Spass am «Ärger mit Bartleby»
Wie wär’s mit Arbeitsverweigerung, wenn der Job sinnlos und stressig ist? Bartleby versucht es, im Büro von morgen, zusammenfantasiert vom Allroundkünstler Rocko Schamoni und der Companie des Theater Basel. Unseren Rezensenten hat die Inszenierung «total weggeflext».
Hi readers, ich geb euch jetzt mal meine expert opinion und ‘n paar Insights über die Aufführung «Immer Ärger mit Bartleby», die mich echt geflasht hat.
So ungefähr müsste diese Besprechung anfangen, wenn sie im «new speech» geschrieben wäre, der in der Aufführung parodiert wird. Das Stück spielt in gar nicht so ferner Zukunft in der Marketingabteilung von «Boche». (Nein das Signet der Firma ist nicht ganz ein Rhombus und dass gelegentlich die Roche-Türme auf den Rundhorizont projiziert werden, ist nur der Basler Stadtsilhouette geschuldet.) Erzählt wird die Geschichte eines Teams von sechs Leuten – und gleich zu Beginn der Aufführung gibt’s einen theatralischen Effekt der Extraklasse. Das Team zieht sich Spezialbrillen an, steht auf der Bühne frontal zum Publikum und wischt über imaginäre Bildschirme, die sich die Zuschauer*innen, unterstützt von Geräuschen und Gesten, vorstellen müsse und dürfen.
Zwecks Promoting eines Sonnenschutzmittels für Hunde stellen die Marketingleute da gerade ein Werbebild zusammen. Sie arrangieren Landschaften verschiedenster Art, setzen Bäume und Menschen ins Bild oder nehmen sie raus – Andeutungen genügen, und ich sehe als Zuschauer*in das sich verändernde Werbebild vor mir. Der untheatrale Prozess der Arbeit am Bildschirm wird hier bühnenwirksam.
Schein und Wirklichkeit der neuen Arbeitswelt
In Boches Marketingabteilung sind die modernen Management-Prinzipien verwirklicht: Die Hierarchien sind flach, alle werden wertgeschätzt, der Zusammenschluss im Team ist rund um die Uhr total, für alle Bedürfnisse – Essen, Trinken, Bewegung, Gesundheit, psychologische Betreuung – ist gesorgt. In Wirklichkeit ist die Hierarchie aber gnadenlos, alle machen sich gegenseitig fertig und die Überwachung ist total. Ein unanständiges Wort und schon schallt die Rüge des unsichtbaren Überwachungscomputers durch den Raum. Ein kurzer Anstieg der Pulsfrequenz in einem Gespräch, und schon schiesst der Gesundheitsbetreuer aus dem Hinterhalt hervor.
Hauptspass für das Publikum ist die floskelreiche, nichtssagende Sprache, dieser New Speak aus Management-Slang, Werbe-Bluff, Wokeness und sonstigen Trends. Von «communication» ist zwar ständig die Rede, aber Kommunikation ist gar nicht möglich. Erbärmlich verheddern sich die Figuren im Klischeenetz dieser Sprache, die ja nicht erfunden, sondern exakt beobachtet ist und aus der Wirklichkeit übernommen wurde.
Hauptspass für das Publikum ist die floskelreiche, nichtssagende Sprache, dieser New Speak aus Management-Slang, Werbe-Bluff, Wokeness und sonstigen Trends.
Die Spielenden, denen es immer wieder gelingt, im Nebel dieser Sprache ihre wirklichen Gefühle und Absichten erscheinen zu lassen, treten aus unerfindlichen Gründen unter ihren Privatnamen auf. Marie Löcker ist die glamouröse und perfide Enkelin des Firmengründers. Jörg Pohl ist Abteilungsleiter und ein so jämmerliches Würstchen, dass er Mitleid erweckt. Gala Othero Winter ist das wandelnde Klischee – und doch auch einfach hilflos.
Grosse Klasse auch Martin Hug, der alte Werbetexter, der den Jungen hinterherhechelt. Ursula Dolicki ist die arme Dienstmagd, die rumkommandiert wird – eh wir aber richtig Mitleid mit ihr haben, ärgern wir uns über ihre Dummheit. Wieder einmal kann man das Ensemble nur bewundern.
Julius Block steuert eine Musik bei, die viel Atmosphäre schafft und ein paar Höhepunkte hat: den energischen Turnrhythmus am Anfang zum Fitnesstraining des Teams, den schnulzigen Song «Pferd sein, einfach Pferd sein» und die ironische Lachmusik, mit der die Marketingsoldat*innen ihren Tag beginnen.
