«Wenn die Zölle wirklich kommen, dann Gnade uns Gott»

Noch sind die Pharmafirmen vom 39-Prozent-Exportzoll der USA auf Schweizer Produkte ausgeklammert. Doch das könnte sich schnell ändern. Wie die nächsten Schachzüge von Roche und Novartis aussehen könnten, skizziert Gesundheitsökonom Stefan Felder im Interview.

Roche Pharma Novartis US Zölle Stefan Felber
Wer hat Angst vor Lady Liberty? (Bild: Collage: Bajour)

Stefan Felder, wenn Donald Trump seine Meinung nicht ändert, gelten ab Donnerstag 39 Prozent Zölle auf Schweizer Exporte in die USA. Für Basel ist vor allem relevant: Pharma-Produkte sind noch davon ausgenommen – wieso?

Das hätte negative Folgen für die USA. Trump sieht, dass die Arzneimittelpreise sehr hoch sind und er möchte sie unbedingt senken. Ein Zollaufschlag auf Schweizer Arzneimitteln hätte zur Folge, dass die Preise in den USA noch höher stiegen. 

Im Vergleich zur Schweiz sind die Medikamentenpreise in den USA fast doppelt so hoch – und die Schweiz gilt schon als Land, in dem die Medikamente teuer sind. Wie ist das möglich?

In den USA wird das Patentrecht hochgehalten. Deshalb gibt es da höhere Arzneimittelpreise als in Europa oder in der Schweiz. Vor allem in Grossbritannien und den skandinavischen Ländern hat man hingegen eine sogenannte «vierte Hürde» eingeführt – im Gegensatz zu den USA, wo weitestgehend die Hersteller die Preise bestimmen, gibt es dort Regulierungen, mit welchen die Preise niedriger gehalten werden. Gleichzeitig sind wir in Europa Trittbrettfahrer und profitieren von den hohen Preisen in den USA.

Inwiefern?

Die Umsätze in den USA machen gut 50 Prozent des globalen Umsatzes an Arzneimitteln aus. – hohe Gewinne in den USA machen Forschung weltweit attraktiv. Die Fortschritte, die in der Onkologie zum Beispiel erzielt worden sind, hängen auch damit zusammen, dass wegen des Patentrechts in den USA höhere Preise durchgesetzt werden können.

Stefan Felder
Zur Person

Stefan Felder ist Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Basel. Die Professur Health Economics wurde vor 15 Jahren von Interpharma gestiftet, dem Verband der forschenden Pharmaindustrie. Er ist Präsident des Schweizer Verbands für Gesundheitsökonomie und war Mitglied im Expert*innenrat des Swiss Medical Board.

Trump hat den Pharmafirmen 60 Tage Zeit gegeben, um die Preise in den USA zu senken – und droht damit, dass sie ansonsten auch die Zollaufschläge zahlen müssen. Was würde dann passieren?

Roche und Novartis haben eine wichtige Stellung in den USA – aber die Schweizer Pharmafirmen stehen in den USA im Wettbewerb mit anderen Firmen. Wenn sie auf ihre Pillen jetzt 39 Prozent aufschlagen würden, wären sie nicht mehr konkurrenzfähig. Die Zölle wollen sie auf alle Fälle vermeiden. 

Die grossen Basler Pharmafirmen haben auch Produktionsstätten in der EU. Könnten sie nicht einfach die Produktion dort erhöhen und dann mit tieferen Zöllen in die USA exportieren?

Das geht nur, wenn man die Kapazitäten in der EU ausbaut – das braucht aber Zeit.  Im Übrigen achten die Amerikaner ganz genau drauf, dass man die Zölle nicht umgeht. Das wäre nicht erlaubt und schlussendlich wären es wieder 39 statt 15 Prozent für die Firmen.

Also gut. Was werden die Basler Firmen dann machen?

Ich nehme an, sie werden im Einvernehmen mit den anderen Pharmafirmen, deren CEOs ebenfalls einen Brief von Trump erhalten haben, eine Lösung suchen, anstatt die Preise im Alleingang zu senken. Dieses gemeinsame Vorgehen wird den Basler Firmen wohl wichtig sein.

«Im Endeffekt ist der Schweizer Markt für Gewinnaussichten der Pharma wenig relevant.»
Stefan Felder, Gesundheitsökonom

Was würden sinkende Arzneimittelpreise in den USA bei uns in der Schweiz bedeuten?

Wenn Preise gesenkt werden, sinken die Gewinne der Pharma – und die sind natürlich verknüpft mit Investitionen in Forschung und Entwicklung. Es ist teuer, Medikamente zu entwickeln – wir sind bei rund vier Milliarden Franken pro Wirkstoff, der nach vielen Jahren Forschung und Entwicklung die Märkte erreicht. Die Produktionskosten sind im Vergleich dazu sehr gering, pro Pille zuweilen im Rappenbereich. Irgendwie muss die teure Investition aber finanziert werden, sonst bleibt sie künftig aus. Der Konsument ist zwar zunächst glücklich, wenn Medikamentenpreise niedrig sind. Die Frage ist aber: Haben wir in 30 Jahren noch die richtigen Medikamente, wenn weniger geforscht wird? Es gibt einen Zielkonflikt. Der muss politisch gelöst werden.

