Fussball-Stammtisch trotz Corona

Der Didi-Offensiv-Stammtisch vermisst seine Gespräche. Doch über Fussball philosophieren kann man auch Corona-gerecht und in echt. Kolumnist Raphael Pfister hat das Gespräch für Bajour aufgezeichnet.

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Der Sport liegt flach und der faulige Nebel des Geldes umgibt die schönste Nebensache der Welt. Plötzlich stehen nicht die unglaublichen Spielzüge oder die schönsten Tore der Spieltage im Vordergrund, sondern die strukturellen Defizite der Vereine, die exorbitanten Lohnsummen einiger Spieler und die moralische Verwerflichkeit des Fussballbusiness.

Gerade in diesen Zeiten vermisse ich den Austausch im Didi und die Stammtischgespräche über Fussball und die Welt. Meine Kollegen und ich holen dies jedoch an der frischen Luft und mit genügend Abstand nach.

Ein Stammtisch in Corona-Zeiten. Zwei Meter Abstand, maximal fünf Personen.

Stammtisch ab:

Rafi: «Was für Auswirkungen wird diese Krise auf den Fussball haben? Also, vor allem auch hier in der Schweiz?»

Marco: «Man könnte allen Zuschauer*innen Desinfektionsmittel spritzen, damit man keine Geisterspiele durchführen müsste.» (Anm. der Redaktion: Bitte nicht machen.)

Ein bitterer Witz zum Start. Alle lachen. Verzweiflung ist die Mutter des Zynismus.

Käspi: «Nein, ernsthaft jetzt. Ich glaube, da wird sich am System Fussball nichts ändern! Die Schere öffnet sich weiter. Wir brauchen einen 'Salary Cap', aber den müsste man dann halt auch global einführen. So, dass er halt wirklich für alle Ligen zählt.»

Stephan: «Ich könnte mir aber eher vorstellen, dass jetzt in Deutschland die 50+1 Regel gekippt wird, weil man das Geld von Investoren braucht.»

Rafi: «Ach, Gott, ey.»

Sven: «Es steigt halt alles. Auch die Eintrittspreise. Ich meine: Wie viele Engländer*innen sind in den Stadien der Premier League? Das sind doch jetzt schon vor allem Tourist*innen in den Stadien und wenn diese Entwicklung weitergeht, hat man gar keine Stimmung mehr im Stadion.»

Käspi: «Ja, aber schau dir die Fans in China oder Indien an. Da liegt der Fokus klar auf dem Event, da ist man nicht per se für ein Team. Das sind dann eben die Fans, die eine europäische Super Liga geil fänden.»

Die Diskussion um «richtige Fans» zieht sich etwas in die Länge. Es dreht sich vor allem auch um Emotionalität. Käspi ist während FCB-Spielen sehr laut. Er wurde einst im Basler Klub Annex gar mit den Worten angesprochen: «Du bist doch immer der, der im A so laut herumschreit.»

«Ich meine, will plötzlich Olten in der Super League spielen?!»

von Marco

Rafi: «Wie geht es mit der Super League weiter?»

Marco: «Ich sage, dass die Vereine der Super League 'too big to fail' sind. Ich meine, will plötzlich Olten in der Super League spielen?!»

Käspi: «Nein, das stimmt nicht. Das öffentliche Interesse an einer Rettung der Super League ist geringer als damals an der Rettung von Grossbanken.»

Marco: «Das meinte ich nicht! Systemrelevant ist ein Fussballklub nicht. Aber für die Schweizerische Fussballliga ist es eminent wichtig, dass beispielsweise der FCB oder andere grössere Vereine oben bleiben.»

Käspi: «Ja, aber dann gibt’s halt eine Laienliga. Wieso hat denn ein gut geführter 1.Liga-Vereine keine Berechtigung plötzlich in der Super League zu spielen, falls den Vereinen oben das Geld ausgeht?»

Marco: «Nein, es werden Lösungen gefunden. Man lässt sicherlich nicht alle Super League-Vereine quasi grounden. Das meinte ich mit 'too big to fail'.»

Sven: «Aber wie war es denn beispielsweise während des Zweiten Weltkriegs?»

Stephan: «Da war es ja eine ganz andere Situation und Fussball gar kein Business-Zweig wie heute.»

«Fussball ist ein Mittel der Machtpolitik.»

von Rafi

Das Geschäft mit Fussball ist derart zügellos geworden, dass es keine Grenzen mehr gibt. Die Witwe des ermordeten saudischen Journalisten Jamal Khashoggi klagt nun gar die Premier League an, Komplize bei der Vertuschung des Mordes an ihrem Verlobten zu sein: Fussball ist ein Mittel der Machtpolitik. Und es fliessen unglaubliche Summen an Geld.