Bartleby oder die «Innere Kündigung»
In dieses kaputte Universum grätscht nun Bartleby rein. Wer ist Bartleby? Bartleby, der Schreibgehilfe, ist die Hauptfigur einer heute noch lesenswerten, kurzen Erzählung, die der New Yorker Schriftsteller Herman Melville in den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts geschrieben und mit ihr die «Kontore» und «Kanzleien», die Arbeitsplätze seiner Zeit, literaturfähig gemacht hat. Bartleby lehnt ruhig aber bestimmt zuerst einzelne, dann alle Arbeiten mit dem berühmten Satz ab: «I would prefer not to». Von seiner autistischen Arbeitsverweigerung, die er mit existenziellem Einsatz durchhält – er verweigert schliesslich auch das Leben –, geht eine «seltsame Gewalt» und eine grosse Faszination aus. Er nimmt sich eine fast absolute Freiheit, weil er die Autorität seines Arbeitgebers nicht etwa bekämpft, sondern einfach total ignoriert.
Bei Rocko Schamoni ist Bartleby eine Frau, als kompromissloses Alien eindrücklich gespielt von Elmira Bahrami. Mit der Bemerkung «Lieber nicht» lehnt auch sie die Arbeit ab und verkörpert die statische Ruhe inmitten der dauernden Hektik der Werbeabteilung. Nach anfänglicher Irritation vermarktet das Team den Slogan «Lieber nicht» und erzielt damit einen irren Werbeerfolg für ein Psychopharmakon. Das Bartleby-Prinzip als Gewinnmaximierung: Integration von Bartleby also?
Wahnsinn, Knall und Himmelfahrt
Es ist Rocko Schamoni hoch anzurechnen, dass er an dem Punkt nicht stehen bleibt, sondern die Geschichte weitertreibt: Da es dem Werbeteam nach dem Grosserfolg der «Lieber nicht»-Kampagne nicht gelingt, das Erfolgsniveau zu halten, drehen alle vollkommen durch. Es ist, als ob Bartlebys Verrücktheit ansteckend wirke. Die Abteilung versinkt im Irrsinn, nichts geht mehr. Das Bartleby-Prinzip ruiniert die menschenfeindliche Arbeitswelt. Erfolg von Bartleby also? Nicht ganz. Der Chefin Löcker kommt die Selbstzerstörung der Abteilung gelegen. Sie entlässt alle Mitarbeitenden und übergibt die Arbeit der Künstlichen Intelligenz. So weit, so klar.
Dann folgt ein wenig plausibles Zwischenspiel: ein Monolog von Bartleby, dessen Sinn sich dem Rezensenten nicht erschlossen hat, und ein Riesenknall. Schliesslich die Schlussapotheose: Bartlebys Himmelfahrt, unterlegt mit pompöser Musik, als wär’s ein Filmschluss, vertont von Enrico Moricone, mit Gesang der entschwebenden Bartleby – eine grosse, aber sehr abstrakte Befreiungsgeste.
Abgesehen von zwei peinlichen Szenen bereitet das Stück grossen Spass, weil das seltene Kunststück gelingt, die Arbeitswelt auf die Bühne zu holen.
Die Bürosatire hat Tradition. Melville hat sie begründet, Charles Dickens hat seinen Beitrag nahezu gleichzeitig geleistet, Franz Kafka wäre hier zu nennen, Italo Svevo, Fernando Pessoa, und, natürlich, «unser» Robert Walser, dessen Figuren Verweigerungsstrategien entwickeln, die dem Verhalten von Bartleby verwandt sind. In neuer Zeit hat Johannes Jakobus Voskuil einen vieltausendseitigen, erfolgreichen Beitrag zur Darstellung des Büros geliefert. Christoph Marthaler hat den Geist des verlassenen Gemeindebüros in Birsfelden beschworen. Beliebt waren auch die Comedy-Serien «The Office» und «Stromberg», auf die die Basler Inszenierung einmal anspielt. «Immer Ärger mit Bartleby» bereichert diese Tradition.
In der Premiere lastete noch zu viel Druck auf dem Spiel. Mehr Gelassenheit, mehr Auskosten der grotesken Sprache täte der Aufführung gut. Ganz unnötig und eher peinlich sind zwei Szenen, die im Keller des Boche-Gebäudes spielen, wo Papier und ein Server lagern und ein Klo steht, auf dem der Hausmeister sein geräuschvolles Geschäft verrichtet. Davon abgesehen bereitet «Immer Ärger mit Bartleby» grossen Spass, weil das seltene Kunststück gelingt, die Arbeitswelt auf die Bühne zu holen, und zwar in vergnüglicher und kritischer Form. Der anhaltende Applaus war verdient. Und ich geb das approval: Hat mich total weggeflext.
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Nächste Vorstellungen von «Immer Ärger mit Bartleby»: 22.10, 18.30 Uhr; 02.11., 19.30 Uhr und 05.11., 18.30 Uhr im Schauspielhaus Basel.
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