Gericht spricht Aktivist*innen (teilweise) frei
Weil sie einen Protestspaziergang ins Internet streamten, wurden fünf Demonstrant*innen im April 2020 von der Polizei kontrolliert. Zu recht, wie das Strafgericht festhält. Doch die Art und Weise der Kontrolle entpuppte sich am Ende als das eigentliche Problem.
Die Freude unter den fünf Angeklagten war nach dem Freispruch des Strafgerichts ein wenig getrübt. Sie hatten im Corona-Frühjahr 2020 einen Weg gesucht, eine Protestaktion massnahmenkonform ins Internet zu streamen und wurden von der Polizei gleich zweimal kontrolliert. Bajour berichtete.
Rückblick: Ende April 2020 waren aufgrund der Covid19-Verordnung 2 Veranstaltungen mit mehr als fünf Personen verboten. Um den «March against Bayer und Syngenta» (eine jährlich stattfindende Protestveranstaltung gegen Agrarkonzerne und den Einsatz von Pestiziden) trotzdem durchzuführen, gingen vier Personen die übliche Demoroute ab und präsentierten an verschiedenen Orten ihre Transparente. Die Aktionen streamten die Aktivist*innen dabei in Echtzeit über die Sozialen Netzwerke Facebook und Instagram, wo sich Zuschauer*innen mit Kommentaren an dieser Veranstaltung beteiligen konnten.
Nach den Kontrollen durch die Polizei flatterten Strafbefehle und Verfügungen ins Haus. Die Angeklagten erhoben Einsprache. Der Fall landete jetzt, zwei Jahre später, vor Gericht.
Anklage der Stawa fällt zusammen
Der Freispruch erging für die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, die fünf Personen hätten während der Kontrolle gegen die Covid19-Verordnung 2 verstossen, den Dienst der Beamt*innen erschwert und sich durch das Filmen der Kontrolle ausserdem der Anstiftung zur Hinderung einer Amtshandlung schuldig gemacht.
Weil die Gruppe allerdings früher am Tag von einem Sicherheitsmann der Syngenta dabei gefilmt wurde, wie sie vor dem Hauptsitz des Konzerns auf dem Trottoir beieinanderstanden und dabei den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand zwischenzeitlich unterschritten, wurden vier der fünf Angeklagten dennoch wegen eines Verstosses gegen die Covid-Verordnung zu einer Busse von jeweils 100 Franken verurteilt.
Die Stawa hatte eine bedingte Geldstrafe von 300 Franken sowie eine Busse von 700 Franken gefordert.
Weil kein vollständiger Freispruch erfolgte, geht ein Teil der Verfahrenskosten zulasten der Angeklagten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Angeklagte wie Staatsanwaltschaft, die am Prozess nicht dabei war, können Berufung einlegen.
Die Angeklagten hatten zwar auf einen vollständigen Freispruch gehofft und waren nach eigenen Aussagen dennoch «erleichtert» nach der Urteilsverkündung. Sie antworteten während der Verhandlung bereitwillig auf die Fragen des Gerichtspräsidenten und schilderten, wie sie «viel Mühe und Zeit» investiert hatten, trotz der Coronamassnahmen eine «innovative Form des Protests auf die Beine zu stellen».
«Keine Amtshandlung ersichtlich»
Gerichtspräsident Roland Strauss sagte in seiner Urteilsbegründung nichts über die Qualität der Aktion. Er folgte damit auch nicht dem Verteidiger Beat von Wartburg, der in seinem Plädoyer anmerkte, er wisse nicht, wie man einen Protest unter den Umständen im April 2020 noch «sorgfältiger und umsichtiger» hätte machen können.
Der Richter nahm lediglich das vorhandene Beweismaterial zur Hand, um über die Anklagepunkte zu richten. Das waren Videos, Polizeiprotokolle, die Aussagen der Angeklagten und eines Polizisten, der als Zeuge aussagte.
Der Anlass zu einer Kontrolle war grundsätzlich erstellt, fand der Richter. Die Polizei habe im Zweifel davon ausgehen müssen, dass damals eine Demonstration stattfand.
Doch der Verlauf der folgenden «Amtshandlung» sei nach Überprüfung der Ausweise der Aktivist*innen aus unerklärlichen Gründen durch die Polizei unnötig ausgedehnt worden. Er könnte darum keine Diensterschwerung verurteilen, sagte der Richter. Denn «da über die Ausweiskontrolle hinaus keine weitere Amtshandlung ersichtlich ist, sehen wir auch nicht, was erschwert hätte werden sollen».
Es sei auch nicht herumgeschrien worden, wie in der Anklageschrift der Staatsanwalt steht, und dass ein Livestream eine Anstiftung zur Hinderung einer Amtshandlung sein solle, sei ebenfalls nichtig. An keiner Stelle hätten die Aktivist*innen dazu aufgerufen, sich an den Ort der «Amtshandlung» zu begeben und zu intervenieren.
Eine Person war dennoch zur Kontrolle hinzugestossen und hatte sich eingemischt. Er wurde wegen Diensterschwerung schuldig gesprochen. Freispruch erging für die Anklagen der Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte.
Auf Twitter kritisierte der Account des «Marches» am Dienstagmittag eine «unverhältnismässiges Kriminalisieren politischen Protests». Nicola Goepfert, Präsident des Vereins March against Syngenta Basel und einer der Angeklagten, wiederholte nach dem Urteilsspruch vor dem Gerichtsgebäude, was er schon in der Befragung gesagt hatte.
«Die Erfahrung, mittlerweile mit einer Polizeikontrolle rechnen zu müssen, egal wie sorgfältig man eine Kundgebung plant, das lässt mich frustriert zurück.»