Reicht «genug Grips» für Chancengleichheit?
Studiengebühren können eine finanzielle Belastung darstellen. Wer sie nicht bezahlen kann, hat Anspruch auf Stipendien. Reicht das oder wäre es fairer, die Studiengebühren ganz abzuschaffen?
Am Montag starteten die Studierenden in Basel ins Frühlingssemester. Die Juso Basel-Stadt nutzt die Gelegenheit und fordert die Abschaffung der Studiengebühren. Sie will mit einem kostenlosen Studium Chancengleichheit erreichen. Das sei «ein Kernanliegen» der Partei, schreibt Ella Haefeli, Präsidentin der Juso Basel-Stadt.
Pro Semester zahlen Studierende an der Uni Basel 850 und an der Fachhochschule 700 Franken. In der Gesamtabrechnung sei das nur ein kleiner Teil der Universitäts- und Hochschulbudgets, der problemlos von den Trägerkantonen substituiert werden könnte, ist die Juso überzeugt. Dieser «symbolische Beitrag» bedeute für viele Studierende jedoch eine finanzielle Belastung. Es gebe zwar Stipendien, räumt die Juso ein, diese seien aber mit Stigmata belastet und würden nicht alle erreichen, die sie benötigten.
Die Juso forderten am Montag eine Abschaffung der Studiengebühren. Ein kostenloses Studium soll mehr Chancengleichheit ermöglichen.
Wir fragten also in der Frage des Tages bei unserer Community nach, ob die Studiengebühren grundsätzlich abgeschafft werden sollten. Von den über 1000 Abstimmenden sind 56 Prozent gegen eine Abschaffung. In den Voten wird deutlich: Studierende unterstützen die Juso-Forderung grundsätzlich, während Nicht-Studierende sie eher ablehnen.
So argumentiert zum Beispiel Mitte-Grossrätin Andrea Strahm: «Wer genug Grips hat, zu studieren, schafft es auch, dass die Stipendien ihn ‹erreichen›.» Das will Leserin Ella (nicht die Juso-Präsidentin) nicht so stehen lassen. Die Vergabe von Stipendien hänge allein von den finanziellen Mitteln der Eltern ab, und eben nicht von der Studienleistung. Und selbst dann sei es schwierig, an Stipendien zu kommen, denn die finanzielle Grenze, die unterschritten werden muss, sei sehr tief angesetzt.
Rund 2000 Stipendien vergibt der Kanton jährlich, abhängig von den finanziellen Mitteln der Eltern (bzw. der Student*innen nach Überschreiten ihres 25. Geburtstages). «In den meisten Fällen übersteigt die Höhe eines Stipendiums den Betrag der Studiengebühr», erklärt Gaudenz Wacker, Sprecher des Erziehungsdepartements. Wenn Studierende ein Stipendium erhalten, dann sollte dieses also auch die Studiengebühr abdecken, denn: «die Studiengebühren sind in der Stipendienrechnung berücksichtigt», so Wacker.
Ausserdem können beim Kanton jederzeit auch Darlehen bezogen werden, die wieder zurückbezahlt werden müssen. Darlehen machen allerdings weniger als ein Prozent der Gesamthöhe der jährlich vergebenen Stipendien (12 Millionen Franken) aus.
Dennoch sei es auch mit einem Stipendium schwierig, sich durchzuschlagen, wenn die Eltern keine Unterstützung bieten oder bieten können, sagt Enes, der im zweiten Mastersemester Sprache und Kommunikation studiert. Er erhält keine Unterstützung mehr von seinen Eltern und könne selber nicht nebenbei arbeiten. «Mein Studium verlangt, dass ich Vollzeit studiere», erzählt er. Sein Antrag auf ein Stipendium ist noch ausstehend, «aber selbst wenn ich Stipendien bekommen sollte, weiss ich nicht, ob das überhaupt reichen wird».
Auch für Luccas stellt die Semestergebühr eine finanzielle Herausforderung dar. Der FHNW-Student ist sich sicher, dass es «viele Dinge vereinfachen würde», müsste er nicht auch noch Geld für die Studiengebühren erarbeiten. «Aber es ist eine Hürde, die ich momentan bewältigen kann», schliesst er.
GLP-Grossrat Bülent Pekermann sieht den Lösungsansatz für Diversität und Chancengleichheit im Ausbau der Stipendien durch Trägerkantone, und nicht in der Abschaffung der Studiengebühren. Ein Ausbau könne «eine wirksame Lösung sein, um finanziell benachteiligte Studierende zu unterstützen, ohne dass die Hochschulen auf diese Finanzierungsquelle verzichten müssten», schreibt er als Antwort auf unsere Frage des Tages.
Auch Leser Thomas Pfister schreibt: «Chancengleichheit in der Bildung ist ein extrem wichtiges gesellschaftliches Ziel.» In Deutschland gebe es seit Jahrzehnten die Möglichkeit einer zinslosen Kreditaufnahme (BAföG), die es jeder*m ermöglichte, zu studieren. «Die Schweiz ist eines der reichsten Länder der Welt. Ich denke, es ist nur eine Frage des politischen Willens, mehr für die Ausbildungsgerechtigkeit zu tun.»
Esther, Studentin der Medien- und Wirtschaftswissenschaften, findet es erstaunlich, dass die Semestergebühren in der Schweiz nichts beinhalten, ausser die Möglichkeit, sich in Kurse einzuschreiben. Auch sie verweist auf Deutschland, wo zum Teil der öffentliche Verkehr und Lehrmittel in den Studiengebühren inbegriffen sind. «Hier ist nichts mit dabei, das muss man alles noch zusätzlich zahlen.»
Wirtschaftsstudentin Leonie macht sich auch Sorgen um ihre Freund*innen, die neben dem Studium noch viel arbeiten müssen. Sie hätten weniger Zeit zum Lernen und seien deswegen sichtlich gestresst. «Ich habe viele Freunde, die ihre Gebühren selber zahlen müssen, weil ihre Eltern nicht zahlen können oder wollen, weil sie für ihre Kinder andere Vorstellungen hatten. Es macht ja nicht jeder das, was die Eltern wollen.» Dennoch sehe sie auch ein, dass die Studiengebühren für die Uni finanziell wichtig sind und die komplette Abschaffung schwierig sei. «Aber sie zu vermindern, fände ich keine dumme Idee.»
Man müsse auch die Chancengleichheit verschiedener Berufswege berücksichtigen, meint GLP-Grossrätin Sandra Bothe. Wenn das Studium keine Erstausbildung ist, würden die Kosten nur zur Hälfte vom Bund übernommen. «Wenn wir davon sprechen, dass Studiengebühren wegfallen sollen, sollten auch die Kosten der dualen Ausbildung fair behandelt werden, für echte Chancengleichheit.»
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