Lichterlöschen für die Basler Nachtkultur?
Basel sollte 2020 zur Musikstadt werden, dann kam Corona. Nun gibt es Lockerungen. Doch wie weiter? Basel, wir müssen reden.
Gestern hat der Bundesrat einen grossen Lockerungsschritt bekannt gegeben. Für Clubs heisst das: Ab dem 6. Juni darf bis zu 300 Personen Einlass gewährt werden, Sperrstunde ist um Mitternacht. Zudem müssen Präsenzlisten geführt werden. Wie soll das alles funktionieren? Und: Lohnt sich das finanziell überhaupt?
Final Countdown oder das grosse Comeback: Wie steht es um Basels Nachtkultur? Talk heute Donnerstag, den 28. Mai, um 20:00 Uhr. Mit: Luca Piazzalonga, Marlon McNeill, Jo Vergeat, Katrin Grögel und Michel Massmünster.
Das Lied vom Ende der Basler Clubs und Konzertbühnen ist mittlerweile zum Gassenhauer verkommen. Das Nachtvolk singt es in der Regel einmal im Jahr. Mal geht es um die maximale Zahl Dezibel drinnen, dann um die Lärmemission der Clubs und das Unglück der Nachbarn. Zuletzt fürchtete man gar ein Überangebot der Tanzflächen.
Überangebot. Sowas liest sich zynisch in Zeiten von Physical Distancing. Abstandsregeln, Mässigung, Beschränkungen - das sind die Antithesen zu allem, wofür das Nachtleben steht: Geselligkeit mit Freund*innen und Fremden, das Entdecken, Erleben, Probieren, Riskieren, Überborden, die Sinnlichkeit und der Sex, das Abschalten.
Die vergangenen Monate sind für die Nachtkultur ein finanzielles Fiasko, klar, aber da geht noch mehr in die Brüche. Ist es Zufall, dass ausgerechnet die Alternativ- und Kreativkultur unter der Last dieses Virus in sich zusammenzufallen droht wie ein Kartenhaus? Oder hat das auch strukturelle Gründe?
«Wenn die Infrastruktur stirbt, wird die gesamte Basler Nachtkultur um zehn, fünfzehn Jahre zurückgeworfen.»
Selbst mit den in Aussicht gestellten Lockerungen für Veranstaltungen ist die Zukunft der Event-Branche wacklig.
In den vergangenen Wochen war in der Basler Nachtkultur viel Frust – und auch Panik – zu spüren. «Wenn die Infrastruktur aus Agenturen und Labels stirbt», sagte etwa RFV-Geschäftsführer Alain Schnetz, «dann wird die gesamte Basler Musik-, Club- und Nachtkultur um zehn, fünfzehn Jahre zurückgeworfen.»
Wie würde das Basler Stadtbild ohne die geliebten Bars und Clubs aussehen? Wir sind durch die Stadt spaziert und haben in der Fotostrecke den Teufel an die Wand gemalt.
In den vergangenen Wochen haben verschiedene Lokale an ihre Liebhaber*innen appelliert, um über die Runden zu kommen: Die Kaschemme verkaufte Soli-Jahreskarten, Atlantis und Parterre sammelten zusammen über 80’000 Franken. Doch die Solidarität der Besucher*innen hat Grenzen - und der Geldbeutel wohl auch. Die Betriebe hoffen auf die Hilfe der Behörden. Das ist ein Novum - ist man doch sonst eigentlich froh, in Ruhe gelassen zu werden. Bisher war für viele Szene-Betriebe der Gang zu den Behörden gleichbedeutend mit Papierkrieg und Gerangel um Auflagen.
«Ohne Unterstützung haben einige Clubs kaum Überlebenschancen.»Sandro Bernasconi, Vorstand Kultur & Gastro
«Viele Clubs sind stolz auf ihre Unabhängigkeit», sagt Sandro Bernasconi, Vorstand des Vereins Kultur & Gastro. «Darauf, auch ohne Subventionen Kultur anbieten zu können.» Doch das ändere sich gerade. «Ohne Unterstützung vom Staat und Kanton haben einige der Clubs kaum Überlebenschancen», sagt Bernasconi.
Musikschaffende: Opfer der eigenen Flexibilität
Prekär bleibt es auch für die Musikschaffenden: In Basel entstand in den letzten 15 Jahren eine lebendige Szene aus Musik-Künstler*innen, kleinen und mittelgrossen Labels und Agenturen. Die Demokratisierung der Vertriebskanäle dank des Internet hat die Szene verändert.
Moderne Musikschaffende sind heute nicht nur Sänger*innen oder Instrumentalist*innen, sondern kleine Start-Ups – nur ohne Geld. Ausser Stiftungen und Subventionen gibt es kaum Risikokapital-Geber*innen.
