Zergehen wie eine schmelzende Eiskugel

Im gemeinschaftlichen Universum, das ein Team aus Musik, Kunst, Fashion und Gastronomie auf dem Franck Areal geschaffen hat, kann man sich vom Art-Trubel erholen. Schwierig ist nur, sich aus dem Sog der Industrieromantik wieder zu befreien.

Danielle
Mitinitiantin Danielle Bürgin von Radio X: «Wir haben hier in sechs Tagen unsere Welt kreiert, auch wenn es nur ein Areal ist: Das ist die Art der Zusammenarbeit, die wir uns wünschen.»

Wo, wenn nicht an der Art, sieht man Menschen, die Flipflops oder Crocs kombiniert mit schicken schwarzen Sakkos tragen. So auch am Montagabend auf dem Franck Areal, genauer: am OMG, Franck! Festival, einem Side Event zur Kunstmesse, der so ziemlich alles abdeckt, was das Künstler*innen-Herz begehrt. Auf dem ehemaligen Industrie-Gelände von Thomy-Senf an der Horburgstrasse 105, wo vor zwei Jahren bereits der Social Club stattgefunden hatte, vereinen sich diese Woche Talente aus Musik, Radio, Kunst, (Fashion-)Design und Gastronomie; jeden Tag gibt es ein neues Programm an Musik, aber auch an Kulinarik – und genauso an verrückter Mode. 

Om
Besucherin Gabriele Geiger sagt zum Eis: «Fruchtige Brombeere mit Minze, es vergeht auf der Zunge.» (Bild: Valerie Zaslawski)

Danielle Bürgin von Radio X ist eine der Initiant*innen. Zu Bajour sagte sie noch am Nachmittag, als die letzten Pflanzen aus dem Pflanzenbroggi in den sogenannten Listening Space, wo am Abend DJs auflegen werden, getragen und die letzten Vintage Sofas zurechtgerückt wurden: «Wir haben hier in sechs Tagen unsere Welt kreiert, auch wenn es nur ein Areal ist: Das ist die Art der Zusammenarbeit, die wir uns wünschen.» Neben Radio X sind auch der Förderverein Franck, Ozelot (Zürich) und No Chef Studios (Basel) Teil der kollaborativen Initiative.

Diese Art von gemeinschaftlichem Universum zu schaffen, so viel kann man nach dem ersten Festival-Abend bereits sagen, ist den Macher*innen gelungen. Die Freude über das, was in diesem Hinterhof entstanden ist, ist gross, auch – oder vor allem – bei den Besucher*innen.

Denis
Denis Maillefer, Direktor am Théâtre du Jura: «Das grösste Spektakel der Art sind die Menschen.» (Bild: Valerie Zaslawski)

Für viele begann der Abend mit einem Glacé von Löööv, quasi das kulinarische Line-Up dieses Abends; am Dienstag folgen heisse Schnitten, am Mittwoch Pinsa und übers Wochenende kocht dann die jüngste Punkteköchin der Schweiz, Michaela Frank, die der Spitzencuisine allerdings bereits wieder den Rücken gekehrt hat und mit verschiedenen Pop-Ups ihren eigenen Weg geht. 

Zum Auftakt werden aber erstmal, wo man auch hinschaut, bunte Eiskugeln geleckt. Gabriele Geiger findet es «richtig lecker», wie sie zu Bajour sagt: «Fruchtige Brombeere mit Minze, es vergeht auf der Zunge». Mit ihrem Partner Josef Alfons Striedl arbeitet sie in einem Co-Working-Space auf dem Gelände; ihr Weg in den Hinterhof war demnach nicht weit. Von weiter her angereist ist Denis Maillefer, Direktor am Théâtre du Jura. Auch er geniesst seine Glacé, während im Hintergrund Belia Winnewisser & Slow Glass für den richtigen Beat sorgen. Aus Zufall oder wegen der Performance «Reset! Beasts and Demons», eine Verbindung aus Tanz und digitaler Kunst, die in einem der vielen Shilos stattfindet, sei er am OMG-Franck-Festival gelandet. Das Happening scheint ihn so mittel zu interessieren. Er sagt denn auch: «Das grösste Spektakel der Art sind die Menschen.» Und er hat recht.

Dennis
Bei dem vielen Licht werden die Projektleiter Damian Breitenstein (rechts) und Fabian Müller beinahe selbst zur Kunst. (Bild: Valerie Zaslawski)

Bei einem Glas Weisswein lassen sich die Menschen, die hier ein- und ausspazieren (anfangs des Abends spazieren sie vor allem ein) denn auch bestens beobachten. Viele sind wohl auch wegen der Vernissage von Nova Silo gekommen, das in einem «Atelier Plus» stattfindet, wie Projektleiter Damian Breitenstein sagt. In diesem Art Space für Lichtkunst möchte das Kernteam, zu dem auch Co-Leiter Fabian Müller und David Gilly sowie Mathias Stich gehören, «eine Plattform für Austausch bieten», sie wollen junge Künstler*innen supporten. Fabian sagt: «Es ist ein riesiger Spielplatz für Künstler*innen und eine breite Öffentlichkeit.» 

