Mit Kreide gegen Flüssiggas
Der Klimastreik mobilisiert gegen Pläne eines Flüssiggas-Terminals in Muttenz. Die Aktivist*innen setzen den Verantwortlichen ein achtwöchiges Ultimatum.
Die Zukunft liegt im grünen Gas. Das Werbeplakat thront auf dem Dach des Hauptsitzes des Gasverbunds Mittelland (GVM) in Arlesheim. Der Spruch wirkt an diesem Samstagnachmittag fast absurd, da rund 100 Menschen vor dem verschlossenen Werkstor des Energieversorgers stehen und offenkundig nicht glauben, dass der GVM seine eigene Werbeparole ernst nimmt. Sie singen:
Mir sin da, mir sin da
Wenn de Gasverbund nit wött, denn simmer da
Gege Öl und LNG und atomare Energie
Wenn de Gasverbund nit wött, denn simmer da
Die Gruppe wurde vom Klimastreik Schweiz hierher, in die Basler Agglomeration, mobilisiert. Ihr Ziel: Verhindern, dass das erste Flüssiggas-Terminal der Schweiz gebaut wird – noch dieses Jahr, einen Ort weiter, im Muttenzer Industriegebiet Schweizerhalle. Das zumindest sind die Pläne, die im Dezember von GVM-Chef Rolf Samer in der Sonntagszeitung präsentiert wurden. Die Ankündigung sorgte für Wirbel, auch der GVM meldete sich Anfang März zu Wort und stellte die Aufregung als Kommunikationspanne dar (Bajour berichtete). Doch der Unmut blieb: Der GVM prüft weiterhin das Vorhaben eines Flüssiggasterminals.
Bei Flüssiggas handelt es sich im medialen Diskurs meistens um LNG, liquified natural Gas. Das ist Erdgas, welches unter grossem Energieaufwand in einen flüssigen Zustand heruntergekühlt wird und so einfach in Containern (und eben nicht mühsam durch eine Pipeline) transportiert werden kann. An einem Flüssiggas-Terminal wird das flüssige Gas wieder gasförmig und kann so ins Gasnetz eingespeist werden.
Der Klimastreik hält nichts von diesen Plänen, wie er mit der Mobilisierungs-Aktion und Plakaten wie «Sauberes Gas ist eine dreckige Lüge» deutlich macht. Um ihren Argumenten gegen ein Flüssiggasterminal, das sie als fossile Infrastruktur ansehen, Nachdruck zu verleihen, wurde die Mobilisierungsaktion gross angekündigt. Im Vorfeld war vom «Lützerath von Basel» die Rede. So zumindest kündigte Klimastreik-Sprecherin Helma Pöppel den Widerstand gegen das Flüssiggas-Terminal gegenüber Bajour an.
«Lützerath» war das jüngste grosse Besetzungsprojekt in Deutschland. Mit dem Namen ist ein kleines Dorf in Nordrhein-Westfalen gemeint, das vom Energiekonzern RWE abgerissen wurde, weil dort Braunkohle gefördert werden soll. Klimaaktivist*innen hatten den Ort aus Protest besetzt, im Januar 2023 wurde die Besetzung geräumt. Dabei kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden.
Von Hausbesetzung, aktivem Widerstand und Räumung durch die Polizei ist am Samstag aber keine Spur. Die Demonstration ist bewilligt, die Polizei nur mit wenigen Mitgliedern des Dialogteams vor Ort. Am radikalsten ist da noch das Vollkritzelns des Bodens vor dem GVM-Werkstor mit Kreide. Aber selbst die Kreide wird später vom aufziehenden Regen weggewaschen.
Bei Lützerath von Basel hat man andere Bilder erwartet. Doch wer sich unter den Klimaaktivist*innen umhört, der merkt auch: Man hat sich bewusst für diese zahme Protestform entschieden. Die Demonstration wird als Auftakt zum Widerstand verstanden. Dass Schweizerhalle wirklich zum Lützerath wird, würden auch die Aktivist*innen gerne vermeiden: Lieber könne man den GVM schon vorher dazu bewegen, die Pläne zu beenden. Dass sich das Projekt erst im Prüfungsprozess befindet, wird auch als Chance verstanden: Wer so früh schon mobilisiert und seine Bereitschaft zum Widerstand friedlich deutlich macht, hat Hoffnung, das Projekt tatsächlich verhindern zu können. Das erklärt auch Hannah gegenüber Bajour:
Deshalb stellt der Klimastreik auch zunächst einmal ein Ultimatum für den GVM in den Raum. Acht Wochen habe das Unternehmen Zeit, um den offenen Brief zu unterzeichnen, den der Klimastreik mit den Forderung zur Niederlegung der Projektprüfung aufgesetzt hat. Nach Verstreichen dieser acht Wochen, geht der Widerstand weiter – und dann stehen vielleicht auch andere Protestformen als Kreide im Raum.
Als symbolisches Transparent wird der offene Brief am Werkstor der GVM aufgehängt. Überraschend taucht irgendwann ein Geschäftsleitungsmitglied des Unternehmens auf, um den Brief entgegenzunehmen. Die Aktivist*innen applaudieren, als das verkündet wird.
Ist das als Zugeständnis des GVM an den Klimastreik zu werten? Nun, das Unternehmen reagierte im Verlauf des Nachmittags mit einem «reaktiven Statement» auf die Bestreikung seines Hauptsitzes: «Wir teilen mit den Klimaaktivisten das Ziel, dass der CO2-Fussabdruck in der Energieversorgung rasch und nachhaltig gesenkt werden muss», heisst es da. Aus der Medienmitteilung wird aber vor allem deutlich: Der GVM versteht ein Flüssiggas-Terminal als Investition in eine Infrastruktur, «die es braucht, um die Transformation in Richtung grüne Gase zu ermöglichen».
Denn die Anlage, die der GVM in Schweizerhalle prüfen will (von Plänen ist noch nicht die Rede), sei auf den Import von Biogas und synthetischem Methan ausgelegt. Das ist ein riesiger Unterschied, denn im Gegensatz zum LNG, dem flüssigen Erdgas, sind das wirklich grüne Gase. Es sei daher «schwer verständlich, warum gerade Klimaaktivsten eine Infrastruktur verhindern wollen, die in die Dekarbonisierung unserer Energieversorgung einzahlen wird».
Nur: Biogas und synthetisches Methan sind momentan nur in geringen Mengen verfügbar, der Markt noch verschwindend klein. Gegenüber dem Regionaljournal gestand der GVM auch ein, dass man nicht versprechen könne, dass bei einer solchen Anlage von Anfang an nur erneuerbares und kein fossiles Gas umgeschlagen würde.
Genau das ist der Kritikpunkt des Klimastreiks, er wirft dem Unternehmen Greenwashing vor. Die Rede ist vom «Lock-in-Effekt»: Man investiere damit schliesslich in fossile Infrastruktur, womit man für viele weitere Jahre Erdgas beziehen könne – anstatt wirklich erneuerbare Energieträger wie Sonnen- und Windkraftwerke auszubauen.
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