So mussten Musikschaffende ihr Kapital als Selbständige von Projekt zu Projekt generieren oder mit branchenfremden Nebenjobs querfinanzieren. Man hangelte sich von Gig zu Gig, Sparen war schwierig. Nun sind aber seit Corona sowohl die Live-Erträge weggebrochen – als auch oft die Nebenjobs, die beispielsweise in der Gastro-Branche waren. Fallen auch die Musikschaffenden bei den Ausfallentschädigungen des Bundes durch die Raster? Schauen wir uns das harte Geld an.
Behörden: Learning by doing
280 Millionen sprach der Bund am 20. März als Ausfallentschädigung für den Kulturbereich. Der Betrag sei eine erste Tranche für zwei Monate und die Kantone sollten sich hälftig am Krisenfonds beteiligen, hiess es. Basel-Stadt hatte nach dem Verteilschlüssel 20 Millionen Franken (10 Mio. von BS) zur Verfügung, Basel-Land 8,102 Millionen (4,051 Mio. von BL).
Am 20. Mai war der ursprünglich vorgesehene offizielle Stichtag für Kulturschaffende und -betriebe, um Gesuche einzureichen. Eine Statistik nach Sparten gebe es nicht, sagten sowohl die Abteilung Kultur BS und Kulturelles BL auf Nachfrage von Bajour.
Klar ist jetzt schon: Die Gelder in den Krisenfonds werden nicht reichen.
Die Bundesverordnung und die Frist zur Einreichung wurde inzwischen um vier Monate bis 20. September verlängert – die Höhe des Krisenfonds bleibt aber bisher dieselbe.
Klar ist jetzt schon: Die Gelder in den Krisenfonds werden nicht reichen. In Basel-Stadt sind per 20. Mai 355 Gesuche eingegangen, sie summierten sich auf insgesamt 28 Millionen Franken. Rund zwei Drittel der Gesuche wurden von Kulturschaffenden eingereicht und rund ein Drittel von Kulturunternehmen. Bei Kulturelles Basel-Land sind 89 Gesuche um Ausfallentschädigung über eine Schadenssumme von insgesamt CHF 12'383'202.65 eingegangen.
Forderungen und Mittel klaffen auseinander
Die Forderungen und die Mittel klaffen also auseinander. Bei der Abteilung Kultur versucht man, Expert*innen aus allen Bereichen hinzu zu ziehen, um die Gesuche besser beurteilen zu können. Für Gesuche aus Populärmusik und Nachtkultur arbeiten die Behörden mit dem RFV zusammen.
Ein Beispiel: Für viele Veranstaltungen und Konzerte, die wegen Corona ausfallen, gibt es keine Verträge. Es gibt Abmachungen per Telefon, Whatsapp und mündlich. Oft spielen die Abendeinnahmen eine Rolle für die Höhe der Gagen. Behörden brauchen aber in der Regel Dokumente, bevor Gelder fliessen. Dass nun die Behörden mit Kenner*innen über die Szene-üblichen Regeln besprechen, gibt Hoffnung.
Wird doch noch alles gut?
Sowohl Katrin Grögel von der Abteilung Kultur wie auch RFV-Chef Alain Schnetz betonen, dass sich die Szene und die Behörden konstruktiv angenähert haben. Ist das ein Zeichen für die Zukunft? Letzte Woche hatte das parteiübergreifende Komitee «Kulturstadt Jetzt» eine Taskforce für die Nachtkultur mit Branchen- und Behörden-Vertreter*innen gefordert.
Bald sind kleine Veranstaltungen wieder möglich. Bietet der Sommer sogar eine Chance für die lokale Subkultur? Oder kommt es nun trotzdem zum grossen Lichterlöschen?
Basel, wir müssen reden.
Und zwar hier bei GärngscheeKultur. Um 20.00 Uhr. Heute, 28. Mai 2020. Hier geht's zum Reminder auf Facebook.
Wir planen keinen Schlagabtausch, die Lage ist mies genug. Wir wollen mit offenem Visier Probleme benennen und nach Lösungen suchen, über den Stand der Dinge reden und über die Zukunft. Unsere Gäste sind: - Katrin Grögel. Co-Leiterin der Abteilung Kultur BS, Konzertbesucherin. - Jo Vergeat. Grossrätin, Kulturlobbyistin mit Kulturstadt Jetzt, Livestream-Konsumentin. - Marlon McNeill. Musiker, Labelbetreiber, Krisenversehrter. - Luca Piazzalonga. Künstler, Mitinitiant des Soforthilfe-Projekts Kulturklinik, Booker im Hirscheneck. Für das musikalische Rahmenprogramm sorgen: Was Ghetto?
Der Soziologe und Kulturanthropologe Michel Massmünster beehrt uns als Nachtexperte und wir freuen uns drauf. Ihr seht: Das wird ein Experiment. Denkt es euch als eine Tischbombe im Internet. Irgendwer zündet die Lunte an, lauter Dinge fliegen durch die Luft und am Ende nimmt jede*r mit, was ihr am besten passt. Wir haben Musik. Wir haben Deep Talk. Wir haben Spass. Such dir was aus.