«Ständig fragen Leute: ‹Und, geht’s dir jetzt wieder gut?›»

Das Leben von Mel Morgenroth änderte sich 2020 schlagartig, als ihr damals 21-jähriger Sohn ums Leben kam. Sie hat ein Buch über den Umgang mit ihrer Trauer geschrieben und gelernt, neue Energie und Lebensfreude zu schöpfen.

Mel Morgenroth
Mel Morgenroth lebt nach dem Tod ihres Sohnes ein Leben nach neuer Zeitrechnung. (Bild: zVg)

In Ihrem Buch «Mama mit halbem Herz» schreiben Sie über den plötzlichen Verlust Ihres Sohnes. Wie ist er ums Leben gekommen?

Es geschah in der Nacht vom 18. November 2020. Robin wurde völlig unerwartet aus dem Leben gerissen. Er ist spät abends am Bahnhof in Ittingen auf dem Heimweg nach Basel gegen einen durchfahrenden Zug geknallt. Man weiss nicht genau, wie es dazu kam. Kurz vorher hatten wir noch telefoniert, er war guter Dinge und hat mir gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen, wenn er später heimkommt.

Sie sagen, er sei aus dem Leben gerissen worden. Wie sah sein Leben vor dem tragischen Ereignis aus?

Robin war Koch mit Herz und Seele. Schon als kleiner Junge wollte er Koch werden. Er hat sich seinen Traum erfüllt und zusammen mit vier Freunden das Pop-up-Restaurant «Kulturschock» eröffnet. Es hat im Dorf Buus in Baselland viel positives Echo gegeben. Robin stand mit seinen 21 Jahren mitten im Leben und sein Tod war für uns alle unfassbar.

Mel Morgenroth
Zur Person

Mel Morgenroth ist 1970 in Basel geboren und in der Stadt aufgewachsen. Nach einer Lehre als Malerin und mehreren Reisen arbeitete sie in der Musikszene im Bereich Bühnentechnik. Mit Mitte 20 zog sie nach Berlin, dort arbeitete sie für verschiedene Bands. 1999 und 2006 kamen ihre beiden Söhne zur Welt. In Berlin absolvierte Mel Morgenroth eine Ausbildung zur Heilpraktikerin mit Schwerpunkt Pflanzenheilkunde. Seit 2012 lebt sie wieder in ihrer Heimatstadt Basel. Nach dem Tod ihres Sohnes hat sie begonnen, als spirituelle Trauerberaterin zu arbeiten. 

Hat Ihnen das Buch geholfen, sich mit Ihrer Trauer auseinanderzusetzen?

Genau, ich habe schon immer sehr gerne geschrieben und das war der richtige Weg für mich in dieser Situation. Meine Lehrerin hat früher schon immer zu mir gesagt, ich würde sicher mal ein Buch schreiben, weil ich als Kind so viele Geschichten zu Papier gebracht habe. Nun war es soweit. Das Buch ist plötzlich in mein Leben geplatzt, ich hatte das Gefühl, dass die Worte nur so aus mir heraus aufs Papier geströmt sind.

Das Buch ging Ihnen also trotz der Thematik leicht von der Hand? 

Es war unausweichlich und ein echtes Bedürfnis. Den Titel hatte ich von Anfang an im Kopf. Ich habe sehr schnell geschrieben, im Nachhinein kann ich gar nicht mehr richtig sagen, wie es dazu kam. Angefangen habe ich im Frühling 2023 und es ist diesen Juni erschienen. Geschrieben habe ich mit dem Füller, nicht am Computer.

Sie haben das ganze Buch mit der Hand geschrieben? 

Ja, ich schreibe immer mit Stift und Papier. Mühsam wurde es für mich, als das Buch fertig war und ich alles in den Computer eintippen musste. 

«Wenn das Buch nur einer Person helfen kann, ein wenig Mut zu fassen, dann hat es seinen Zweck erfüllt.»
Mel Morgenroth

Wie fühlte sich das Schreiben an?

