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Fertig Pandemie

«Als hätte es Corona nie gegeben»

Dänemark hat die Pandemie für beendet erklärt. Wie ist das möglich? Die Dän*innen sind viel impfwilliger als die Schweizer*innen. Zwei Baslerinnen, die dort leben, erzählen.

09/30/21, 03:00 AM

Aktualisiert 09/30/21, 08:17 AM

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Wieder in Feierlaune: Dän*innen dürfen seit dem 3. September wieder in die Clubs. Hier warten viele vor dem Rumors on Noerregade in Kopenhagen.

Wieder in Feierlaune: Dän*innen dürfen seit dem 3. September wieder in die Clubs. Hier warten viele vor dem Rumors on Noerregade in Kopenhagen. (Foto: Keystone-SDA)

In Dänemark ist Corona kein Thema mehr. Seit dem 10. September gilt das Virus offiziell nicht mehr als «gesellschaftskritische Krankheit». Alle Massnahmen wurden aufgehoben und es braucht auch kein Zertifikat. Der Grund: 75 Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. Wie hat Dänemark das hinbekommen? Und wie fühlt sich das an? Das wollten wir wissen und haben auf Gärngschee Basler*innen in Dänemark gesucht. Gemeldet haben sich Delia Keller und Petra Hunziker.

Delia Keller, 32, Theaterpädagogin, lebt seit einem Jahr in Dänemark

Es ist schon erstaunlich: Wenn man geimpft ist, muss man in Dänemark nichts mehr beachten. Alle Massnahmen wurden aufgehoben, mittlerweile sind auch die Clubs wieder offen – diese blieben viel länger als in der Schweiz geschlossen –, die Menschen feiern eng beieinander, kaum jemand trägt mehr eine Maske. Ich war kürzlich im Theater und bin neben einem Fremden gesessen, ohne mir Gedanken zu machen. Wenn jemand krank ist, ist das kein grosses Drama. Wir fühlen uns wieder sicher, und das ist einfach nur schön.

Ich bin in Basel aufgewachsen. Aber mein Partner ist Däne und wir haben vier Jahre lang eine Fernbeziehung geführt, vor einem Jahr bin ich dann definitiv nach Kopenhagen gezogen. Wir wohnen mitten in der Stadt, in Islandsbrygge. 

Sich impfen zu lassen, ist für die allermeisten Menschen in Dänemark selbstverständlich. Als die Impfstoffe zugelassen wurden, gab es zwar auch hier Zweifel, die Leute haben aber schnell Vertrauen gefasst. Viele sind gut informiert, das latente Misstrauen, dass in der Schweiz manchmal zu spüren ist, sehe ich hier fast nicht. Als die Behörden die offizielle Empfehlung zur Impfung erlassen haben, war es für die meisten klar: Das machen wir. Weil etwas Unsicheres würde ja nicht empfohlen werden. 

Dänemark hat immer rasch auf die Entwicklungen der Pandemie reagiert. Der Lockdown wurde früh ausgerufen und konsequent eingehalten, die Zertifikatspflicht wurde bereits diesen April eingeführt und galt wirklich überall. Ohne durfte man sich nur im Freien aufhalten und einkaufen gehen. 

Wer noch am gesellschaftlichen Leben teilnehmen wollte, musste sich zumindest alle 72 Stunden testen lassen, viele auch am Arbeitsplatz. Das ging sehr unkompliziert. Weil im Allgemeinen die Digitalisierung weit fortgeschritten ist, musste die ganze Infrastruktur nicht von Grund auf aufgebaut werden. 

Wir machen alles mit der Sozialversicherungsnummer. Der Staat hat damit einen grösseren Einblick ins Privatleben der Menschen. Das war für mich am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig, aber wenn man damit aufwächst, ist es einfach normal. Deshalb ist es auch kein Ding, dass der Staat Impfdaten und Testergebnisse, die mit der eigenen Sozialversicherungsnummer verknüpft sind, einsehen kann. Wir haben eine einzige öffentliche Krankenkasse und einen starken Sozialstaat, die Menschen zahlen hohe Steuern, bekommen dafür aber viel vom Staat zurück. Und das Grundvertrauen darüber, dass das System funktioniert, ist da.

«Diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, haben gar keinen Grund sich aufzulehnen, es gibt ja nichts mehr, wo man dagegen sein könnte.»

Delia Keller

Ich bin Theaterpädagogin und arbeite sowohl in Dänemark als auch in der Schweiz und pendle hin und her. Solange die Reisebestimmungen strikt waren, war das für mich sehr mühsam. Ich wusste nie: Kann ich in die Schweiz? Und darf ich zurück? Klappt es trotz Quarantäne mit meinen Aufträgen hier? 

