«Zeit, die rosarote Brille abzunehmen»
Der Eurovision Song Contest kommt 2025 nach Basel, aber nicht alle machen Luftsprünge. Ist der Anlass eine Nummer zu gross für die Stadt – oder kann Basel ESC? Kritische Stimmen kommen vor allem aus der SVP.
Nicht alle liessen sich vom euphorischen ESC-Jubeltanz von Regierungspräsident Conradin Cramer anstecken. Kaum war Basel als Austragungsort erkoren, melden sich auch mahnende Stimmen zu Wort. Rund 35 Millionen Franken soll die Ausrichtung des Grossanlasses im Mai 2025 kosten. Über den Finanzierungsantrag soll an der ersten Sitzung des Grossen Rats am 11. September abgestimmt werden.
Bedenken hört man vor allem aus der SVP-Fraktion. So sagt der Basler SVP-Grossrat Felix Wehrli: «Viele Menschen in Basel müssen in der Zeit um den ESC viel mehr arbeiten. Angestellte im Gastgewerbe profitieren überhaupt nicht vom Grossanlass», meint er. Auch die Polizei sei massiv gefordert, es wurden bereits Feriensperren angekündigt.
«Ich will kein Miesepeter sein, aber es ist ja klar, dass ein riesiger Rummel in Basel herrschen wird.»Felix Wehrli, SVP-Grossrat
Ihm sei wichtig, dass die Menschen in Basel transparent über alle Vor- und Nachteile aufgeklärt werden. «Bisher wurde nur gejubelt», sagt er. Die Bevölkerung werde aber auch vom Grossanlass beeinträchtigt. «Ich will kein Miesepeter sein, aber es ist ja klar, dass ein riesiger Rummel in Basel herrschen wird. Es wird irre laut und voll sein, es gibt Einschränkungen im ÖV. Es gibt sicher viele Leute, die das alles gar nicht toll finden.»
Er selbst ist kein grosser ESC-Fan und mag Abba lieber als Nemo und Co., wie er sagt. «Aber ich respektiere den Anlass natürlich, wenn die Basler Bevölkerung mit ins Boot geholt wird.» Als wichtiges Thema sehe er die Sicherheit. Diese müsse man gerade im Hinblick auf die angekündigten Terroranschläge auf Taylor-Swift-Konzerte in Wien sehr ernst nehmen.
Die Kleinpartei EDU hat bereits ein Referendum gegen den ESC in Basel angekündigt. Sollte das Volk am 24. November gegen den ESC stimmen, würden der Kanton und die SRG das weitere Vorgehen analysieren und Möglichkeiten prüfen, inwieweit ein ESC unter diesen Bedingungen noch in Basel stattfinden könne, sagt Melanie Imhof, Leiterin Kommunikation im Präsidialdepartement.
Die SRG habe bereits öffentlich erklärt, dass der ESC im schlimmsten Fall stark reduziert werden müsste. Der Event würde dann zum Beispiel auf eine grosse Fernsehshow am Samstagabend reduziert, ganz ohne Side Events und damit auch mit sehr viel geringerer Wertschöpfung für den Kanton Basel-Stadt. Bei einem Nein zum ESC hätte die SRG als weitest gehende Massnahme auch die Möglichkeit, den Vertrag mit Basel-Stadt zu kündigen, so Imhof.
Toprak Yerguz, Leiter Kommunikation vom Justiz- und Sicherheitsdepartement, gibt Entwarnung hinsichtlich der Sicherheitsbedenken. Er sagt: «Die Kantonspolizei Basel-Stadt hat in der Vergangenheit wiederholt bewiesen, dass sie auch die ganz grossen Anlässe meistern kann: Euro 2008, OSZE-Konferenz im Jahr 2014 oder Zionistenkongress 2022 – in allen Fällen hat die Kantonspolizei die Sicherheit gewährleistet.» Das werde auch nächstes Jahr beim ESC und der Women’s Euro, die im Juli 2025 unter anderem in Basel stattfindet, der Fall sein.
«Was dabei nicht vergessen gehen darf: Bei solchen Grossanlässen wird ein Kanton nie alleine gelassen», betont Yerguz. «Während des ESC und der Uefa Women’s Euro wird die Kantonspolizei Basel-Stadt von Korps aus anderen Kantonen unterstützt – so wie die Kantonspolizei umgekehrt auch in anderen Kantonen bei Grosseinsätzen ausgeholfen hat, zum Beispiel beim WEF in Davos oder auf dem Bürgenstock», so Yerguz.
Die von Wehrli angesprochenen Feriensperren gelten vom 28. April bis zum 18. Mai 2025 aufgrund des ESC und vom 25. Juni bis zum 3. August 2025 wegen der Frauen Fussball-EM. Die Feriensperre gilt aber nicht absolut. «Alle Mitarbeitenden können maximal zwei zusammenhängende Wochen Ferien während dieser Zeit beantragen, insbesondere Mitarbeitende mit schulpflichtigen Kindern während der Schulferien», erklärt Yerguz. Ob diese dann bewilligt werden, sei eine andere Frage.
