Der Wind dreht
Muttenz hat 2021 den Bau einer Windkraftanlage verhindert. Doch dann gingen Schüler*innen des dortigen Gymnasiums auf die Barrikaden. Und jetzt stimmt die Gemeinde tatsächlich erneut ab.
Es windet, als Umut Gökbas über die Eisenbahnbrücke bei Muttenz führt. Der Blick schweift über unzählige Gleise zum Hardwald, am Horizont sind die Roche-Türme zu erkennen. «Hier bläst der Wind mit fünf bis sieben Metern pro Sekunde, drei wären ausreichend für ein Windrad», sagt der 19-Jährige und zeigt auf das Gelände der heutigen Kompostierungsanlage.
Hier sollte eigentlich ein Windrad entstehen, seit 20 Jahren geistert die Idee durch Muttenz und wurde in den vergangenen zwei Jahren konkret. Zuletzt sah es so aus, als sei das Projekt begraben. Doch jetzt besteht wieder eine Chance. Und falls das Windrad eines Tages wirklich hier steht, könnte der junge Mann mit Brille und halblangen schwarzen Haaren seinen Anteil für dessen Bau gehabt haben.
Umut Gökbas besucht das Gymnasium in Muttenz. Als es im Geografieunterricht vergangenes Jahr um Klima und Nachhaltigkeit ging, war seine Klasse zu Gast bei der Gemeindeversammlung, bei welcher der Bau der Windkraftanlage auf dem Gelände beschlossen werden sollte. «Ziemlich wenige junge Leute», erinnert sich Gökbas. Und dass es eine «hitzige Diskussion» gewesen sein soll.
55 Prozent der Anwesenden lehnten die Windkraftanlage damals ab. Die bz zeigte sich überrascht über das knappe Ergebnis, hatte es doch im Vorfeld schon massiven Widerstand gegeben. Die Gegner*innen sind nunmal immer die Lautesten: ein Windrad würde das Ortsbild stören, verursache Lärm und Vogelschlag und darüber hinaus bläst gar nicht genug Wind für eine effiziente Anlage. «Ich fände Windkraftanlagen in Muttenz toll, wenn wir starken Wind hätten», sagte damals die SVP-Landrätin Anita Biedert.
Nach der Gemeindeversammlung konnten die Schüler*innen die Ablehnung des Projekts nicht fassen – und wollten diese auch nicht akzeptieren.
Umut Gökbas ist Präsident der Schüler*innenorganisation am Gymnasium Muttenz, welche die Interessen der rund 800 Schüler*innen vertritt. «Ich fand, wenn ich die Chance habe, 800 Leute zu erreichen, dann muss ich das nutzen», sagt er. Im September 2021, drei Monate nach der Gemeindeversammlung, beschloss er gemeinsam mit den Klassensprecher*innen, eine Petition an der Schule zu starten. Der Gemeinderat soll das Projekt wiederaufnehmen.
Gökbas informierte sich gut zum Thema, das merkt, wer mit ihm unterwegs ist. Im Rahmen seines Engagements für das Windrad reiste er in seiner Freizeit nach Entlebuch im Kanton Luzern, wo bereits zwei Windkraftanlagen stehen – einfach, um zu schauen, ob diese wirklich so laut sind. Sein Fazit: «Wenn man 20 Meter von der Windkraftanlage entfernt steht, hört man diese schon nicht mehr.»
Als Kontrast zeigt er das infrage kommende Gelände vor Ort: Für das Windrad müsste kein Baum gefällt werden, denn es soll auf der Kompostierungsanlage gebaut werden. Wenn Gökbas hier Zimmerlautstärke redet, müssen wir uns wegen der lauten Gerätschaft einige Meter von der Anlage entfernen. Doch auch dann rauschen noch die lauten Güterloks am zweitgrössten Rangierbahnhof der Schweiz vorbei oder auf der anderen Seite des Walds die Autos auf der Autobahn. Muttenz kennt Lärm.
Leise blieb es auch nicht, als bekannt wurde, dass ein Viertel der Schüler*innenschaft des Gymnasiums beim Gemeinderat eine Petition für die Wiederaufnahme des Windrad-Projekts einreichte. Nun verpflichtet die Petition den Gemeinderat zunächst zu gar nichts: Er muss diese lediglich zur Kenntnis nehmen. Doch das Projekt hat einen Fürsprecher im Gemeinderat: Thomi Jourdan, verantwortlich für Hochbau-Projekte, wie eben das Windrad.
