«Ey, teschte, teschte!»
Was macht die Feier-Jugend, wenn die Corona-Tests bald was kosten und sie noch nicht geimpft ist? Und warum lassen sich die jungen Menschen nicht impfen? Ein nächtlicher Besuch bei der Teststation von Sandoase und Nordstern.
«Ey, teschte, teschte!», ruft ein junger Mann seiner Freundesgruppe am Rheinufer zu, während er in Richtung Corona-Teststation läuft. Er braucht keinen Test, um heute zu feiern, aber ein paar seiner Freund*innen schon. Manche aus der Gruppe bleiben stehen und warten vor dem weissen Container mit den beiden Tester*innen in grünem Kittel und FFP2-Maske. Der Test-Container beim Westquai heisst Sandoase/Nordstern – so wie der Club und die Bar in unmittelbarer Nähe – und wird von der Toppharm-Apotheke Barfüsserplatz betrieben. «Lauft sonst schon mal voraus», ruft er Richtung Rhein. Die meisten hören auf ihn.
Der junge Mann heisst Kevin. Er ist 30 Jahre alt, trägt einen Rucksack aus alten Lkw-Planen und einen Manbun. Er sei schon geimpft, sagt er, deshalb brauche er keinen Test. Er hat eine Vorerkrankung und gehört deshalb zur Risikogruppe. «Sorry, was war die Frage?», fragt er und zieht an seinem Joint. Achja. Dass man zum Feiern ein Zertifikat braucht, findet er gut. «Aber ich finde es ein bisschen schade, dass der Zeitpunkt nicht klar kommuniziert wurde. Es gab keine Deadline, mit der man frühzeitig hätte rechnen können, die Leute hatten zu wenig Zeit.» Es brauche mehr Zeit zum Entscheiden, ob man sich impfen lässt oder nicht. «Plötzlich hiess es, das geht jetzt noch einen Monat und dann haben diese Leute recht grosse Einschränkungen.»
Die Jugend spürt Druck
Es ist Freitagnacht und es regnet. Die meisten Wartenden, auch Kevin, stehen unter einem weissen Sonnenschirm, neben dem ein Absperrband den Abstand zu dem Test-Container regelt. Hier werden sich in den kommenden Stunden allerlei verschiedene Menschen versammeln.
Alle von ihnen sind jung und die meisten, mit denen wir sprechen, sind noch ungeimpft und wollen es auch dabei belassen. Sie sprechen offen über ihren Frust und halten sich mitunter nicht mit unbelegten Vorbehalten zurück. Obwohl die Corona-Tests ab 1. Oktober nicht mehr gratis sind, scheint das für viele kein Grund für eine Impfung zu sein. Vielmehr kritisieren sie den Druck, den der Bundesrat ausübt. Die anhaltend angespannte Lage in den Spitälern – der Grund, warum der Bundesrat die Zertifikatspflicht ausgeweitet hat, – kommt an diesem Abend kaum zur Sprache. Angst vor einer Ansteckung haben die wenigsten.
«Wahrscheinlich gehe ich dann gar nicht mehr feiern. Mit der Impfung bin ich noch unsicher.»Anna, 25 J.
Ein junger Typ kommt auf Kevin zu. Er wartet gerade auf sein Testergebnis. «Hey, darf ich dir einen Jay abkaufen, ich habe aber nur 5 Stutz ...», es ist ihm sichtlich unangenehm. Kevin zögert nicht, holt sofort ein Röhrchen heraus, das man von Multivitamintabletten kennt, und zieht einen dick gewickelten Joint heraus. Die Augen des anderen leuchten, als hätte er Wasser in der Wüste gefunden. Es entsteht eine kleine Schicksalsgemeinschaft unter diesem Schirm.
Auch Anna, 25, steht hier und wartet auf ihr Ergebnis. Ihre blonden Haarsträhnen kleben nass an der Stirn, auf ihren goldgerahmten Brillengläsern hängen ein paar Tropfen. Sie ist mit Kevin und den anderen unterwegs. «Es ist noch nicht ganz klar, wo wir hingehen, aber so sind wir getestet und kommen überall rein», sagt sie. Impfen lassen möchte sie sich nicht. «Ich finde es voll gut, dass ich mich testen lassen kann – noch umsonst. Solange das geht, mach ich das auf jeden Fall.» Dass sie den Test braucht, stört sie nicht.
Über uns prasselt der Regen, vom Container hört man das Piepen der Eieruhr, mal wieder 15 Minuten um, mal wieder ein Test fertig. Und wenn die Tests bald was kosten? «Wahrscheinlich gehe ich dann gar nicht mehr feiern. Mit der Impfung bin ich noch unsicher. Das ist für mich nicht die sicherste Methode, weil ich schon oft gehört habe, dass auch die Geimpften das weitertragen.» Sie finde es gut, wenn man sich testen lassen kann – geimpft oder ungeimpft. «Wenn, dann nur mit Impfung und Test feiern gehen, also doppelt, dann ist es sicherer.» Bevor sie weiterzieht, dreht sie sich noch schnell eine Zigarette unterm Schirm. «Hast du dein Ergebnis schon?», fragt sie jemand und winkt mit dem Handy. Dann gehen sie los.
