(K)eine Extrawurst für Fussballfans

Ein Dauerbrenner und ein Trauerspiel: Seit Jahren diskutieren Sportverbände, Vereinsspitzen, Fanbetreuung, Polizei und Politik, welche Massnahmen zur Eindämmung der Fangewalt eingeführt werden sollen. Erkennbare und wirksame Konsequenzen: Null.

Wurst
Der FCB sieht bei der Einführung von personalisierten Tickets unüberwindbare Hindernisse.

Als etwa beim Zürcher Stadtderby 2000 Grad (!) heisse Pyrofackeln mitten in die Zuschauerreihen geworfen wurden, wurde es sogar Bundesrätin Viola Amherd zu bunt. Energisch drängte sie darauf, personalisierte Tickets mit Ausweispflicht einzuführen. Selbst die bisher zögerliche Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz (KKJD) unterstützt unterdessen einstimmig die Forderung. Hilfreich für diese Kehrtwende ist sicher auch die Tatsache, dass im Kanton Basel-Stadt endlich wieder eine Polizeidirektorin amtiert, die sich nicht wie ihre Vorgänger als Schutzpatronin der gewalttätigen «Fan»-Szene versteht, sondern die Sicherheitsbedürfnisse der Bevölkerung pflichtgemäss stärker gewichtet als die Interessen der FCB-Klientel. 

Selbstverständlich meldeten sich umgehend Bedenkenträger aus allen sportlichen, medialen und politischen Himmelsrichtungen: Willkürlich, nicht zielgerichtet, unwirksam, nicht verhältnismässig, kontraproduktiv. Die alte Leier kurz zusammengefasst: Wichtiger als härtere Mittel gegen die Gewalt sei der Dialog mit sämtlichen Gruppen. Oder mit anderen Worten: Die Gesetze gelten für die alle, ausgenommen sind Besucherinnen und Besucher von Spielen der Fussball Super League. Hier herrscht nicht der Rechtsstaat, nicht das Gewaltmonopol des Staates, sondern die Selbstregulierung. Das Faustrecht also.

Der moderne Mensch sitzt buchstäblich im Glashaus. Freiwillig. Bedenkenlos.

von Roland Stark

Besonders lächerlich ist die Ausrede, personalisierte Tickets würden einen unzumutbaren bürokratischen Aufwand verursachen. Vor allem der FCB sieht - wie üblich - unüberwindbare Hindernisse. Das war schon 2001 der Fall, als ich im Grossen Rat die Einführung eines Kombitickets im Öffentlichen Verkehr – Eintrittskarte = Fahrschein – forderte. Oder Jahre später, als sich der Klub gegen die Einführung des Becherpfands wehrte. Was in europäischen Stadien seit Jahren möglich war, stellte den FC Basel jedes Mal vor unüberwindbare Schwierigkeiten. In den letzten Jahrzehnten haben offenbar auf der rot-blauen Teppichetage die organisatorischen Fähigkeiten weniger stark zugenommen als Ignoranz und Arroganz.

Und dann kommt zum Schluss noch der Einwand mit dem Datenschutz. (Die Videoüberwachung lässt grüssen) Hunderttausende Schweizerinnen und Schweizer verbreiten täglich ihre persönlichen Daten sorglos an unzähligen Orten: Soziale Medien, Facebook, Kreditkarten, Wettbewerbe, Flugtickets, Konzertkarten, Onlineshopping usw. Der moderne Mensch sitzt buchstäblich im Glashaus. Freiwillig. Bedenkenlos.

Ticket2
Lückenlos überwacht auf dem Weg nach Freiburg: Im 8-er Tram personalisiertes U-Abo, bei der DB personalisiertes Zugticket, in der Freiburger Strassenbahn personalisiertes RVF-Kombiticket, im Europa-Park-Stadion personalisierte Eintrittskarte.

Am 14. August 2023, 19:01:33 MESZ erhielten wir von Coop Supercard folgende Mail: «Käserei Studer AG und Coop rufen vorsorglich diverse Käseprodukte zurück. Unserem System entnehmen wir, dass das betroffene Produkt von Ihnen gekauft wurde. Zu Ihrer Sicherheit fühlen wir uns verpflichtet, Sie persönlich zu informieren. Die Produkte (in unserem Fall «Der Scharfe Maxx», Scheiben 150g, R.S.) können Listerien aufweisen. Es besteht eine potenzielle Gesundheitsgefährdung und es wird empfohlen, die Produkte nicht zu konsumieren.»

Wir lernen: Käse darf man, im Unterschied zu Hooligans, personalisieren. Daten von Konsumentinnen und Konsumenten können von der Verkaufsstelle bis nach Hause zurückverfolgt werden. Randalierer dagegen sind geschützt.

Roland Stark
Zur Person

Roland Stark schreibt für Bajour neu einmal im Monat Kolumnen - unter dem Titel: Unvermummt. Das kommt daher, dass Stark dem «Verein für eine deutliche Aussprache» angehört, der im harmoniebedürftigen Basel kaum Mitglieder hat. Stark wurde 1951 in Appenzell geboren, an der Universität Basel studierte er später Heilpädagogik und arbeitete 42 Jahre auf seinem Beruf. 1968 trat er in die St.Galler SP ein, 1981 bis 1990 war er Präsident der SP Basel-Stadt, und von 1992 bis 1997 deren Fraktionspräsident, 2000/2001 wurde er Verfassungsratspräsident und schliesslich 2008/2009 Grossratspräsident. Stark ist mit der Journalistin Claudia Kocher verheiratet und hat zwei Töchter (15 und 17). Was Stark besornders gerne mag: Lesen und Schreiben. Wandern. Gute Nahrung, fest und flüssig. SC Freiburg.

Das Ausscheiden des FCB aus den internationalen Wettbewerben hat für die Fans auch Vorteile. Die Hardcore-Datenschützer unter ihnen hätten die Spiele ohnehin nicht mehr mit der Bahn besuchen können. Neu bieten die SBB nämlich nur noch personalisierte Tickets für Reisen in Nachbarländer an. Auch bei Reisen mit Swiss Pass und bei Ticketverkäufen im Internet kann die SBB genaue Kundenprofile erstellen. Damit ergeben sich unter anderem für die Strafbehörden erweiterte Ermittlungsmöglichkeiten. Schlechte Nachrichten für «Fans», die ihre Ausflüge fast ausschliesslich für Krawall und Zerstörung unternehmen.

Die Debatte ist für mich ein gutes Stück unerklärlich. Wer friedlich unterwegs ist, in der Stadt, in einem Fussballstadion, in einem Zug, im Tram, wo auch immer, muss weder Videoüberwachung noch Identitätskontrollen fürchten. Am letzten Wochenende besuchte ich wieder einmal ein Spiel des SC Freiburg. Lückenlos überwacht: Im 8-er Tram personalisiertes U-Abo, bei der DB personalisiertes Zugticket, in der Freiburger Strassenbahn personalisiertes RVF-Kombiticket, im Europa-Park-Stadion personalisierte Eintrittskarte. Nur der Bierbecher war noch nicht personalisiert.

Den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte habe ich deswegen nicht angerufen.

Herz
Bajour nimmt es sportlich.

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