Sozialhilfe, aber simpel

Die Juso will den Zugang zu Sozialleistungen vereinfachen. Mit einer Petition will sie mehr Koordination in der Verwaltung und einfachere Informationen für Bedürftige erreichen.

Sozialhilfe Kanton Basel-Stadt Amt Schild Kleinbasel
Der Weg zur Sozialhilfe ist in Basel-Stadt immer noch voller Hürden. Die Juso will das ändern. (Quelle: David Rutschmann)

«Hat Ihre KVG-Versicherungsmodell (z.B. Hausarzt, HMO, Telefon, etc.) eine tiefere Prämie als das Standard-Versicherungsmodell? Eine erhöhte Franchise ist kein AVM.»

Verstanden?

Das ist eine der Fragen im interaktiven Sozialleistungsrechner des Kantons Basel-Stadt, der einfach und schnell anzeigen soll, ob eine Person Anspruch auf Sozialleistungen wie Prämienverbilligungen, Familienmietzinsbeiträge oder Sozialhilfe hat oder nicht.

Der schwierigste Teil – das Ausfüllen der Antragsformulare und das Zusammenstellen aller benötigten Unterlagen – folgt erst noch. Während überprüft wird, ob man wirklich leistungsberechtigt ist, können oft mehrere Wochen verstreichen. 

Das ist kompliziert. Zu kompliziert, findet die Juso Basel-Stadt. Die Partei startet deshalb am morgigen 1. Mai mit der Unterschriftensammlung für eine sozialpolitische Petition, die einen besseren Zugang zu den kantonalen Sozial- und Unterstützungsleistungen möglich machen soll. Es gehe unter anderem darum, die unterschiedlichen Sozialleistungen noch stärker zu «harmonisieren».

Mehr Koordination zwischen den Ämtern

Es gibt bereits heute ein Gesetz, das die Rahmenbedingungen für Verfahren und Prozesse zur Bedarfsprüfung für Sozialleistungen regelt. Es umfasst Prämienverbilligungen, Familienmietzinsbeiträge und Tagesbetreuungsbeiträge. Allerdings beispielsweise nicht Stipendien und Ausbildungsbeiträge – letztere wurden sogar 2011 explizit aus dem bestehenden Gesetz rausgestrichen.

Nino Russano findet das unverständlich. «Viele Menschen, zum Beispiel Studierende, beantragen im Kanton Basel-Stadt sowohl Prämienverbilligungen als auch Stipendien», sagt der Juso-Politiker und ehemalige Präsident der Basler Jungsozialist*innen. «Stipendien wirken sich aber darauf aus, wie hoch die Prämienverbilligungen sind. Also müsste man doch schon beim Stipendienantrag berechnen können, wie hoch dann die Prämienverbilligungen sind. Stattdessen muss man heute die gleichen Dokumente zwischen Ämtern derselben kantonalen Verwaltung hin- und herschicken.»

Nino Russano

«Künftig soll es reichen, wenn man beim Kanton Basel-Stadt seine Dokumente nur einmal einreicht. Datenschutzrechtlich müssten wir dazu in der Lage sein.»

Nino Russano, Juso-Politiker

Anstatt aber lediglich zu fordern, dass die Ausbildungsbeiträge wieder in das Harmonisierungsgesetz aufgenommen werden, geht die Juso-Arbeitsgruppe Soziale Gerechtigkeit noch einen Schritt weiter: Sie fordert eine gesamtkantonale Datenbank oder ein ähnliches Modell, mit der die Verwaltung den Anspruch auf unterschiedliche Leistungen schneller prüfen kann. «Künftig soll es reichen, wenn man beim Kanton Basel-Stadt seine Dokumente nur einmal einreicht. Datenschutzrechtlich müssten wir dazu in der Lage sein», so Russano. «Oder wir müssen die rechtlichen Grundlagen eben anpassen.»

Plakativ gesagt: Die verwaltungsinterne Koordination soll verbessert werden. «Der administrative Aufwand soll nicht bei den anspruchsberechtigten Personen liegen, sondern bei der Verwaltung», findet Russano.

Für ihn ist die hohe Nichtbezugsquote – 30 Prozent der Anspruchsberechtigten in Basel-Stadt haben 2022 keine Sozialhilfe bezogen – der Beweis dafür, dass die Hürden zum Beantragen von Sozialleistungen noch zu hoch seien. Deshalb soll mit der Petition gleichermassen der Zugang zu Sozialleistungen noch niederschwelliger werden. Ein Element dazu: einfache Sprache.