«Das ist eine riesige Chance für unseren Standort, auch über den ESC hinaus.»Maurus Ebneter, Präsident des Wirteverbands Basel-Stadt
Eine Feriensperre wird es wohl auch im Gastgewerbe geben, wie Maurus Ebneter, Präsident des Wirteverbands Basel-Stadt, ankündigt. Die Betriebe müssten alle Aushilfen aktivieren und teilweise zusätzliches Personal für die Woche suchen, in der der ESC in Basel stattfindet. Das sieht er aber nicht als Problem, denn: «Hauptsache, es läuft was. Das machen wir noch so gerne», so seine Einschätzung.
«Basel wird eine Festhütte», ist er überzeugt. Schliesslich habe die Stadt schon mehrfach bewiesen, dass sie «grosse Kisten» bewältigen könne – mal ganz abgesehen von der Fasnacht, bei der die Gastro Jahr für Jahr zeigt, was sie stemmen kann. Der ESC biete die Gelegenheit, Basel als Destination mitten in Europa noch bekannter zu machen. «Das ist eine riesige Chance für unseren Standort, auch über den ESC hinaus», sagt Ebneter.
«Das ist eine andere Nummer als die Fasnacht oder ein grosser Fussball-Match.»Roger Stalder, SVP-Grossrat
SVP-Grossrat Roger Stalder sieht das anders. Aus seiner Sicht werde unterschätzt, was es bedeute, so einen Grossanlass durchzuführen. «Das ist eine andere Nummer als die Fasnacht oder ein grosser Fussball-Match.» Er weist auf Staus und Sperrungen hin, die der ESC mit sich bringen werde. Vor allem störe ihn aber, dass die Menschen immer wieder vertröstet wurden, wenn es um die Renovation der Joggelihalle ging. «Nun plötzlich ist für den ESC alles ganz schnell möglich», so Stalder. «Das muss man den Leuten auch erstmal erklären.»
«Basel-Stadt hat den ESC gewollt und nun soll der Kanton ihn auch durchführen.»Markus Graf, Fraktionspräsident der SVP Baselland
Kritik kommt auch aus dem Baselbiet. Markus Graf, Fraktionspräsident der SVP Baselland, sagt: «Wir sind nicht gegen den Anlass. Aber Basel-Stadt hat ihn gewollt und nun soll der Kanton ihn auch durchführen.» An den Kosten werde sich Baselland nicht beteiligen, wenn es nach ihm und seiner Partei geht. «Manpower stellen wir gegen Vergütung gerne zur Verfügung, aber die Hauptverantwortung des Anlasses in allen Bereichen liegt klar beim Kanton Basel-Stadt.»
Es sei Zeit, die rosarote Brille abzunehmen und genau zu schauen, welche Herausforderungen nun zu bewältigen seien, sagt Graf und verweist auf die ohnehin angespannte Verkehrssituation rund ums Joggeli und die Joggelihalle. Zudem müsse «die Sicherheit ganz oben stehen», sagt er und verweist darauf, dass Frankreich anlässlich Olympia wieder strenge Grenzkontrollen eingeführt habe.
«Auch das Baselbiet kann von der Austragung profitieren.»Miriam Locher, SP-Landrätin
SP-Landrätin Miriam Locher kann zwar nachvollziehen, dass die Baselbieter Kantonsfinanzen in der aktuellen Situation im Auge behalten werden müssen. «Ich bin aber auch der Überzeugung, dass die Wertschöpfung, welche der ESC generiert, nicht vor den Kantonsgrenzen Halt macht», sagt sie. Angesichts des Basler ESC-Mottos «Grenzen überwinden» gelte es, als Region zu denken. «Auch das Baselbiet kann von der Austragung profitieren und ich habe die Erwartung, dass die Regierung Basellands im Austausch mit Basel-Stadt diskutiert, welche Leistungen der Landkanton zu einer erfolgreichen Durchführung des ESC beitragen kann.»
Basel-Stadt plant zumindest die Hotels in den Nachbarkantonen fest in die Planung mit ein. Tourismus-Chefin Letizia Elia sagt, in Basel stehen im Zentrum 6000 Hotelzimmer und 1000 Airbnb zur Verfügung. «Werden die Unterkünfte in einer Entfernung von 20 Minuten dazugezählt, also auch in Baselland, Frankreich und Deutschland, sind es 9500 Hotelzimmer und 2000 Airbnb.» Aktuell sei fast alles reserviert, Basel Tourismus habe aber Kontingente geblockt, die noch auf den Markt kommen werden.
«Geübte ESC-Fans haben schon in der Nacht des Nemo-Sieges Zimmer zu sehr günstigen Preisen gebucht.»Letizia Elia, Basel-Tourismus-Chefin
Basel Tourismus versuche, dagegen einzuwirken, dass die Preise nun in die Höhe schnellen. Schaut man jetzt auf Booking.com, sind bereits Angebote für mehrere Tausend Franken pro Nacht aufgeschaltet. «Wir beobachten das und nehmen gegebenenfalls Kontakt mit den Verantwortlichen auf», so Elia. Sie betont aber auch, dass die geübten ESC-Fans schon in der Nacht des Nemo-Sieges Zimmer zu sehr günstigen Preisen gebucht hätten. Der Ansturm auf Basel ist so gut wie sicher. Wer letztendlich profitiert und den Megaevent finanziert, wird sich zeigen.