Zufriedenheit auf der Etappe
Das städtebauliche Leitbild wurde von der Bevölkerung mehrheitlich positiv aufgenommen. Nächster Halt: Die Details.
Um die Stimmung wegweisender Stadtentwicklungsprojekte optimal einzufangen, eignet sich ein konkreter Ort ganz besonders: das Stadtmodell im Kleinformat. Das stand auch bei der Präsentation des städtebaulichen Leitbilds Klybeckplus prominent platziert am Eingang des Saals und wurde von der Bevölkerung dicht belagert.
Zahlreiche ausgestreckte Zeigefinger deuteten auf die kleinen und grösseren Hochhäuser aus Holz, die das zukünftige Stadtquartier illustrierten. Die Worte «Schattenwurf» und «Atmosphäre» waren zu hören. Über «Massstäbe» wurde gefachsimpelt und über «Dichte». Rund um das Stadtmodell war insgesamt das aufgeregte Summen zu hören, das die Transformation dieses Stadtteils mit der Grösse von 40 Fussballfeldern begleitet.
Rhystadt-CEO und Investor Christian Mutschler nannte die Präsentation des Leitbilds im kurzen Austausch mit Bajour eine «Kür». Man habe mit den übrigen Planungspartnern, der Swisslife und dem Kanton, hart und ausdauernd verhandelt. Mit dem Resultat zeigten sich alle Beteiligten bei der folgenden Präsentation zufrieden.
Das Wichtigste sei aber, sagte Mutschler, dass die Menschen unsere Planung für dieses Quartier annehmen. «Sonst können wir die Sache vergessen».
Das Transformationsprojekt «Klybeck plus» ist einen Schritt weiter: Am Dienstag haben die Projektpartner Basel-Stadt und die Investoren das städtebauliche Leitbild für das neue Stadtquartier auf dem 30 Hektaren grossen ehemaligen Industrieareal im Kleinbasel präsentiert.
Mutschler konnte aufatmen. Gemessen an der Stimmung unter den rund 300 Personen, die den Abend in einer alten Industriehalle auf dem ehemaligen Industrieareal besuchten, wurde das Leitbild und damit der Grundstein für die weitere Planung mehrheitlich mit Wohlwollen aufgenommen. Das hatte einerseits damit zu tun, dass zentrale Bedürfnisse aus der Bevölkerung augenscheinlich bei der Planung berücksichtigt wurden. Ein paar Beispiele:
- Grünfläche: Die hatte in Quantität und Qualität gegenüber früheren Plänen zugelegt. Der geplante Park am unteren Rheinweg sei neu «doppelt so gross» wie beim Richtplan von 2021, sagte Kantonsbaumeister Beat Aeberhard. Auch der geplante Park an der Wiese wurde vergrössert. Von Freiräumen auf Dachterrassen war die Rede und überhaupt wurde viel von Grünraum gesprochen. Zu den bestehenden 300 Bäumen auf dem Areal sollen 1800 dazukommen.
- Nutzung: Hier fand eine Verschiebung statt. Neu sollen gemäss Leitbild dereinst 8500 Menschen auf dem Areal leben statt die bislang geplanten 10’000. Dafür sollen statt bisher 6000 neu 7500 Arbeitsplätze entstehen. «Die Bevölkerung hat sich diese Durchmischung an den letzten Mitwirkungsveranstaltungen gewünscht», sagt Mutschler.
Nachfrage bei Rhystadt-CEO Mutschler, ob durch die Abstriche auf dem Wohnungsmarkt Renditeeinbussen entstünden? Antwort: «Unser Businessplan stimmt, sonst würden wir das nicht machen.» Auch das Gewerbe zahle Miete, unter anderem werden weiterhin Firmen aus dem Life-Science-Cluster auf dem Areal ansässig bleiben.
- Wohnen: Hier wurde gegenüber früheren Entwürfen eine neue Rechnung präsentiert. 25 Prozent der Wohnungen sollen an gemeinnützige Wohnbauträger abgegeben werden. Weitere 8 Prozent Wohnfläche sollen «preisgünstig» sein, was gemäss einer Definition des Kantons bedeutet, dass der Preis 25 Prozent unter dem Median des Marktpreises liegt.
Swisslife-Entwickler Philippe Fürstenberger rechnete dem Publikum vor, was das in Zahlen bedeutet. Der Bevölkerungszuwachs im Kanton betrage mit 8500 Neu-Basler*innen insgesamt 5 Prozent. «2800 Menschen werden im Klybeck preisgünstig wohnen, davon 2000 in gemeinnützigen Wohnbauträgern».