Damit arbeitet der Kanton bereits. So gibt es für Prämienverbilligungen Erklärvideos, die in unterschiedlichen Sprachen einfach darlegen sollen, wie man Prämienverbilligungen beantragen kann. «Da wurden sicher Fortschritte gemacht», räumt Russano ein. Aber aus Juso-Sicht müsste die einfache Sprache und die Vielsprachigkeit auch auf allen anderen Websites, Informations-Dokumenten und nicht zuletzt den Formularen zu finden sein.

Wie machen wir das einfacher?

Die Nicht-Bezugsquote zur Sozialhilfe liegt bei 30 Prozent. Zwar sinkt die Quote seit Jahren, aber noch immer hätten sehr viel mehr Menschen Anspruch auf Sozialhilfe. Wir haben im Mai 2023 bei der Frage des Tages diskutiert, ob Sozialleistungen einfacher zu beziehen sein sollten. Es gab Forderungen nach Bürokratieabbau und sogar eines bedingungslosen Grundeinkommens. Was denkst du?

Zur Debatte

Die Juso will mit der Petition auch die Arbeit der nicht-staatlichen Beratungs- und Anlaufstellen würdigen, die genau bei solchen komplizierten Fragen Unterstützung bieten – zum Beispiel der Verein Plusminus. Solche Angebote müssten mehr Geld erhalten, damit sie mehr Personal anstellen und die Öffnungszeiten ausweiten können, erklärt Russano.

Die Juso Basel-Stadt habe bewusst keine Initiative gestartet, so Russano, «das wäre zu hoch gegriffen». Denn es geht ihm nicht um eine radikale Änderung des Systems, sondern um eine Vereinfachung im bestehenden System. Und, ein entscheidender Unterschied: Petitionen können im Gegensatz zu Initiativen auch von nicht-stimmberechtigten Personen unterzeichnet werden. «Viele Betroffene sind nicht stimmberechtigt. Uns war es wichtig, dass sie alle unterzeichnen können», sagt Russano.

Die Petition der Juso wird von der Mutterpartei SP, den Grünen und der Basta unterstützt, auch die Nationalrätinnen Sarah Wyss (SP) und Sibel Arslan (Basta) stellen sich dahinter. Juso-Politiker Nino Russano wolle mit der Petition auch eine Debatte über Reformen in der Sozialpolitik anstossen und einen Grundstein für eine Weiterentwicklung des Basler Sozialstaats legen: «Vielleicht können wir zu einem späteren Zeitpunkt ja sogar über automatisierte Zahlungen oder Benachrichtigungen für anspruchsberechtigte Personen nachdenken.»

Basel Briefing

Das wichtigste für den Tag
Jetzt Abonnieren
Jetzt Member Werden

Das könnte dich auch interessieren

Gewerbeverband im Grossen Rat

Ina Bullwinkel am 25. Juli 2024

Linke Unternehmer*innen – rechte Unternehmer*innen: Hauptsache erfolgreich

Wer erwartet hatte, dass sich der Gewerbeverband nach dem Führungswechsel politisch etwas unabhängiger oder offener zeigt, wird enttäuscht. Mit linken Gewerbler*innen will man zwar Dialog, sie im Wahlkampf zu unterstützen, bleibt aber ein No-Go. Der Gewerbeverband muss mit der Zeit gehen, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.

Weiterlesen
Grossrät*innen für die Jugend

Samwel Shahadat am 17. Juli 2024

Grossrät*innen, was macht ihr für die Jugend?

Politiker*innen setzen sich für die ganze Bevölkerung ein. Aber was machen sie für die Jugend? Schnupperpraktikant Samwel Shahadat hat sechs Grossrät*innen rausgepickt, die sich insbesondere für die Jungen stark machen.

Weiterlesen
ARCHIV - ILLUSTRATION - SYMBOLBILD - 02.05.2011, Nordrhein-Westfalen, Arnsberg: Eine Packung des Medikaments Ritalin des Herstellers Novartis steht auf einem Tisch, an dem ein zehnjähriger Junge seine Hausaufgaben erledigt. (zu dpa «Was hilft dem Zappelphilipp?» vom 22.06.2018) Foto: Julian Stratenschulte/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Julian Stratenschulte)

Valerie Zaslawski am 07. Juli 2024

Verkennt die Politik den Ernst der Lage?

ADHS-Diagnosen bei Kindern und Erwachsenen nehmen zu – auch in Basel. Gleichzeitig fehlt es an Therapieplätzen sowie niederschwelligen Angeboten. Die Politik reagiert zögerlich.

Weiterlesen
Cuenod

Valerie Zaslawski am 30. Juni 2024

«Der Rassemblement National ist eine Gefahr für unsere trinationale Region»

Frankreich wählt ein neues Parlament. Sollte der rechtsextreme Rassemblement National eine Mehrheit gewinnen, bedeutet das für die Grenzregion Basel nichts Gutes, wie SP-Grossrat Tim Cuénod im Interview sagt.

Weiterlesen

Kommentare