung der Anwohner*innen, die sich teilweise auf die Veranstaltung freuen.
Teilweise auch nicht. Aber dieses Jahr wird alles anders. «Besser», hofft OK-Chef Erismann. «Es haben konstruktive Gespräche stattgefunden», sagt auch Peter Mötteli, der Sprecher des Vereins Rheinpromenade Kleinbasel.
Und damit sind wir mittendrin in einer Debatte, die den Umzug seit jeher begleitet: Ist das zu laut? Muss das denn sein? Und dann hier, direkt vor der Haustüre? Diese jungen Leute!
Der Verein Rheinpromenade hat laut seiner Statuten zum Ziel, «die Interessen aller Anspruchsgruppen» auf der Kleinbasler Rheinpromenade zu «identifizieren und auszugleichen». Vor allem das fehlende Mitspracherecht zur Lärmbelastung hat Mötteli und Konsorten in den vergangenen Jahren gestört. 2019 hat der Verein darum vor dem Appellationsgericht erwirkt, dass das Bewilligungsgesuch der Veranstaltung im Kantonsblatt publiziert wird. Seither kann jede*r Einsprache erheben, der*die was dagegen hat. Erstaunlich: 2022 ging keine einzige Einsprache ein.
Das hat auch mit besagten «konstruktiven Gesprächen» zu tun. Das Thema Schall ist ein hochkomplexes Feld. Wie laut zu laut ist, das ist auch dann nicht immer abschliessend geklärt, wenn man, wie Mötteli, die Lärmvorschriften praktisch auswendig kennt.
100 Dezibel für eine Extase
Um es abzukürzen: Für Veranstaltungen wie die Jungle Street Groove sind vom Amt für Umwelt und Energie 100 Dezibel erlaubt. Wenn die Parade gegen 18 Uhr am Hafenplatz zum Stillstand kommt und – auch das ist neu – vor einer Bühne auf dem Schiff Gannet die Afterparty steigt, dürfen noch 93 Dezibel gespielt werden.
Damit diese Richtwerte eingehalten werden, haben sich Erismann und sein Team mehrere Messgeräte gekauft. Hinter jedem der 13 Wagen wird während der Parade eine Person mit etwas Abstand hinter den Boxen darauf achten, dass 100 Dezibel nicht überschritten werden. Weiterer Bestandteil des neuen Burgfriedens zwischen Raver*innen und Anrainer*innen sind Schallpendler*innen, wie man sie nennen könnte. Jeder Wagen hat eine verantwortliche Person, die zwischen dem Messgerät und DJ-Pult hin und her kommuniziert, wenn der Messwert sich in einem kritischen Bereich befindet.
Work hard, play hard. Nie war die alte Partyweisheit zutreffender.
Ausserdem wird mit Sichttafeln operiert, die den DJ im Fall spontaner Extase in Zaum halten sollen. Rot heisst: Zu laut. Grün: Laufen lassen. Es ist alles sehr präzise und kleinteilig verabredet, zwischen dem OK des JSG, dem Verein Rheinopromenade und der Behörde. Noch ein Fun Fact für deinen Smalltalk im Bassgewühl: Veranstaltungen mit 100 Dezibel müssen nicht nur live gemessen, sondern aufgezeichnet werden. Die Schallkurve wird hinterher der Bewilligungsbehörde vorgelegt und die prüft dann, ob der Pegel stimmte.
«Work hard, play hard.» Nie war die alte Partyweisheit zutreffender. Für Erismann und sein Team wird es viel zu tun geben. Das ganze OK des Jungle Street Groove arbeitet ehrenamtlich. Doch die Technik kostet. 6000 Franken sprach in diesem Jahr der Swisslos Fonds, auch mit dem Verkauf von Essen und Trinken wird Umsatz generiert.
Hasst Mötteli elektronische Musik?
Peter Mötteli vom Verein Rheinuferweg kennt natürlich das Argument, an toller Wohnlage müsse halt mit mehr Betrieb gerechnet werden. Er sagt, alles sei eine Frage des Masses. Und am Rheinufer sei die Lärmemission nun mal konstant hoch. Darum will sein Verein, dass auch in Ausnahmefällen wie dem Jungle Street Groove die Lärmschutzvorschriften eingehalten werden.
Freche Frage: Hasst Mötteli einfach elektronische Musik? «Nein, durchaus nicht.» Er sei selber DJ, aber er spiele Tango an Milongas. «Die basslastige Musik hat einen ganz anderen Effekt auf die Physiognomie als meine Rhythmen.» Er respektiert jede Musik, fällt kein Urteil über Geschmack. Wird er denn selber auch an der Parade dabei sein?
«Na klar, mit meinem Messgerät», sagt Mötteli und lacht ein bisschen.
Es wird also viel gemessen werden an diesem ersten Jungle Street Groove nach zwei Jahren coronabedingtem Unterbruch. Der Stimmung soll das keinen Abbruch tun. Für die Sicherheit der Gäste sind Samariter*innen im Einsatz. Am Hafen wird Saferdance einen Drug Checking Stand betreiben. Dort kann man vor Ort psychoaktive Substanzen prüfen und sich informieren lassen.
Ein Wermutstropfen ist das männerlastige Line-Up. Von 13 Teams ist keines dabei, das von einer Frau organisiert wird. Kann sein, dass auf den Wagen weibliche DJs spielen werden, aber die Köpfe der Crews sind allesamt Männer. «Wir wissen auch nicht, woran das liegt», sagt Erismann, der das Ungleichgewicht registriert. Auf den Aufruf des Jungle Street Groove, sich für einen Groovetruck zu bewerben, melden sich beinahe ausschliesslich Männer. Eine weibliche Bewerberin war dieses Jahr dabei, doch die war musikalisch in einer ganz anderen Richtung zuhause. Da will die Jungle Street Groove schon konsequent sein.
Im Fokus stehen die Genres Jungle. Drum n Bass. Dancehall. Erismann hofft, dass das Bewerber*innenfeld vielfältiger wird. Und dass sich die neuen Abmachungen bewähren. «Ich bin zuversichtlich: Das wird eine richtig gute Sache.»
Dann werde jetzt Bajour-Member und unterstütze unabhängigen Journalismus