«Genmanipulierte Sachen»
Jetzt stehen fünf bis zehn Leute unter dem Schirm – zwischen ihnen und dem Container wartet ein Absperrband und der Security-Beauftragte. Ein bärtiger Mann, stämmig, aber kein Riese, dessen Gesicht sich in freundliche Falten legt, wenn er lächelt. Vorhin, gegen viertel nach zehn, als noch nichts los war, hatte der Sicherheitsmann ein wenig Zeit, um zu reden. Seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen, schliesslich sei er regelmässig als Türsteher und Security im Einsatz. Plaudern tut er aber gerne. Er erzählt, dass hier eigentlich nie jemand mit Termin herkomme. Letzte Woche sei das ein einziger gewesen. Alle anderen kommen spontan. «Eigentlich auch logisch, vor dem Feiern.»
Jetzt gerade gibt es keine Schlange, das Nordstern mache erst um 23 Uhr auf. «Je nach Event sind es mal mehr oder weniger Leute, die kommen. Heute ist kein spezielles Event, da werden es wohl nicht mehr als 80 bis 90 Personen insgesamt werden.»
Ein Security-Posten bei der Teststation, braucht es das eigentlich? Der Bärtige ohne Gesichtsmaske nickt, meistens sei die Stimmung gut. «Wenn ich hier war, hat es noch nie einen Zwischenfall gegeben. Die Leute sind auch freundlich, wenn sie besoffen sind. Die haben Respekt vor Männern in schwarzer Uniform», sagt er. Was das Testen und Impfen angeht, hat er eine klare Meinung. Die Tests sollten weiterhin gratis sein, findet er, und impfen lässt er sich nicht. «Niemand weiss genau, was da drin ist», sagt er. Wobei, er meint zu wissen, dass dort «genmanipulierte Sachen» drin steckten. «Das weiss jeder, dass das so ist.» Für diese Behauptung gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Fakt ist, dass die mit der Impfung verabreichte mRNA nicht in den Zellkern gelangen kann. Damit kann sie auch nicht das menschliche Erbgut verändern.
Dann wird der Bärtige wieder gebraucht. Nicht, weil es Stress gibt, sondern weil jemand eine Frage zur Anmeldung hat. Der Sicherheitsmann wiederholt, was er schon zigmal sagte, immer geduldig, «Hesch du di scho aagmoolde? Du bruuchsch e ID oder e Uswyys». Er zeigt, wo die Ausweisnummer steht und wo die Nummer der Krankenversicherung. Tippt aufs fremde Handy, switcht wenn nötig auf Italienisch oder Französisch. «Das ist die Kunst: ruhig zu bleiben», sagt er. Je betrunkener die Leute sind, desto schwieriger falle ihnen das Tippen. «Es ist eigentlich nicht meine Aufgabe, alles zu erklären. Aber so freundlich bin ich dann einfach», sagt er und lacht mit dem ganzen Gesicht. «So läuft es auch besser.»
«Der indirekte Impfzwang ist ja schon ein bisschen da. Das finde ich nicht gut.»Steven, 34 J.
Unter dem Schirm mischt sich der Geruch von Männerparfüm mit Zigarettenrauch. Es regnet noch immer. Regelmässig geht der Wecker mit einem Piepen los, ein neues Ergebnis ist da, ein freudiger Ausruf, ein*e Wartende*r weniger.
Zwei Kumpels stehen zusammen unter einem Regenschirm. «Wenn du dich nicht testen lässt, kommst du ja nirgends rein», sagt Steven, 34. Er wohnt in Lörrach und arbeitet in der Schweiz. «Ich bin geimpft, aber meine Frist endet erst morgen.» Ein Zertifikat hat er also noch nicht. Vor dem heutigen Abend war er schon zweimal zum Testen und anschliessenden Feiern hier. «Ich finde es gut, dass es gratis ist, man zahlt ja auch einen Haufen Geld für Krankenkasse und Steuern», sagt Steven.
Nur noch 2 Prozent Akku!
Die Tests nun kostenpflichtig zu machen, finde er nicht fair vom Bund. «Weil der indirekte Impfzwang ist ja schon ein bisschen da. Das finde ich nicht gut.» Er selbst war anfangs «straight gegen das Impfen». Er fand, das sei alles noch zu wenig erforscht. Dann habe er von zwei Corona-Fällen im Bekanntenkreis erfahren. Eine gute Freundin seiner Schwester sei ohne Vorerkrankung mit 30 an Corona gestorben, einem anderem Freund sei es drei Wochen lang sehr schlecht gegangen. «Dann habe ich gesagt, ach komm.» Seine Ablehnung ist nun nicht mehr so strikt und er hat sich für die Impfung entschieden. Sein Freund Marcel ist schon länger geimpft, ihm ginge es vor allem darum, die Menschen in seinem Umfeld zu schützen, sagt er. «Ich wäre heute nicht gekommen, wenn der Eintritt ohne Zertifikat gewesen wär. Denn wenn der Test bei einer anderen Person nicht anschlägt und ich geimpft bin, ist die Viruslast, die übertragen wird so minimal, dass es relativ unwahrscheinlich ist, dass da irgendwas passiert.»
