«Jetzt gehe ich erstmal schlafen»

Das KV Basel veröffentlichte diese Woche eine Liste mit den Namen aller Absolvent*innen, die ihre letzten Prüfungen bestanden und sich somit ihr EFZ verdient haben. Drei der Absolvent*innen erzählen von ihrer Lehrzeit, der Balance zwischen Schule und Beruf und von den letzten Sekunden, bevor sie ihre Namen auf der Liste sahen.

KV Liste Verdeckt
Die Namensliste ist noch verdeckt. (Bild: Mattia Reimann)

Vor dem Gebäude der Berufsfachschule KV Basel, momentan im Campus Klybeck eingemietet, sammelt sich die Grosszahl der diesjährigen Absolvent*innen der Lehrabschlussprüfungen (LAPs) und der Berufsmatura in einer Menschentraube. Gesprächsfetzen hallen über den Platz. «Meine Hände hören nicht auf zu zittern», bemerkt eine Absolventin, während ein anderer leicht panisch sagt: «Ich will jetzt einfach nur meinen Namen dort sehen.»

Drei Jahre haben sie auf diesen Moment hingefiebert, nun ist er – wortwörtlich – zum Greifen nah. In wenigen Augenblicken werden die Namen der erfolgreichen Absolvent*innen an zwei Whiteboards zu lesen sein. Wer seinen Namen dort sieht, darf sich offiziell Kaufmann*frau EFZ nennen oder freut sich über eine erfolgreiche Berufsmatur. Noch wird die Liste von einem schwarzen Tuch verdeckt und die Lehrlinge müssen zu diesem Zeitpunkt noch eine halbe Stunde warten, bis es um 16 Uhr zur grossen Enthüllung kommt.

Viele Wege führen zum KV

Zu den Ungeduldigen gehören auch Gratijan Jakupaj, Louna Hohmann und Pasquale Schiliro. Sie alle haben vor drei Jahren gleichzeitig mit der KV-Lehre begonnen, kamen jedoch über verschiedene Wege zu dieser Ausbildung. Um sich in den letzten Minuten vor der Aushängung abzulenken, erzählen sie uns von ihren Lehrjahren.

Da es auf dem Platz mittlerweile nur so von aufgeregten Absolvent*innen wimmelt, verlegen wir die Gespräche in die gekühlten und komplett leeren Räumlichkeiten des KV Basel.

Pasquale Schiliro 19
«Theoretisches Wissen allein bringt nicht viel, wenn man es in der Praxis nicht anwenden kann.»
Pasquale Schiliro

Pasquale hatte nach der Sekundarschule eine andere Ausbildung im Kopf. Der 19-Jährige wollte ursprünglich an die WMS gehen, entschied sich dann jedoch nach seinem zehnten Schuljahr für die KV-Lehre, um Geld zu verdienen und Arbeitserfahrung zu sammeln. Ihm sei die praktische Arbeit sehr wichtig gewesen: «Wenn du viel über die Theorie weist, aber in der Praxis nichts kannst, bringt es auch nicht viel.»

Neben dem Unterricht arbeitete er drei bis vier Tage die Woche im Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt. Dort lernte er einerseits das Betreibungsamt, aber auch die Finanzabteilung als Buchhalter genauer kennen. Das Betreibungsamt fand er jedoch am nützlichsten, sagt er mit einem Augenzwinkern. Falls er jemals damit zu tun bekäme, wüsste er nun, wie er dies am besten regelt.

Ein Händchen für Wirtschaft

Gratijans Blicke wandern ständig zum Fenster, an dem seine Mitabsolvent*innen in Richtung Aushängewand vorbei strömen. Für den 22-Jährigen führte der Weg nach der Sekundarschule über die EBA-Ausbildung. «Ich war erst ein bisschen planlos. Nachdem ich dann die Eidgenössische Büroassistenz-Ausbildung sehr gut abgeschlossen habe, entschied ich mich dazu, die Erweiterte KV-Lehre anzufangen, da ich mein Händchen für Wirtschaft entdeckte und auch eine Herausforderung wollte.»

Die KV-Lehre schloss er bei der Medartis AG im Stücki ab, wo er das Handwerk in der Supply-Abteilung, im Finanzbereich und im Kundenservice erlernte. Letzteres gefiel ihm am Besten, da er dort seine Unsicherheit, in Fremdsprachen zu kommunizieren, zu einer seiner Stärken machen konnte. Französisch gefällt ihm jedoch immer noch nicht, gibt er lachend zu.

Louna Hohmann 19
«Ich habe schon im ersten Jahr gemerkt, dass das Gymi nichts für mich ist.»
Louna Hohmann

Louna trifft erst kurz vor der Enthüllung der Liste auf dem Campus ein und muss sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnen. Sie besuchte ursprünglich das Gymnasium Laufen, aber: «Ich habe schon im ersten Jahr gemerkt, dass das Gymi nichts für mich ist. Dann habe ich mich für die Lehre entschieden, da ich dort Berufserfahrung sammeln konnte.» 