Die Initiative Basel baut Zukunft, die 50 Prozent gemeinnützigen Wohnraum auf Transformationsarealen fordert, wurde zwar am gesamten Abend nur einmal namentlich genannt (von Regierungspräsident Beat Jans). Dennoch war das Versprechen von 25 Prozent gemeinnützigem Wohnraum als Wink mit dem Zaunpfahl zu interpretieren, das Anliegen wenigstens aufzunehmen.
Über einen wichtigen Indikator, nämlich die geplante Bebauungsdichte, wurde auf der Bühne nicht gesprochen. Mutschler sagte auf Nachfrage von Bajour, man werde an einer Bebauungsdichte von 3.0 festhalten. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Die Bebauungsdichte ist das Verhältnis von bebauter zu unbebauter Fläche im Siedlungsraum. Und eine Dichte von 3.0 bedeutet, dass ein Quadratmeter Land mit drei Quadratmetern Nutzfläche bebaut werden. Wie das gehen soll, mehr Freiraum bei dieser Baudichte, wird noch zu reden geben.
Neben den grossen Linien waren es Details, die von den Besucher*innen positiv aufgenommen wurden. So ist das 140 Seiten starke Leitbild überall dort mit kleinen blauen Symbolen versehen, wo die Stimme der Bevölkerung aus den Partizipationsveranstaltungen Eingang fand in die Planung. Ein Versuch, den Stellenwert dieser Mitsprache hervorzuheben, erklärte Kantonsbaumeister Aeberhard.
Es ist das erste Mal, dass ein Leitbild so offensiv mit den Resultaten der Beteiligungsveranstaltungen nach Paragraf 55 der Kantonsverfassung umgeht.
Auch wenn das Leitbild insgesamt überzeugte, ganz ohne Kritik blieb der Abend nicht. Eine offene Fragerunde gab es zwar nicht, aber die Besucher*innen konnten sich nach der Präsentation an verschiedenen Stationen mit Expert*innen unterhalten. Zwei junge Männer stellten dort die Frage, wie die Planer*innen in Zukunft mehr junge Menschen oder Personen mit Migrationsgeschichte in den Prozess einbinden wollten. «Wir sehen hier vor allem weisse, alte Leute. Aber die Bevölkerung im Klybeck ist anders. Hier werden Leute wohnen, die heute jung sind.»
Die Antwort der Kantonsmitarbeiterin blieb vage: Man arbeite an neuen Formen der Partizipation. «Aber nur weil wir hier eine eher homogene Gruppe sind, heiss das ja nicht, dass wir nicht ein diverses Quartier planen können.»
Ein anderer Besucher fand, ihm fehle beim Versprechen nach mehr Freiraum Hand und Fuss: «Mehr Grünfläche klingt gut. Aber wieviel Freiraum pro Kopf sind es denn jetzt genau?»
Details fehlen
Mutschler stand nach der Präsentation vor der Bühne und war in erster Linie froh, dass viele Leute gekommen waren. «Viel mehr als ich dachte.» Dass er und die übrigen Planer*innen in den Details immer noch einige Antworten schuldig blieben, sei ihm bewusst. Aber das sei auch der Eigenart dieses Prozesses geschuldet. «Wir müssen einige Dinge offen halten, sonst entscheiden plötzlich die Regierung oder das Parlament etwas ganz anderes, und wir fangen wieder von vorne an.»
Als nächstes wird zwischen Kanton und den Grundeigentümern der städtebauliche Vertrag ausgehandelt. Dann entscheidet der Grosse Rat über Zonenplanänderungen und Bebauungspläne. Mutschler sagt, halb im Spass, er habe sich auf dem Areal bereits eine Alterswohnung gesichert. «Bis die fertig ist, bin ich wahrscheinlich pensioniert.»
Er rechne mit einem Baustart frühestens 2027. Sollte die Bevölkerung die Initiative «Basel baut Zukunft» dagegen annehmen, «wäre man wieder auf Feld eins», sagte Regierungspräsident Beat Jans. Dann müsste man neu planen: Und wahrscheinlich mit weniger Wohnungen und mehr Industrie, damit es sich für die Eigentümer noch rechnet.
Die Initiant*innen der Initiative forderten in einer allgemein gehaltenen Medienmitteilung einen «allfälligen brauchbaren Gegenvorschlag» der Regierung, sowie eine «Stadtentwicklung nach menschlichem Mass». Ansonsten war aus dem durchaus kritikfreudigen Komitee auffällig wenig Inhaltliches zum Leitbild zu hören.
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