Unterm Schirm spielt sich derweil ein kleines Drama ab. «Ich hab nur noch 2 Prozent Akku und es klappt nicht!», sagt der junge Mann ins Telefon und will schon fast aufgeben. Er schafft es einfach nicht, sich online für den Test anzumelden. Sein Kollege am anderen Ende der Leitung ist schon im Club. Der bärtige Sicherheitsmann kann das nicht mit ansehen. «Was hesch, e iPhone? Kumm, mir lade das kurz e bizzli uff.» Er winkt den jungen Mann mit Akkunotstand zu sich und organisiert extra ein Verlängerungskabel, damit er vor dem Container auf ein bisschen Extrapower warten kann. Denn: Ohne Akku kein digitales Zertifikat.
Ein neuer Kunde. Er entschuldigt sich schon bei der Begrüssung beim Security-Mann. Letztes Wochenende hat er sich wohl daneben benommen – zu viel Alkohol. Jetzt lachen beide darüber. «Wenigstens entschuldigst du dich!» Auch heute ist der blonde Mann schon ein wenig angetrunken. Seine Meinung möchte der 23-Jährige aber gern teilen. «Es gibt ja keine Impfpflicht, aber dadurch, dass man sich testen lassen muss, bald auch noch zahlen muss, besteht eine indirekte Impfpflicht. Und das finde ich beschissen. Genau aus diesem Grund will ich mich extra nicht impfen, weil man so dazu gedrängt wird.»
Sein Freund, der auf ihn unter dem Schirm wartet, ist geimpft. Er sei genervt gewesen vom ewigen Testen. «Früher oder später muss sich jeder impfen lassen», glaubt er, anders ginge es nicht. Was ihn jedoch störe, ist das Covid-Zertifikat, mit dem seine Daten gespeichert würden. Dann ist das Ergebnis da, die beiden ziehen weiter.
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«Kolleg, ich weiss wie e QR-Code funktioniert, es isch nid gange!» - «Ich bin kein Kolleg», antwortet der Sicherheitsmann einer jungen Frau. Plötzlich kann sie den Code doch noch scannen und sich für den Test anmelden. «Musch alles yygää, stoot alles do.» Die Frau um die 20 Jahre, welliges, blond gefärbtes Haar, ist interessiert, als sie das Wort Online-Zeitung hört. Zitiert werden möchte sie allerdings nicht. Aber einen Tipp hat sie: den Instagram-Account einer Pflegerin, die wisse, wie das wirklich alles laufe mit Corona. So schlimm wie getan wird, sei das alles gar nicht. Aber am besten mal mit Leuten aus dem Medizinbereich sprechen, die könnten das alle bestätigen.
Es ist fast halb 1, etwas mehr als zehn Leute warten. Zwischendurch kommt jemand raus aus dem türlosen Container und rümpft die Nase oder wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Der Sicherheitsmann lacht sie alle aus. Wer schon fünfmal hier gewesen sei, den jucke das Stäbchen in der Nase nicht mehr, sagt er.
Eine junge Frau fährt mit einem Taxi vor. Erleichtert stellt sie fest, dass sie sich noch testen lassen kann. Wirklich voll ist es immer noch nicht.
«Ich habe es nicht vor, mich impfen zu lassen. Es geht nicht um ein Aushaltspiel. Ich sehe nicht den Bedarf.»Christian, 22 J.
Der Regen will nicht aufhören. Christian steht, wo alle stehen: unter dem Sonnenschirm. Wie die meisten hier will er im Nordstern feiern gehen. Dass die Tests bald was kosten, stört ihn nicht. «Mir ist es fast egal, weil ich mich nicht oft testen lasse.» Sein Handy geht los, laute Musik scheppert aus seiner Hosentasche. Er greift rein und gibt das Telefon an seinen Freund weiter. Bist du nicht geimpft? «Mm-mm», murmelt er knapp und schüttelt den Kopf während er einen tiefen Zug von seiner Zigarette nimmt. «Ich habe es nicht vor, mich impfen zu lassen. Es geht nicht um ein Aushaltspiel. Ich sehe nicht den Bedarf.» Gefährdet fühle er sich nicht, er sei ja jung – 22 Jahre. Eventuell lässt er sich aber doch noch impfen. Er werde bald Vater. «Und dann könnte es sein, dass ich gerade nicht ins Spital darf, weil ich auf ein blödes Testergebnis warte.»
«Hesch du di scho aagmoolde?» Der bärtige Sicherheitsmann stellt noch immer die gleichen Fragen. Seinen Stammkund*innen sagt er «Hey, danke, tschüss bis zum nächsten Mal!» In anderthalb Stunden ist seine Schicht vorbei und die Teststation zu. Das Feiern geht dann erst richtig los.
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