Oft musste ich innehalten und alles zur Seite legen, weil das Schreiben zu emotional wurde. Ich brauchte auch Pausen, wenn ich in frühere Trauerphasen zurückgefallen bin. Beim Schreiben habe ich alles noch einmal durchlebt. Mir ist aber schnell klar gewesen, dass ich das Buch nicht als Tagebuch für mich schreibe, sondern auch für andere Menschen. Ich sagte mir: Wenn es nur einer Person helfen kann, ein wenig Mut zu fassen, dann hat es seinen Zweck erfüllt.

Haben Sie schon Reaktionen auf Ihr Buch erhalten?

Ja, einige Menschen, die ich nicht kenne und die auch Kinder verloren haben, haben mir geschrieben. Das freut mich sehr, denn es zeigt ja auch, dass niemand alleine mit seiner Trauer sein muss.

Mel Morgenroth
Mel Morgenroth vor dem Schicksalsschlag mit ihren beiden Söhnen Luan und Robin. (Bild: zVg)

Haben Sie sich manchmal alleine mit Ihrer Trauer gefühlt?

Viele Menschen haben mir das Gefühl gegeben, dass Trauer für eine gewisse Zeit okay ist, dann aber wieder vorübergeht. Dem ist nicht so. Trauer braucht Platz und muss möglich sein. Die Zeit heilt keine Wunden. Warum sollte ich meinen Sohn nach vier Jahren weniger vermissen als nach einem Jahr? Ständig fragen die Leute: «Und, geht’s dir jetzt wieder gut?» Darum habe ich in meinem Buch auch das Kapitel geschrieben: «Ihr könnt mich alle mal». Das ist vielleicht ein bisschen hart, aber ich habe das so gefühlt. Mit dem Tod von Robin hat für mich eine neue Zeitrechnung begonnen. Ich habe manche Freundschaften hinter mir gelassen, aber auch neue aufgebaut. 

Haben Sie noch Kontakt zu Freund*innen Ihres Sohnes?

Ja. Wir haben alle gemeinsam um ihn getrauert und sind bis heute in Kontakt. Auch Robins Vater, von dem ich lange getrennt bin, spielte eine wichtige Rolle bei der Trauerarbeit. Diese Kontakte zu Menschen, die Robin geliebt haben, sind wichtig für mich und auch für meinen jüngeren Sohn Luan, der damals 14 Jahre jung war. Wir haben zusammengestanden und uns umeinander gekümmert. Und es entstehen gemeinsam neue Ideen. Zusammen mit Robins Freunden planen wir nun ein Kochbuch mit seinen Rezepten. Er wollte das immer selbst machen und nun machen wir es für ihn. Durch die Erinnerungen und die Bücher lebt er ja in uns weiter.

Robin Hampf
Robin Hampf hatte als Koch ein Pop-up-Restaurant mit Freunden eröffnet. (Bild: zVg)

Wie hat sein Umfeld auf das Buch reagiert?

Durchweg positiv. Alle, die Robin kannten, waren sehr berührt von der Lektüre. Viele mussten das Buch immer wieder zur Seite legen, denn es ist ja nicht irgendeine Geschichte, die ich da erzähle. Es ist keine leichte Kost und dennoch kann es Mut machen. Denn ich bin ja das beste Beispiel dafür, dass ein Leben nach einem so einschneidenden Schicksalsschlag weitergehen kann. 

Mel Morgenroth
Buch und Lesung

Dieses Interview ist entstanden, weil Mel Morgenroth ihr Buch «Mama mit halbem Herz», als Empfehlung für «Valis Buchclübli» an Bajour geschickt hat. Schnell wurde klar, dass Mels Geschichte zu bewegend ist, um sie in einem kurzen Buchtipp abzuhandeln. Wer Interesse an ihrem Buch hat, kann uns eine E-Mail schreiben, Mel hat drei Exemplare für Bajour-Leser*innen zur Verfügung gestellt. Ausserdem liest sie am 28. September in der Rakete auf dem Dreispitz, Atelier 206, Münchensteinerstrasse 274, aus ihrem Buch. Anmeldungen an Mel Morgenroth sind erwünscht.

