Novartis schrumpft sich krank

Novartis streicht bis zu 8000 von weltweit 108 000 Stellen. Auch am Hauptsitz in Basel baut sie ab. Leider haben Umstrukturierungen bei der Firma Tradition, manchmal ist es auch eine Hüst-und Hott-Politik.

Novartis Campus
Mood: Blue(s). (Bild: Aleks Marinkovic / Unsplash)

Es ist ein Drama mit Ankündigung. Anfangs April dieses Jahres kam Novartis mit der Meldung,  den Konzern umzubauen und zu vereinfachen. Damit würden Doppelspurigkeiten beseitigt und es könne eine Milliarde Franken gespart werden. Für viele Beobachter war klar, dass das nicht ohne Stellenabbau einher gehen wird. 

Jetzt wissen wir mehr: Es wird der ganze Konzern durchgeschüttelt. In den kommenden drei Jahren gehen tausende von Stellen verloren. Schweizweit dürfen es 1400 sein, weltweit bis zu 8000. Kernstück der Reorganisation ist die Integration der Krebssparte in die Pharmadivision. Ein Teil der Stellen wandere in Novartis-Servicecenter ins Ausland ab, etwa nach Prag oder Hyderabad, heisst es im Tages-Anzeiger. Es ist ein Sozialplan vorgesehen. 

Novartis weiss nicht, was sie mit ihrem Geld unternehmerisch bewegen könnte.

Leider haben Umstrukturierungen, verbunden mit Verkäufen und Abspaltungen von Firmenteilen und Arbeitsplatzreduktionen, bei Novartis eine jahrzehntelange Tradition. Manchmal ist es auch eine Hüst-und Hott-Politik. Die Krebssparte wurde erst 2016 zu einem separaten Geschäftsbereich ausgegliedert. Jetzt werden Pharma und Onkologie wieder zusammengeführt. 

Das Zauberwort, welches immer wieder durch die Chefetagen geistert, heisst Fokussierung – die Konzentration auf ausgesuchte, lukrative Geschäftsfelder. Bei Novartis sind das Krebsmedikamente und Krebsforschung. Populäre Konsumartikel wie Fenistil, Neocitran und Voltaren werden heute von GlaxoSmithKline hergestellt, Augenheilprodukte wurden in die Firma Alcon ausgegliedert, die Generikasparte Sandoz mit ihren Produkten, deren Patentschutz abgelaufen ist, dürfte ebenfalls früher oder später Verkauft werden.

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Diese Rosinenpickerei wirft zwar ordentlich Geld ab, hat aber auch Risiken. Und Nebenwirkungen. Denn einzelne Medikamente werfen je nach dem mehrere Milliarden Franken ab, wie bei Novartis beispielsweise Cosentyx (Schuppenflechte) und Entresto (Herzinsuffizienz). Läuft der Patentschutz aus, sinken die Umsätze und Gewinne dieser «Blockbuster» sehr rasch. Die Firma muss deshalb laufend neue Produkte auf den Markt bringen. 

Die Qualität der Produktepipeline ist für Novartis (und im übrigen auch für Roche) absolut überlebenswichtig. Diese einzustufen ist aber selbst für Fachleute schwierig. Denn auch in der klinischen Schlussphase kann es vorkommen, dass ein Medikament nicht die erhoffte Wirkung zeigt. Oder zu grosse Nebenwirkungen hat. Dann sind die jahrelangen Forschungsbemühungen im Eimer.

Doch es gibt noch einen anderen Gradmesser: Die Kosten für Marketing, Vertrieb, Personal, Rechtsdienst, IT, Qualitätskontrolle etc. Sie liegen bei Novartis dem Vernehmen nach bei 30 Prozent der Gesamtkosten, beim Konkurrenten Roche nur bei 20 Prozent.

Dem Novartis-CEO Vas Narasimhan ist das schon lange bewusst. Das mag eine kleine Anekdote illustrieren. 

An einem informellen Dinner vor sechs Jahren mit Journalist*innen drängten sich alle an den Tisch des damaligen CEO Jo Jimenez. Er stand in der Kritik. Die weniger fixen Journis wie ich landeten am Tisch von Vas Narasimhan, der damals gerade neuer Forschungschef von Novartis wurde. Es wurde ein sehr spannendes Gespräch. Er sagte, vor allem in den USA sei der Vertrieb viel zu teuer, die Firma verschlafen. Damals häuften sich in den USA Klagen von unzulässigen Werbemethoden bei Ärzten. Vas prognostizierte einen massiven Stellenabbau.

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Hier müsste ein megageiler Werbespruch hin

Aber wir sind grad unterzuckert.

Aktionär*innen erhalten Milliarden

Während tausende von Stellen gestrichen werden, gleist Novartis ein Aktienrückkaufsprogramm auf: Sie hat durch den Verkauf des Roche-Aktienpaketes Milliarden auf der hohen Kante. Das stützt den Aktienkurs und spült den Verkäufer*innen ebensolche Milliarden in die Tasche. 

Doch das ist nur die eine unschöne Sache. Die andere: Novartis weiss nicht, was sie mit diesem Geld unternehmerisch bewegen könnte. Das ist schlicht erschreckend. Der renommierte Pharma-Analyst Michael Nawrath sagte in einem Interview in www.schweizeraktien.net im März: «Wenn man mit dem Erlös durch den Verkauf des Roche-Stakes nichts Besseres ankündigt als ein Aktienrückkaufprogramm über 15 Mrd. CHF, dann zeugt genau das eben nicht von Innovation im Kerngeschäft Pharma.» 

Und Nawrath haut noch eins drauf: «Alle Welt hat eine grössere Akquisition im Bereich der RNA-Technologie erwartet – das wäre wie ein Befreiungsschlag gewesen und hätte die Innovationskraft unterstrichen. Umgekehrt das Rückkaufprogramm aber so zu verkaufen, dass man aktionärsfreundlich handle und auf seine eigene Pipeline vertraut, die vom Markt schlichtweg unterschätzt wird, spricht wieder für die Arroganz, die der Novartis anhaftet und sie nicht zum Börsenliebling werden lässt.»

So schnell wird Basel wohl nicht von der Karte verschwinden.

Novartis beteuert, dass man sich weiterhin klar zur Schweiz bekenne, wovon auch die neuesten Investitionen zeugten. Beispiele dafür seien das kürzlich neu eröffnete und vollständig sanierte Forschungsgebäude Banting 1, die neuen Labore für die Radioligandentherapie sowie der Novartis Pavillon auf dem Novartis Campus in Basel, schreibt die Firma in einer Stellungnahme. Letztes Jahr habe Novartis in der Schweiz 3,8 Mrd. Franken für Forschung und Entwicklung (F&E) investiert, was 44% der weltweiten F&E-Aufwendungen des Unternehmens entspricht. Zudem habe die Firma 300 Mio. in Sachanlagen investiert, das seien 21% der weltweiten Ausgaben.

So schnell wird Basel wohl nicht von der Karte verschwinden. Hier beschäftigt Novartis insgesamt rund 9080 Mitarbeitende, über 5000 Mitarbeitende allein in der Forschung und Entwicklung. In Stein sind es 1700, in Schweizerhalle 210.

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