Der EVP-Politiker ist ein guter Redner, der aber auf taube Ohren stiess. Er versuchte bei mehreren Info-Veranstaltungen – die im Nachhinein quasi Mobilisierungveranstaltungen für die Gegner*innenschaft waren – die Muttenzer*innen von dem Projekt zu überzeugen. Es gelang ihm nicht. Umso mehr freute ihn die 188 Unterschriften der Petition, die zeigen, dass das Thema die jungen Menschen bewegt.
Und wie es Gökbas bewegt. Sein Engagement blieb nicht unbemerkt: Eigentlich hatte er nicht vor, sich parteipolitisch zu engagieren, er war nicht in der Klimajugend aktiv und schwänzte für System Change keinen Schulunterricht – aber dann nahm Marc Herb von der örtlichen GLP Kontakt zu ihm auf.
Herb, der mit dem Fahrrad ebenfalls zur Kompostierungsanlage gekommen ist, will Gökbas als Nachwuchspolitiker aufbauen, im Oktober kandidiert der Schüler für den Vorstand der jungen GLP in Baselland. «Grandios», sagt Herb nur, als Gökbas erzählt, wie er das Präsidium der Schüler*innenorganisation als grosse Chance sah, in jungen Jahren viel Erfahrung zu sammeln. Solche Leute kann die Partei, die vor Ort fast brach liegt, gut gebrauchen.
Doch bei aller Begeisterung: Die Schüler*innenpetition führt realpolitisch ins Leere. Also nutzten Gökbas und Herb die Möglichkeit des sogenannten «68ers», der Paragraf 68 des Gemeindegesetzes Baselland: Demnach kann jede*r Stimmberechtigte einen Antrag an den Gemeinderat einreichen. Das taten sie im Namen von GLP, Grünen, SP und EVP. Zu diesem Antrag muss eine Abstimmungsvorlage ausgearbeitet werden, oder zumindest über die Erheblichkeit einer solchen Vorlage abgestimmt werden.
Gemäss Thomi Jourdan ist die Erheblichkeit in diesem Fall aber offensichtlich: «Durch den Ukrainekrieg leben wir in einer anderen Welt als noch im Sommer 2021. Wir müssen Strom selber produzieren. Gleichzeitig drängt uns die Klimakrise dazu, bei der Stromproduktion möglichst schnell auf erneuerbare Energien zu setzen.»
Auch die Deutlichkeit von fast einem Viertel der Gymi-Schüler*innen, das sich für die Petition aussprach, zeige die Erheblichkeit auf. Deshalb wird der Antrag direkt die Wiederaufnahme des Projekts auf den Tisch bringen. An der Gemeindeversammlung am 13. Dezember soll noch einmal abgestimmt werden.
So lange abstimmen, bis das Ergebnis passt? Jourdan bringt sich schon in Stellung, wenn bei der Gemeindeversammlung wieder Stimmung gemacht werden sollte: «Die Vorzeichen sind diesmal andere. Ich finde, die Bevölkerung darf unter diesen Bedingungen auch noch einmal bereits abgehandelte Fragen debattieren.»
Ganz sicher, dass das Windkraftprojekt nicht erneut abgeschmettert wird, ist sich aber auch Jourdan nicht. Das Problemverständnis, was eine Strommangellage ist und «was uns im Winter blühen könnte», sei noch nicht flächendeckend angekommen.
«Wenn es dieser Standort zwischen Autobahn und Güterbahnhof nicht schafft, dann wird es wohl für Windkraftstandort in der Schweiz schwierig.»
– Thomi Jourdan, Gemeinderat Muttenz
Herb und Gökbas sind sehr zuversichtlich, dass die Windkraftanlage dieses Mal die Hürde nimmt. Interessent*innen, die Anlage zu bauen, seien noch immer vorhanden.
Vielleicht wird die Gemeindeversammlung von Muttenz also zeigen, ob der Wind wirklich gedreht hat. Zumindest eine Kita in Muttenz heisst bereits heute Windredli.
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