Mit der neuen Erfahrung, die sie bei der Lamprecht Transport AG sammelte, habe sie wachsen können. Sie lernte über drei Jahre als Spediteurin den Import und Export durch LKW und Seefracht genauer kennen und hat nun auch eine Festanstellung erhalten. Ihre Ausbildungszeit sei aber noch nicht zu Ende, da sie nach einem Jahr gerne an die Höhere Fachschule wechseln möchte, um Betriebswirtschaftslehre zu studieren.

Ferien oder Geld?

Der Umstieg vom Schulalltag zur Lehre war nicht immer einfach. Vor allem die Anzahl der Ferienwochen sei während der KV-Lehre immer wieder zum Gesprächsstoff geworden. «Im Gymi hatte man halt 13 Wochen Ferien. Auf fünf umzusteigen ist dann schon bitter. Aber man gewöhnt sich schnell daran und es ist dann doch nicht so schlimm, wie man es sich vorstellt. Zusätzlich verdient man auch Geld und sammelt Erfahrung», findet die 19-Jährige.

Die begrenzte Freizeit spielte auch für Pasquale eine Rolle. Er macht darauf aufmerksam, dass Lernende – im Gegensatz zu ausgebildeten Angestellten – neben dem Arbeiten noch für ihre Prüfungen lernen müssen. «Das muss dann in der Freizeit erledigt werden, da nur wenige Lehrbetriebe zusätzliche Wochen zum Lernen zur Verfügung stellen». 

«Im Gymi hatte man halt 13 Wochen Ferien. Auf fünf umzusteigen ist dann schon bitter.»
Louna Hohmann

Für ihn war die Umstellung auf fünf Ferienwochen im Jahr auch eine mentale Herausforderung. Viele seiner Freunde sind an weiterführenden Schulen und haben mehr Ferien als er. «Die haben schon ihre Spässe gemacht. Aber ich hatte das Gegenargument, dass ich Geld verdiene. Da konnten sie nichts dagegen sagen», sagt er mit einem Grinsen im Gesicht.

Die vergleichsweise kurzen Ferien der Lernenden stehen aktuell auch politisch im Fokus. Gratijan erwähnt eine bereits viel diskutierte Petition, die das Ziel hat, die Ferien in der Lehre auf acht Wochen pro Jahr zu verlängern. Seiner Meinung nach wäre das eine faire Lösung und würde die Lehre auch wieder attraktiver machen. Auch wenn ihm das KV ansonsten gut gefallen hat.

Die Spannung steigt

Kurzer Check des Gemütszustand, bevor sich Gratijan, Louna und Pasquale unter ihre Mitabsolvent*innen zur Enthüllung der Namensliste gesellen: nervös. Dass die drei die Prüfungen bestanden haben, wissen sie eigentlich schon. Das KV gibt den Lehrlingen, die erneut an den Prüfungen antreten müssen, schon einige Tage vor dem Aushang schriftlich Bescheid.

Angespannt sind sie trotzdem alle. «Ich war noch nie so oft in meinem Leben im Outlook. Im Hinterkopf spielt man schon mit dem Gedanken: ‹Was, wenn sie vergessen haben, mir einen Brief oder eine Mail zu schicken?› Also, bis ich meinen Namen nicht schwarz auf weiss sehe, bleibt die Last auf meinen Schultern», meint Gratijan.

Gratijan Jakupaj 22
«Bis ich meinen Namen nicht schwarz auf weiss sehe, bleibt die Last auf meinen Schultern»
Gratijan Jakupaj

Um Punkt 16 Uhr wird die lang ersehnte Liste mit einem Countdown enthüllt und die drei baldigen EFZ-Träger*innen, die sich mit ihren Mitabsolvent*innen um die beiden Whiteboards drängen, können aufatmen. Es wurden keine organisatorischen Fehler gemacht. Alle ihre Namen stehen auf der Liste unter der Kategorie EFZ. 

Freudenrufe erfüllen den Platz und die Absolvent*innen gratulieren und umarmen sich. Einige Nachzügler*innen warten noch im Hintergrund, bis endlich ein Platz vor den weissen Tafeln frei wird. Viele hielten den Moment der Enthüllung mit ihren Handys fest oder brachten Verwandte und Freunde mit, um das besondere Ereignis mit ihnen zu teilen. Auch Gratijan, Louna und Pasquale freuen sich und geniessen sichtlich diesen Moment mit ihren Wegbegleiter*innen.

KV Basel Enthüllung
Der Moment der Wahrheit. (Bild: Mattia Reimann)

Obwohl den Dreien die Freude ins Gesicht geschrieben steht, denken sie noch nicht ans Feiern. «Ich bin definitiv erleichtert und es freut mich natürlich auch. Jetzt bin ich nur noch nervös über meine Noten, die wir am Donnerstag kriegen. Aber der Druck fällt definitiv weg», sagt Louna mit einem Strahlen.

Auch Gratijan kann jetzt durchatmen. Feiern will er jedoch erst am Donnerstag nach der offiziellen Abschlussfeier in der St. Jakobshalle: «Wenn ich meinen Notenschnitt habe, dann kann das Feiern losgehen.» Pasquale setzt sich jedoch andere Prioritäten: «Ich hab meinen Namen gesehen. Es ist eine echte Erleichterung und ich bin stolz auf mich. Jetzt gehe ich aber erstmal schlafen. Das brauche ich jetzt, ich bin erschöpft.»

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