Würden Roche und Novartis in der Schweiz die Arzneimittelpreise erhöhen, wenn sie diese in den USA senken müssten?

Im Endeffekt ist der Schweizer Markt für Gewinnaussichten der Pharma wenig relevant. Der Umsatz in der Schweiz beträgt gerade mal 9 Promille des globalen Umsatzes. Denkbar ist es trotzdem. 

Könnten Bund und Kantone einspringen, um das zu verhindern? Zum Beispiel indem die Pharmafirmen für die Ausfälle finanziell vergütet werden, um weiterhin hier an Medikamenten zu forschen?

Nein. Dazu muss man sich einmal die Grössenordnung bewusst machen: Die Schweiz exportiert jährlich 34 Milliarden Franken an chemisch-pharmazeutischen Produkten in die USA. Bei 39 Prozent Zoll flössen 13 Milliarden Franken an den amerikanischen Staat. Die Schweizer Hersteller wären gezwungen, ihre Preise zu senken, also maximale Verluste von 13 Milliarden Franken. Wenn das wirklich durchkommt, dann Gnade uns Gott. Das sind Summen, da kann kein Kanton irgendetwas bewegen.

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Was denkst du?

Wie wird die Pharma auf den Zollhammer reagieren? Jobs in die USA verlagern? Die Preise dort senken? Oder Trump ignorieren. Das diskutieren wir bei der Frage des Tages. Hier kannst du bei der Diskussion mitmachen.

Zur Debatte

Anstatt dass der Bundesrat Trump ein «noch attraktiveres Angebot» macht, wie jetzt angekündigt wurde, müssen es die Pharmafirmen also selber richten?

Im Mai haben Roche und Novartis angekündigt, massiv in die USA investieren zu wollen. Bei Roche sind es 50 Milliarden, bei Novartis 23 Milliarden. Das wird eine entscheidende Rolle spielen in den Gesprächen, die der Bundesrat und Firmen mit Trump führen – und wenn man es ihm viermal sagen muss, bis er es versteht: Die Schweiz investiert massiv in der USA. Wenn dann noch die Medikamentenpreise etwas sinken, könnte er einlenken – denn auch Trump wird diese Pharma-Zölle nicht wollen. Sie treffen besonders die Ruheständler – darunter sind viele seiner Wähler.

Würden so grosse Investitionen der Basler Pharma in den USA bedeuten, dass bei uns Jobs verloren gehen?

Das ist schwer zu sagen. Es gibt einen Grund, warum wir so viele Medikamente in der Schweiz entwickeln und exportieren: Unsere Arbeitskräfte sind gut qualifiziert – ob Roche diese in den USA findet, ist fraglich. Kurzfristig könnten Produktionsverlagerungen Basel schon schwer treffen – aber Investitionen werden immer langfristig gedacht und es ist ja nicht sicher, ob Trump in vier Jahren noch im Amt ist und das Rad nicht zurückgedreht wird. Aber ich möchte noch einmal betonen: Die Pharma ist bisher noch nicht von den Zöllen betroffen und ist noch geschützt. Aus den genannten Gründen denke ich, dass sie besser davonkommen wird als andere Sektoren. Vielleicht läuft es schliesslich auf 10 bis 15 Prozent Zölle auf alle Produkte hinaus. Aber wissen können wir es nicht.

«Wir haben grosses Glück, dass wir uns in Basel zu einer so grosse Pharma-Produktionsstätte entwickelt haben.»
Stefan Felder, Gesundheitsökonom

Die Baselbieter Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter hat die Idee aufgebracht, wegen des Handelskriegs mit den USA die gerade erst eingeführte OECD-Mindeststeuer von 15 Prozent auf Grosskonzerne wie eben Roche und Novartis auszusetzen, um die Firmen zu entlasten. Was halten Sie davon?

Damit war die Schweiz ja auch ein Musterknabe: Wir haben die Mindeststeuer umgesetzt – viele Länder noch nicht, unter anderem die USA. Aber es braucht eben Koordination zwischen den OECD-Ländern, das sind nicht nur die USA. Da wird die Schweiz nicht im Alleingang handeln wollen – ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, dieses Agreement jetzt anzurühren.

Könnte dieses Seilziehen um die Pharma dazu führen, dass jene Stimmen Aufwand bekommen, die sich eine gemeinnützigere Pharmaentwicklung in der Schweiz wünschen wie die Gruppe Pharma für alle?

Manche Leute haben meiner Einschätzung nach komische Vorstellungen, wie dieser Markt funktioniert. Der enorme Fortschritt in der Medizin hat damit zu tun, dass im Pharmabereich lukrative Gewinne in Aussicht stehen. Meiner Ansicht nach haben wir grosses Glück, dass wir uns in Basel zu einer so grossen Pharma-Produktionsstätte entwickelt haben. Unser Angebot an medizinischer Versorgung ist unglaublich hoch – und ein Viertel der natürlichen Personen zahlt keine Steuern und ein Drittel erhält Prämienverbilligungen. Welche Geschenke wollen die Leute denn sonst noch? Wenn die Pharmaindustrie leidet, gehen auch die Steuereinnahmen runter und hochqualifizierte Leute suchen sich woanders einen Job. 

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Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitik. Way too many Anglizismen.

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