«Habt ihr euch schon einmal überlegt, dass China jetzt der grosse Profiteur dieser Krise werden kann im Fussball?»

von Sven

Marco: «Die Auswirkungen auf den Transfermarkt werden einfach verheerend sein. Auch für den FCB! Alderete hättest du ohne diese Krise für, sagen wir mal, 15 Millionen verkauft. Jetzt kriegst du vielleicht vier oder fünf Millionen für ihn.»

Sven: «Habt ihr euch schon einmal überlegt, dass China jetzt der grosse Profiteur dieser Krise werden kann im Fussball? Wenn sie diese Krise als erstes im Griff haben und wieder Kohle scheffeln...»

Marco: «Ja, dann wechseln plötzlich all diese Topverdiener nach China, weil es interessanter ist wegen dem Lohn. Gut möglich!»

«Dimitri Oberlin ist das Erdöl des FCB!»

von Stephan

Da wir es schon von Top-Shots des Fussballs haben, kommt Käspi auf Dimitri Oberlin zu sprechen und fragt, wie es beim FCB-Spieler vertraglich ausschaut.

Marco: «Ich glaube, dass er nach wie vor ausgeliehen ist und leider zum Inventar des FCB gehört.»

Käspi: «Eben. Das ist jetzt solch eine Fehlinvestition auf dem Transfermarkt, die man glätten muss.»

Sven: «Ja, für den musst du jetzt sogar Geld in die Hand nehmen, um ihn zu verkaufen.»

Stephan: «Das ist wie bei der Erdöl-Krise. Dimitri Oberlin ist das Erdöl des FCB!»

Unser Gespräch kommt nun langsam auf das nächste Level: Stammtisch-Philosophie. Beim Fussballklub als Unternehmen ist das wertsteigernde Element der Spieler: also ein Mensch. Schon bitter: Spieler sind als Kapitalanlage zu verstehen. Schöne neue Fussballwelt. Aber wo sind gesellschaftliche Grenzen bei der Rettung von Unternehmen? Sind Boni-Zahlungen bei Grossbanken, die man vor dem Konkurs rettete, moralischer als exorbitante Gehälter von Fussballspielern bei Vereinen, die von Steuergeldern profitieren (beispielsweise dem FC Barcelona oder auch Real Madrid)?

«Kaum ist die Krise weg, werden wieder exorbitante Summen in Spieler und Vereine gepumpt.»

von Käspi

Käspi: «Aber das mit den Boni-Zahlungen bei Banken zeigt ja genau, wie das im System Fussball dann auch wieder sein wird: Kaum ist die Krise weg, werden wieder exorbitante Summen in Spieler und Vereine gepumpt. Ich sag es wieder: Salary Cap!»

Stephan: «Das kannst du vergessen!»

Sven: «Was man einfach nicht vergessen darf: Bei dieser Krise sind alle Branchen tangiert und müssen in sich geschlossen Lösungen finden. Es trifft ja nicht nur den Fussball hart und genau deswegen muss der Fussball diese Krise intern lösen, eine anderweitige Lösung gibt es nicht. Das wissen die grossen Player aber auch. Sie können ja nicht einfach massenhaft Vereine in derselben Liga hops gehen lassen und dann gleich weitermachen.»

Rafi: «Ich glaube nicht, dass sich die grossen Vereine solidarisch zeigen. Keine Chance.»

Marco: «Das glaube ich auch nicht.»

Reden ist manchmal die beste Medizin.

Rafi: «Ich wäre da hart mit diesen Teams. Sollen sie doch ihre europäische Super-Liga gründen, die mit Milliarden aus den USA und China gefüttert wird. Aber dann halt mit der Konsequenz, dass sie tatsächlich aus den nationalen Ligen ausgeschlossen werden und dann schaffen wir wieder ein Parallelsystem ohne diese moralisch verwerflichen Geldströme.»

Sven: «Ja, aber die grossen Vereine hängen doch vom Grundgerüst des Fussballs ab. Ihre zukünftigen Superstars spielen zuerst ja bei anderen Mannschaften. Auch die obersten Strukturen sind doch von den unteren abhängig.»

Ruhe herrscht. Die Sonne scheint auf unsere Köpfe. Wie es bei Stammtischgesprächen halt so ist, ist die Sprache locker und der Idealismus und die Sorge um den Fussball wächst mit jedem Schluck Bier.

Aber wie heisst es so schön: Reden ist manchmal die beste Medizin.

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