Sie bieten inzwischen auch Trauerbegleitung an. Wie kam es dazu?

Nach Robins Tod habe ich eine Ausbildung zur medialen und sensitiven Beraterin begonnen. Nach dem Abschluss des Diploms im Juni 2023 befinde ich mich jetzt in der Masterausbildung und biete spirituelle Trauerbegleitung an. Ich hätte ein solches Angebot damals sehr gebraucht und nicht gefunden. Diese Arbeit erfüllt mich sehr und ich hoffe, anderen Betroffenen helfen zu können. 

Was hat Ihnen neben dem Schreiben mit der Trauer geholfen?

An erster Stelle mein Sohn Luan. Ohne ihn würde ich kaum noch auf dieser Welt sein. Wichtig ist mir auch meine Ausbildung. Eine grosse Rolle spielen natürlich meine Freunde und Literatur. Ich habe viel Kraft in Büchern gefunden. Gelesen habe ich zum Beispiel Bücher der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross oder «Wir haben unendlich Zeit» von Dierk Schirrmeister. Auch das Buch «Mutige Seelen» von Robert Schwartz hat mir sehr geholfen.

Würden Sie Ihr Leben vier Jahre nach dem Tod Ihres Sohnes wieder als lebenswert bezeichnen?

Ja. Aber es ist jeden Morgen eine bewusste Entscheidung. Ich versuche, immer das Beste aus jedem Tag zu machen. Sicher zwei Jahre lang habe ich viele Dinge einfach nicht mehr geschafft, die früher selbstverständlich waren. Mir fehlten schlicht die Kraft und die Hoffnung. Mittlerweile habe ich wieder Energie getankt. Aktuell schreibe ich an meinem zweiten Buch. Eine wunderbare Frau hat mir mal geschrieben: «Stay tuned, mum», und nach diesem Motto lebe ich weiter.

Das könnte dich auch interessieren

Das Team im Zentrum (v.L.n.R): Katharina Rübsaamen, Nadja Bär, Alina Spörri, Mirko Mieruch, Georg Egli, Boris Tryer, Serge Kunz.

Laura Ferrari am 12. Dezember 2023

«Unser Angebot muss niederschwellig sein»

Über 180 verschiedene Selbsthilfegruppen sind über die kantonale Fachstelle für Selbsthilfe in der Region Basel gegründet worden. Co-Leiter und Sozialarbeiter Serge Kunz erzählt, wie die Selbsthilfe der beiden Basel arbeitet.

Weiterlesen
monibitzi

Naomi Gregoris am 25. April 2022

Moni und das Licht

Ein Besuch bei der Trauerbegleiterin Monika Bitzi.

Weiterlesen
candles-4298297_1920

Seraina Kobler am 02. April 2020

Wie Abschied nehmen in Zeiten von Corona?

Wo Trost finden, wenn kein letztes Geleit möglich ist? Wir sprechen mit jenen, die sich dazu Gedanken machen.

Weiterlesen
Valerie Wendenburg

Nach dem Studium, freier Mitarbeit bei der Berliner Morgenpost und einem Radio-Volontariat hat es Valerie 2002 nach Basel gezogen. Sie schreibt seit fast 20 Jahren für das Jüdische Wochenmagazins tachles und hat zwischenzeitlich einen Abstecher in die Kommunikation zur Gemeinde Bottmingen und terre des hommes schweiz gemacht. Aus Liebe zum Journalismus ist sie voll in die Branche zurückgekehrt und seit September 2023 Senior-Redaktorin bei Bajour. Im Basel Briefing sorgt sie mit ihrem «Buchclübli mit Vali» dafür, dass der Community (und ihr selbst) der Lesestoff nicht ausgeht.

Kommentare