Es für mich eine grosse Erleichterung, dass das alles vorbei ist. 

Und auch sonst kann ich sagen, dass es mir hier in Dänemark gut geht. Ich habe den Vergleich zur Schweiz und finde, dass wir hier eine weniger gereizte Stimmung haben. Hier war es nie eine grosse Diskussion, dass man an einem Strang zieht, um aus der Pandemie zu kommen. 

Das Land hat schon früh auch den Impfstoff von Johnson&Johnson beschafft, dieser wurde aber nicht eingesetzt. Anstatt diesen zu entsorgen, wurde der Impfstoff auf freiwilliger Basis verimpft. Ich wäre laut Impfplan sehr spät geimpft worden und da der Impfpass für meine Reisetätigkeit wichtig ist, habe ich mich für Johnson&Johnson entschieden. In Dänemark gab es keine Fälle von gravierenden Nebenwirkungen und die Fälle sind so selten, das hat für mich gestimmt.

Skeptiker*innen gibt es auch hier. Ab und zu gab es eine Anti-Massnahmen-Demo. Trotzdem ist es eine Randerscheinung geblieben. Ich denke, das liegt auch daran, dass man hier der Regierung vertraut und die Parteien bei der Corona-Strategie kooperiert haben. Die allermeisten Menschen haben sich ohne Diskussion testen und impfen lassen. Dass die Tests kostenpflichtig werden könnten, stand gar nie zur Debatte, auch jetzt wo alle Massnahmen abgeschafft sind, ist das kein Thema. So gesehen, haben diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, gar keinen Grund sich aufzulehnen, es gibt ja nichts mehr, wo man dagegen sein könnte. Und weil auch der Impfpass nicht mehr vorgezeigt werden muss, weiss man gar nicht, ob man auf Ungeimpfte trifft. Die Menschen wurden auch nicht unter Druck gesetzt, es gab keine grosse Impfkampagne, keine Impfbusse, keine Gratis-Bratwurst. Irgendwie waren hier keine Anreize nötig. 

Das politische System ist wohl ausschlaggebend. Die Menschen haben eine andere Einstellung zum Staat, die Digitalisierung ist im Alltag integriert, die Kommunikation mit den Behörden ist unkompliziert und geht schnell. 

Ich arbeite nebenbei noch in einer Bar. Seit Kurzem haben wir wieder Barhocker, können die Gäste am Tresen bedienen und endlich wieder ohne Maske arbeiten. Das macht Freude. Wir wissen alle, dass das Virus noch da ist, aber Corona hat definitiv an Schrecken verloren.

Keine «gesellschaftskritische Krankheit» mehr

Dänemark hat eine der höchsten Impfquoten weltweit. Das Ziel ist eine Quote von 90 Prozent. Kinder ab 12 Jahren können seit dem Sommer geimpft werden. Das Land war eins der ersten Europas, das im März 2020 den Lockdown beschlossen hatte. Homeoffice-Pflicht und die Schliessung von Hotspots wurde lange aufrecht erhalten.

Die Clubs wurden erst am 3. September 2021, das erste Mal seit Anbeginn der Pandemie, geöffnet. Die Menschen feierten dann im ganzen Land das Ende von Corona.

Die Impf- und Teststrategie des Landes ist offensiv: Getestet und geimpft wird ohne Anmeldung an öffentlichen Orten, die Menschen werden aktiv darauf angesprochen, ob sie sich impfen lassen wollen. Für die Einreise nach Dänemark muss man geimpft oder negativ getestet sein.

Petra Hunziker, 41, Quality-Managerin bei einer Möbel-Design-Firma, lebt seit 16 Jahren in Dänemark

Ich bin im November 2005 nach Dänemark gezogen, der Liebe wegen. Ich habe mich schnell eingelebt und einen Job gefunden.Obwohl meine erste Beziehung hier vorbei war, bin ich geblieben. Später habe ich geheiratet, zwei Kinder bekommen und bin nun geschieden. Das Leben eben. Für mich war es klar, dass ich hier bleiben würde, mit zwei Kindern, ich arbeite Vollzeit, wie praktisch alle Frauen hier, in Dänemark ist es wirklich einfacher mit der Vereinbarkeit als in der Schweiz.

Die Corona-Zeit haben wir grundsätzlich gut überstanden. Unsere Firma hat rasch auf Homeoffice umgestellt und wir halten die Arbeitsform bis heute bei, was für mich sehr positiv ist. Meine Kinder, die auch lange zu Hause im Homeschooling waren, und ich konnten durch die Pandemie Zeit füreinander gewinnen, die wir vorher nicht hatten. 