Wie sich der Atelier-Raum nach der Art weiterentwickelt, den das Team angemietet und in nur fünf Wochen aus dem Boden gestampft hat, ist noch unklar, vorstellbar ist eine Zusammenarbeit mit dem Tanzhaus, das seit Herbst 2024 ebenfalls hier zuhause ist, aber auch Lesungen oder Listening Events. «Die Kunst, die hier stattfindet, ist multifunktional», sagt Damian. 

Multifunktional und kollaborativ. Alles, was man hier antrifft, scheint zueinander zu passen, ineinander überzugehen, zu zergehen wie die schmelzende Eiskugel im Cornet. Schade nur, dass diese neue Welt nicht für immer bleiben kann.

Marie
«Ich habe etwas geschaffen, das die Erinnerung zurückbringen soll.» 
Künstlerin Marie Sutter ist auch Filmemacherin, Fotografin und Sounddesignerin

Die pure Harmonie ist allerdings vorbei, betritt man den Raum nebenan durch einen schweren dunklen Vorhang. Gnadenlos schlägt einem in diesem Silo ein Gewitter entgegen, rotes Licht, Blitz und Donner. Ein Gewächshaus steht inmitten des Raumes, hier wächst echter Chicorée. Die französisch-deutschen Multimedia Marie Sutter sitzt in der Hocke an der Wand, neben ihr steht ein Glas Wein. «Hier wurde früher Chicoré gezüchtet, um Kaffee herzustellen», erklärt sie, ein Ersatzkaffee mit dem mehr oder weniger lustigen Namen Muckefuck. Marie durfte den Raum unter der Bedingung nutzen, die Wände heil zu lassen, das war den Architekt*innen, die das Franck Areal umbauen, wichtig. Mit der Installation möchte Marie die Vergänglichkeit zeigen; Chicoré blüht nur von Juni bis September und dies nur einmal am Tag. Sie, die Filmemacherin, Fotografin und Sounddesignerin und hat mit ihrer Thunderstorm-Installation «etwas geschaffen, das die Erinnerung zurückbringen soll». 

Haus
Hier wächst echter Chicorée: Eine Installation von Künstlerin Marie Sutter. (Bild: Valerie Zaslawski)

Mit jedem Raum, den man hinter sich lässt, um einen neuen zu betreten, wird die Idee von Danielle Bürgin, einen Space für den Nachmesserummel zu kreieren, fassbarer und realer. Hier – der Industrieromantik sei dank – fahren die Menschen runter, erholen sich vom Artrummel des trubeligen Stadtzentrums. 

Danielle wurde von den Franck-Betreiber*innen eingeladen, den Raum auf dem Areal während dieser Woche mit DJs zu bespielen. «Von der Nachtkultur aus ist die Idee in alle Richtungen gewachsen», sagt sie, gleichzeitig bleibt sie an diesem Abend ein zentraler Part, denn der Sound ist allgegenwärtig. Im Listening Space, der im wirklichen Leben das Künstleratelier von Admir Jahic & Comenius Roethlisberger ist, sitzen Menschen auf Sofas und hören der Musik zu, so wie Danielle sich das vorgestellt hat. Die Radiomoderatorin und Programmleiterin wählte für jeden Abend der Woche ein anderes Kollektiv aus der Schweiz aus, das von 16 Uhr bis Mitternacht den Raum mit Musik bespielt. So scheint es nicht übertrieben, wenn sie sagt, dass «mit diesem Festival auch das Kollektiv der Kollektive gegründet werden sollte».

Je länger man sich hier aufhält, desto schwerer fällt es einem, sich aus dem Universum wieder zu verabschieden. Auf dem Heimweg bietet sich noch eine Stippvisite beim Pop-Up an, das im Tanzsaal beim Ein- beziehungsweise Ausgang zum Hinterhof auf hippe Besucher*innen wartet und in welchem verschiedene Modelabels ausstellen. 

«Taxi, Madame?» klingt es durch die Nacht. Mit Dank wird abgelehnt, denn im Laufen lassen sich Eindrücke besser verarbeiten.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren

Art Parcours 25 2B

Mattia Reimann am 17. Juni 2025

Art Parcours: Ein Spaziergang durch die Kunst

Auch dieses Jahr musst du kein Ticket für die Art Basel kaufen, um Werke der Kunstmesse zu sehen. 21 Kunstwerke sind entlang der Clarastrasse und auf dem Münsterplatz für jede*n zugänglich und bilden den Art Parcours 2025. Hier zeigen wir die Highlights und Lowlights.

Weiterlesen
Art basel 2025

Helena Krauser,Valerie Wendenburg am 17. Juni 2025

Glace, Cüpli und brennende Yachten

Die Art-Basel-Woche ist gestartet. Die Messe eröffnet eine skurrile Welt zwischen Kunstglamour, VIPs und harter Realität, die durch die Kunst eine Stimme bekommt.

Weiterlesen
Art Basel 2025

Valerie Wendenburg am 16. Juni 2025

«Kunst ist immer frei»

Die Art Basel hat eine neue Sponsorin: Qatar Airways wird Premium-Partnerin aller Art-Basel-Messen. Regierungspräsident Conradin Cramer gibt sich dennoch hoffnungsvoll.

Weiterlesen
Valerie Zaslawski

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

Kommentare