Mir geht es besser als vor Corona, aber mir ist auch bewusst, dass es längst nicht allen so geht. Wer viele soziale Kontakte benötigt, die Jungen besonders, haben sehr gelitten. Mein Ältester, er ist 14 Jahre alt, hatte sichtlich Mühe. Er durfte nur einen engen Kontakt pflegen und sah seine anderen Freunde nicht mehr, das hat ihn belastet. Der Jüngere, 11 Jahre alt, vermisst das Homeschooling sogar. Er konnte länger schlafen, wir waren viel zusammen, er hat eine gute Erfahrung gemacht. Die Kinder und Jugendlichen sind es hier gewohnt, online zu arbeiten, sie bekommen von der Schule einen Computer, Handschriftliches und Bücher gibt es praktisch nicht mehr.

Dennoch sind wir froh, dass nun alles wieder normal ist. Es ist schon krass: Wüsste man es nicht, könnte man denken, Corona hat es nie gegeben. Ich bin geimpft, mein erster Sohn auch. Anfänglich hatten auch wir leichte Bedenken. Mit AstraZeneca hätte ich mich nicht impfen lassen. Aber die Regierung hat ja darauf verzichtet und wir konnten sogar zwischen Pfizer und Moderna wählen, das hat sicher dazu geführt, dass viele Menschen sich nicht bevormundet gefühlt haben.

Generell kann man sagen, die Däninnen und Dänen sind loyal. Hier nimmt man das an, was die Behörden sagen, man akzeptiert es und vertraut darauf, dass es wohl stimmt. Als die Impfempfehlung kam, liessen sich die meisten gemäss Plan impfen, so einfach war das. Schliesslich wollen wir uns frei bewegen, ohne Bedenken reisen, ins Restaurant gehen, ins Fitness, wenn es dazu die Impfung braucht, dann machen wir das eben. 

Die Alternative war, sich alle 72 Stunden testen zu lassen, auf die Länge ist das aber keine Lösung. Bei meinem Sohn war der Schutz durch die Impfung ausschlaggebend. Es war klar, dass nach den Sommerferien das Virus in den Schulen stark zirkulieren würde, deshalb haben wir uns für die Impfung entschieden. Damit fühlen wir uns sicher. Der Jüngere kann noch nicht geimpft werden und ich hoffe natürlich, dass er sich nicht anstecken wird, auch deshalb finde ich die hohe Impfquote wichtig. Wir schützen damit diejenigen, die sich nicht impfen lassen können oder es nicht gemacht haben, Kinder oder Schwangere zum Beispiel.

«Vielleicht ist es eine falsche Sicherheit, denn das Virus ist noch da, aber die Impfung hat auch einen psychologischen Effekt.»

Petra Hunziker

Ich habe es vielleicht verdrängt, aber Verschwörungstheorien, Anti-Massnahmen-Kreise oder Demonstrationen sind mir wenig aufgefallen. Wir wohnen etwas ausserhalb der Stadt und ich habe es nicht wirklich wahrgenommen. Eher aufgefallen ist mir, dass der Frust nach den ersten Monaten, als die Solidarität noch stark spürbar war und sich alle gegenseitig geholfen haben, zugenommen hat. Besonders bei den Jungen. Der letzte Winter war lang und dunkel, die Menschen isoliert zu Hause. Diese Situation nicht mehr erleben zu wollen, ist womöglich auch ein Grund, um sich impfen zu lassen. 

Ich war nun seit zwei Jahren nicht mehr in der Schweiz und freue mich, dass wir wieder frei reisen können und nun kommen wir in den Herbstferien. Ich bin gespannt, wie ich die Situation empfinden werde. Wieder Maske tragen, wieder das Zertifikat zeigen. Wir haben das alles hinter uns, ich trainiere wieder mit 50 Menschen in einem Raum, ohne mir Sorgen zu machen. Vielleicht ist es eine falsche Sicherheit, denn das Virus ist noch da, aber die Impfung hat auch einen psychologischen Effekt. Vorläufig geht die Strategie der Regierung auf, die Fallzahlen sind nicht hoch, die Impfquote steigt weiter. 

Ich denke, das liegt an der dänischen Kultur. Hier ist Vertrauen ein Grundwert, die Hierarchien sind flach, die Politikerinnen und Politiker sind nicht abgehoben und weit weg, sondern fassbar. Die zwischenmenschliche Ebene ist hier wichtig. 

Ich hoffe, dass die Lage so bleibt, und Dänemark sich richtig entschieden hat.

Wir halten zusammen.

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